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Wiener BeschwerdechorKollektiv und laut
Wie ging das noch einmal mit dem Beschweren? War das schon alles, dieses Grummeln im stillen Kämmerlein, im Treppenhaus oder am Stammtisch? Sollte da nicht mehr sein als das bloße Erstaunen, wenn die freundliche Stimme bei der Beschwerdehotline mit dem Ratschlag daherkommt, es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu probieren, da alle Leitungen besetzt sind? Wer jetzt nicht weiterweiß, kennt keinen Beschwerdechor!
Text: Harald Justin
Der Sommer war viel zu heiß in Wien. Jeden Tag Sonne, gefühlte drei Monate lang Tag für Tag über dreißig Grad. Bestes Urlaubswetter. Irgendwann nervt das. Bitte Regen! Ausgerechnet am Tag, an dem die „5 Minuten mit ...“ Stefan Foidl, einem der beiden Leiter des Wiener Beschwerdechors, angesetzt sind, verdunkelt sich, wie gewünscht, der Himmel, mitsamt leichtem Temperatursturz. Wieder Grund genug zum Meckern. Erst zu heiß, dann nicht warm genug.
Aber über übers Wetter reden wird nicht gesprochen, sondern über die Kultur der Beschwerde. Die gehört in Wien zum Alltag. In alten Reiseführern finden sich Sätze wie: „Zu einem typischen Wiener Kaffeehaus gehört ein Kellner, der Sie schlecht behandelt.“ Sich in ihrer Ruhe gestörte Taxifahrer und Verkäufer, die ihre Kunden beleidigen, gehören ebenso zum täglichen Leben wie das Schimpfen, das „Raunzen und Sudern“, über Ausländer, Hundekot, Fahrrad- und Autofahrer, Fußgänger, Politiker, Nichtraucher, Korruption, den Tod und – natürlich – über das Wetter. Zugereisten kommt dieses quengelnde Leiden am Leben unheimlich vor, aber Foidl freut es zumindest deshalb, weil des Wieners liebste Beschäftigung seiner Chorleitertätigkeit höheren Sinn verleiht.
Für einen Beschwerdechor stellt Wien ein wahres Biotop dar, und der Koleiter erzählt nicht ohne Stolz von seiner singesfreudigen Schar. „Im Jahr 2010 haben wir uns gegründet. Damals gab es viele Chöre, die ein ähnliches Konzep hatten, wir sind die Letzten dieser Art!“ Tatsächlich bildeten sich in Birmingham, Helsinki, Sankt Petersburg oder Köln Laienchöre, die sich auf die Ideen des deutsch-finnischen Künstlerpaares Kochta-Kalleinen bezogen. Ihr Credo „Wir wollen diese negative Energie [des Meckerns und Beschwerens; Anm. d. Autors] in etwas Großes, Kollektives, etwas Lustiges und Kraftvolles verwandeln.“ beflügelte Foidl und den Wiener Medien- und Konzeptkünstler Oliver Hangl bei ihrer Chorgründung. „Wir“, so Foidl, „verstehen den Chor als Sprachrohr der Stadtbevölkerung, als Ventil der typisch weanerischen Unzufriedenheit, des subtilen Grantelns. Chören in anderen Städten gingen wohl der Atem, also die Beschwerden aus, da herrscht bei uns aber keine Armut. Geraunzt wird bei uns immer. Mit unseren Liedern halten wir der Stadt Wien den Spiegel vor, damit das Denken eine Lösung sein kann.“
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