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Editorial

Lie­be Mu­sik­freun­din­nen und -freunde,

eines vorweg, damit keine Missverständnisse aufkommen: Das Projekt „Brückenklänge“ des Landesmusikrats NRW ist ein enorm wichtiges. Der leider verstorbene Kollege Birger Gesthuisen hatte vor nicht allzu langer Zeit in seinem wohlrecherchierten Buch Musikwelten NRW – Kulturen der Einwanderer nachgewiesen, wie viel Musik unserer ausländischen Mitbürger es gibt, meist nur leider im Verborgenen. Was läge also näher, als diese Musik verbindend zu fördern. Das war im März ein zentrales Thema des Symposiums „Brückenklang verbindet NRWs Musikkulturen“ in Dortmund. Und auch gegen diesen Anspruch spricht erst einmal nichts: „Bei den Begegnungsforen und Workshops treffen migrantische und von deutscher Tradition geprägte Musiker aufeinander und treten in den Austausch.“ Aber wo waren sie denn, die „von deutscher Tradition geprägten Musiker“? Schließt man bei dieser Wortwahl etwa die traditionelle Musik aus und redet von Künstlern, die lediglich wegen ihrer Sozialisation „von deutscher Tradition geprägt“ sind? Das ist zu vermuten anlässlich des Podiumsgesprächs, an dem ich teilnahm. Dabei war Tuba Tuncak, deren vorbildliche journalistische Arbeit zum Beispiel bei Funkhaus Europa jedoch nichts mit deutschen Musiktraditionen zu tun hat. Sie steht für migrantische Kultur. Weiterhin saßen da mit mir Martin Laurentius (Jazz Thing, Gesprächsleitung), Günther Huesmann (Jazzredakteur SWR) sowie Bernd Hoffmann (Redakteur Jazz & World, WDR 3). Auf meine Frage: „Wo ist denn hier die deutsche traditionelle Musik, die in Austausch treten könnte?“, kam von einem Podiumsteilnehmer doch tatsächlich die Antwort: „Natürlich haben wir in Deutschland musikalische Traditionen, zum Beispiel die Beatles.“ Ich hatte dann urplötzlich keine weiteren Fragen. Das ist nämlich die Krux, bei der wir uns nicht in die Tasche lügen sollten: Wir treten unseren migrantischen Freunden musikalisch eben nicht gleichberechtigt gegenüber, wenn wir deutschen Jazz mit Weltmusik mischen, so spannend das auch sein mag. Wir können eine neue Volksmusik in Deutschland natürlich einfach definieren. Wegen meiner sogar als die der Beatles oder besser vielleicht als die Musik der Menschen, die hier leben. Aber die Kernfrage ist doch: Können, sollen und wollen wir traditionelle deutsche Musik wiederbeleben?

Das Problem haben die Schotten nicht, im Gegenteil. Ihre traditionelle Musik ist eine starke Basis für moderne und spannende Weitereinwicklungen. Es dürfte daher kein Geheimnis sein,
Mike Kamp * Foto: Ingo Nordhofen dass für mich mit dem Länderschwerpunkt Schottland dieses Jahr in Rudolstadt ein kleiner Traum wahr geworden ist. Dass ich mich an der Programmplanung gleichberechtigt beteiligen konnte, war für jemanden wie mich, der mal vor Jahrzehnten den Grundkurs „Wie kuratiere und organisiere ich ein winziges, eintägiges Festival“ mitgemacht hat, eine ausgesprochen, na, sagen wir interessante Erfahrung. In erster Linie konnte ich nämlich feststellen, welche Künstler man warum nicht verpflichten kann. Das hat meist nichts mit Geschmack zu tun, sondern mit der normativen Kraft des Faktischen. Und auch ein Schwerpunkt stößt irgendwann an seine finanziellen und personellen Grenzen, zumal großartige Projekte wie „A Man For A’ That – A World Music Tribute to Robert Burns“ zusätzlich Mittel banden. Viele Schottlandfreunde werden sagen: „Wie konntet ihr X oder Y außen vorlassen?“ Wetten, dass es zu dem „Warum nicht“ bei den meisten X und Y jeweils eine interessante Geschichte gibt? Trotzdem bin ich sicher, dass die Projekte und Künstler, die sich auf dem Rudolstadt-Festival präsentieren, der schottischen Tradition und der beeindruckenden temporären Kreativität mehr als gerecht werden.

Wie übrigens auch die Themen in diesem Schwerpunktheft Schottland, bei dessen Lektüre ich Ihnen viel Spaß wünsche, mit oder ohne einen guten wee dram!



Ihr Herausgeber
Mike Kamp








Post aus dem Beirat

Gülbahar Kültür * Foto: Walter Gerbracht Die Macht der Worte ist unbestritten. Es gibt Begriffe, die begleiten uns ein Leben lang. Für mich und viele meiner Freunde und Leidensgenossen mit migrantischem Hintergrund gehört „Integration“ dazu. Solange ich in diesem Land lebe, und das sind mittlerweile 38 Jahre, taucht dieses Wort auf. Immer und überall. In den letzten Jahren ist es ein politisches Schlagwort geworden, gerne auch als „kulturelle Integration“. Ein Dauerthema. Besonders, seitdem immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Nicht nur ich, viele von „uns“ können es nicht mehr hören. Wir verdrehen mittlerweile die Augen. Jeder hat seine eigene Vorstellung von Integration, es gibt keine eindeutigen Inhalte dafür, keine Regeln, keine allgemeingültige Definition.
Aber Integration ist keine einseitige Geschichte. In der Pflicht sind nicht nur Zuwanderer, Migranten, Flüchtlinge, sondern auch die Aufnahmegesellschaft muss sich darum bemühen. Worte wie „Miteinander“ oder „Gemeinsamkeiten“ wollen gelebt werden und das heißt, Menschen, die hierherkommen, in ihrem Bedürfnis zu respektieren, menschenwürdig und in Sicherheit zu leben und zu arbeiten. Sie wollen Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt und bei der Wohnungssuche. Das sind konkrete Anliegen.
In der öffentlichen Diskussion darüber werden klassenspezifische Fragen ausgeklammert, als sei es verpönt, über soziale Gerechtigkeit zu sprechen. Ein Hartz-IV-Empfänger hat andere Sorgen, ob einheimisch oder nicht. Er kann sich nicht einfach in die Gesellschaft integrieren. Wir brauchen gesellschaftliche Konzepte für das Zusammenleben mit Menschen unterschiedlicher Kulturen. Hier ist die Mehrheitsgesellschaft gefragt, denn Ziel muss ein gemeinschaftliches Leben sein, an dem alle Bürger partizipieren, egal, woher sie stammen.
Keine Frage, Migration macht Probleme. Weltweit. Die lassen sich nicht einfach beiseiteschieben. Aber wenn man die Lebenswelten der Migranten ausschließt, kann es keine wirkliche Integration geben.
Meine Abneigung gegen das Wort Integration ist groß. Das soll aber niemanden daran hindern, sowohl dieses Heft 3/2017 des Folker als auch die aktuelle Ausgabe von Politik & Kultur, die Zeitung des Deutschen Kulturrates, mit Interesse zu lesen. Darin widmen sich viele Autorinnen und Autoren dem Thema „Kulturelle Integration. Und ich habe nach 38 Jahren in Deutschland immer noch Neues entdeckt.

  Gülbahar Kültür