Folker-Logo   Abo   Mediadaten/Anzeigen


Suche
   Intern   Über uns


Kontakt/Impressum/Datenschutz

       
Backkatalog   Ausgabe Nr. 1/2017   Internetartikel
»Gerade das ist ja die Stärke des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – Erklärungsbedürftigem den Raum zu geben, den es braucht.«
Michael Kleff
Illustration: Christoph Lammert

[Zurück zur Übersicht]



Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Printversion, das Heft kann bestellt werden unter www.irish‑shop.de.

Oder gleich zum (Schnupper-)Abo.






Frisch gestrichen

Reformen oder Raubbau?

Weltmusik, Folk und Lied – bedrohte Arten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Vom Westdeutschen Rundfunk über den Hessischen Rundfunk bis zum Schweizer Radio und Fernsehen – in etlichen deutschsprachigen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind in den letzten Jahren die musikalischen Nischenwellen und -programme beschnitten oder reformiert worden. Begründet wird dies von den Chefetagen mit Sparzwängen, aber auch mit einer neuen Ausrichtung auf Hörerbedürfnisse. Was steckt hinter den Veränderungen und wohin führen sie? Gehen Vielfalt und Tiefenschärfe des Programms verloren? Droht eine Versteppung der Kulturlandschaften im Radio?

Text: Stefan Franzen

Ist da was faul im Staate Deutschland? Während unsere Gesellschaft stetig an Farben zugewinnt, zuletzt bedingt durch die vielen Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Irak, Iran, Pakistan, Eritrea oder Gambia, scheint die Palette von Weltmusik, Folk und Lied in Teilen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (im Folgenden: ÖR) zu verblassen. Selten äußert sich das in einem mit Pauken und Trompeten angekündigten Kahlschlag, der von lauten Protesten begleitet wird. Meist sind es Fusionen von Programmplätzen, der Wegfall einer Autorensendung, die Verschiebung des Musikcharakters, schleichend, kaum bemerkt. In der Summe entsteht eine Verengung des Spektrums abseits von klassischer Hochkultur und Popmainstream.
Im Mai 2016 veröffentlichte der Verband unabhängiger Musikunternehmen (VUT) eine Stellungnahme, in der Geschäftsführer Jörg Heidemann schrieb: „Mit öffentlichen Geldern wird Formatradio betrieben und die kulturelle und musikalische Vielfalt eingeschränkt.“ Diese Vielfalt, festgeschrieben durch den im Rundfunkstaatsvertrag festgelegten Bildungs- und Kulturauftrag, suche man mittlerweile vergebens. Laut Bundesverfassungsgericht muss der ÖR, um die Erfüllung der im Grundgesetz verankerten Rede- und Meinungsfreiheit zu garantieren, „die ganze Breite umfassender Information“ bieten. Erst mit Sendungen, „die nur für eine geringere Zahl von Teilnehmern von Interesse sind und die oft – wie namentlich anspruchsvolle kulturelle Sendungen – einen hohen Kostenaufwand erfordern“, könne die Meinungsbildung garantiert werden. Und wörtlich, als Abgrenzung des ÖR zu den Privaten: „… bei einer Steuerung des Verhaltens der Rundfunkveranstalter allein über den Markt [ist] das für die Funktionsweise einer Demokratie besonders wichtige Ziel der inhaltlichen Vielfalt gefährdet“. (Zitate aus Urteilen des BVerfG.)
Heidemann bezog sich mit seiner Kritik vor allem auf die Popwellen, die in der Rotation nur einen Anteil von sieben Prozent an Titeln kleiner Labels spielen. Doch die jüngeren Ereignisse lassen an der Erfüllung des Auftrags auch in manchen der Kulturradios Zweifel aufkommen. Am prominentesten dürfte wohl der Sündenfall Tom Buhrow zu Beginn des Jahres 2016 sein. Unter dem Druck gestiegener Gehälter und Produktionskosten setzte der WDR-Intendant den Rotstift unter anderem bei WDR 3 Open: Soundworld (ersatzlose Streichung) und den WDR 3 Musikkulturen (Sendeplatzverlegung und Fusion mit dem Jazz) an, beides Sendungen des zeitgleich verabschiedeten Redakteurs Werner Fuhr. Verkauft wurde die Reform, die zehn Prozent der Planstellen und Budget für freie Mitarbeiter einspart, als „Programmoptimierung“ und „Vereinfachung der Orientierung für den Hörer“ – Formulierungen, die in vielen Anstalten zum offiziellen Sprech der Entscheidungsträger gehören. Den Farben der Musikkulturen werde ja auch bei Funkhaus Europa umfassend Platz eingeräumt, so eine Rechtfertigung von Pressesprecher Uwe-Jens Lindner für die Beschneidung der Sendung. Dass aber die Musikausrichtungen der beiden Sender nichts miteinander zu tun haben, ist bekannt. Die Zusammenlegung von World mit Jazz bei WDR 3 ist nur das letzte Glied in einem langen Siechprozess. „In den Achtzigern war das gesamte Feld von Folk, Lied und Weltmusik mit den Redakteuren Jan Reichow und Werner Fuhr eine blühende Landschaft“, erinnert sich der langjährige freie Radiomacher und ehemalige Folker-Chefredakteur Michael Kleff. „Vom Bosporus nach Gibraltar, der Folklore-Atlas, Musik der Welt und die Matinee der Liedersänger waren auch gerade deshalb wesentlich, weil sie ein Verständnis für das andere und die anderen in einer Gesellschaft schärften. Das war eine ganze Kultur, wie man Hörern Musik vermittelt, teils auch durch Gespräche mit Gästen, die absolute Spezialisten ihrer Musikkulturen waren. Das geht nur mit einer großen Fläche von sechzig Minuten.“

... mehr im Heft.