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Backkatalog   Ausgabe Nr. 6/2016   Internetartikel
»Mein Vater verbrachte in seiner Jugend den ganzen ersten Weihnachtsfeiertag draußen, zog mit anderen von Haus zu Haus, um Carols zu singen.«
Carol-Singen zur Orgel im Royal Hotel Dungworth * Foto: Sammlung Village Carols

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Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Printversion, das Heft kann bestellt werden unter www.irish‑shop.de.

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Auswahldiskografie:

Kate Rusby, Sweet Bells
Pure Records, 2008)

Waterson/Carthy, Heathens And The Old Green Man
(Topic Records, 2006)

Diverse, English Village Carols
(Smithsonian, 1999)

Coope Boyes & Simpson, A Garland Of Carols
(No Master, 1998)

The Watersons, Sound, Sound Your instruments Of Joy
(LP: Topic Records, 1977; CD: 2007)



Weihnachtslieder im Pub

Die populäre Singtradition der Local Carols

In England ist nicht der Heilige Abend, sondern der erste Weihnachtsfeiertag das wichtigste Ereignis der Weihnachtszeit. An diesem Tag treffen sich gewöhnlich die Familien am frühen Nachmittag zum „Christmas Dinner“, meistens nach der Fernsehansprache der Queen. Im nordenglischen Sheffield und dessen Umgebung gibt es noch eine andere Tradition. Dort trifft man sich am „Christmas Day“ morgens im Pub, um Weihnachtslieder zu singen, die in der Kirche nicht erlaubt sind, obwohl sie bis vor hundertfünfzig Jahren noch zum Grundstock des Gottesdienstes gehörten. Seit ein paar Jahren haben einige Musiker der britischen Folkszene diese „Local Christmas Carols“ wieder für sich entdeckt und präsentieren sie in neuer Gestalt.

Text: Christoph Wagner

Im Norden Englands, in ein paar Vororten Sheffields im südlichen Yorkshire, in einigen Gemeinden im Peak District von Derbyshire sowie in Nottinghamshire und im südenglischen Somerset ist eine Folksongtradition daheim, die nur um die Weihnachtszeit zum Vorschein kommt. Dann trifft sich die Bevölkerung in den Pubs ihrer Ortschaften, um ganz spezielle Christmas Carols zu singen, lokale Weihnachtslieder, die es in dieser Form sonst nirgendwo gibt. Diese Singtradition wird von Laiensängern am Leben erhalten, und mittlerweile erfreuen sich die Aktivitäten einer solchen Beliebtheit, dass professionelle Folkmusiker und -gruppen die Idee aufgegriffen haben. Von Waterson/Carthy bis zum Vokaltrio Coope Boyes & Simpson – viele haben inzwischen einzelne Local Carols in ihr Repertoire übernommen, als Verneigung vor einer der wenigen echten Folkmusiktraditionen, die heute noch auf der Insel lebendig sind.
Als Carols werden im Englischen nicht nur Weihnachtslieder bezeichnet, sondern alle geistlichen Lieder der christlichen Feiertage, die über zwei bis drei Stimmen und einen Refrain verfügen. Die Wurzeln der Carols reichen bis ins Mittelalter zurück, wobei der Name vom altfranzösischen Wort carole abgeleitet ist, das ursprünglich einen Tanz mit einem Lied bezeichnete. Ab dem vierzehnten Jahrhundert nahm der Terminus eine religiöse Bedeutung an.
Die Local Christmas Carols im Norden Englands gehen auf eine Liedtradition zurück, die mehr als zweihundert Jahre zurückreicht. Ende des achtzehnten Jahrhunderts waren Kirchenlieder im volksbarocken Stil entstanden, die in der strengen viktorianischen Periode des neunzehnten Jahrhunderts aus dem Gottesdienst verbannt wurden, was viel Unmut unter den Kirchgängern hervorrief. Diese ließen sich ihre Carols nicht einfach nehmen. Sie wurden von nun an zu Hause gesungen, auf der Straße und in den Pubs, wo sie bis heute in der Weihnachtszeit gepflegt werden. Im Advent trifft man sich einmal in der Woche abends zu einem gemeinsamen Singalong, um die Stimmbänder für das Fest in Schwung zu bringen und die Melodien und Texte aufzufrischen.
In Ecclesfield, einem Vorort von Sheffield, geht es vier Wochen vor den Feiertagen los. Am letzten Donnerstagabend im November trifft man sich im Black Bull zum „Carol Singing“ – und dann bis Weihnachten jede Woche. In einem Nebenraum versammeln sich die Teilnehmer. Ungefähr drei Dutzend Gäste sitzen an den kleinen runden Tischchen, trinken Bier und plaudern mit ihren Freunden. Es herrscht eine gelöste Stimmung. Es wird geredet, gelacht, Neuankömmlinge werden begrüßt. Man kennt sich. Wenn der „Striker“, der Vorsänger, an sein Bierglas klopft und den Titel eines Carols in die Runde ruft, verstummen schlagartig die Gespräche. Dann wird in den mitgebrachten Textkopien und Noten nach dem ausgerufenen Song geblättert. Man nimmt noch einen kräftigen Schluck Bier und wischt sich den Schaum vom Mund. Dann schlägt der Vorsänger mit kräftiger Stimme die Melodie an – und alle stimmen ein.

... mehr im Heft.