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Backkatalog   Ausgabe Nr. 5/2016   Internetartikel
»Man sah damals die kulturellen Grenzen innerhalb der jüdischen Gesellschaft nicht.«
Semer Ensemble

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Aktuelles Album:

Rescued Treasure – Live At Gorki Berlin
(Piranha, 2016)


Cover Rescued Treasure


Semer Ensemble

Es ist nicht vorbei

Das Label Bear Family Records veröffentlichte vor Jahren die Edition Vorbei ... Beyond Recall. Diese exzellente CD-Sammlung widmete sich jüdischen Künstlern im nationalsozialistischen Deutschland. Das Semer Ensemble holt seit 2012 einige dieser Lieder zurück auf die Bühne. Dabei entdeckten sie das musikalische Erbe Berlins vor dem Zweiten Weltkrieg neu und bannten ihre Interpretationen auf das Album Rescued Treasure – Live At Gorki Berlin.

Text: Grit Friedrich

Hirsch Lewin (1892-1958) aus Wilna wurde im Ersten Weltkrieg als Zivilgefangener nach Deutschland verschleppt und musste in einer Lokomotivenfabrik arbeiten. Nach dem Krieg blieb er in Berlin und arbeitete zunächst in der Buchhandlung Gonzer bis er 1930 seine Hebräische Buchhandlung in der Grenadierstraße 28 (heute Almstadtstraße 10) eröffnete, im Scheunenviertel mitten in der Hauptstadt. Hier lebten bis Ende der Dreißigerjahre viele Menschen jüdischen Glaubens. Lewin verkaufte religiöse Schriften, Geschichts- und Kinderbücher, Gebetsmäntel, Kerzen, aber auch Schellackplatten seiner eigenen Plattenfirma Semer (semer ist hebräisch und bedeutet Gesang). Diese historischen Aufnahmen tauchten in der Ausstellung „Berlin Transit“ über Migranten aus Osteuropa im Jüdischen Musem Berlin auf, erinnert sich der Komponist, Musiker, künstlerische Leiter des Yiddish Summer Weimar und Gründer des Ensembles Alan Bern. „Es gab da eine faszinierende Klangausstellung über das Semer-Label. Interessant ist, dass man damals die kulturellen Grenzen innerhalb der jüdischen Gesellschaft nicht sah. Auf der einen Seite einer Platte singt ein Kantor ein Gebet und auf der anderen Seite singt der gleiche Kantor eine Volksweise oder ein Lied aus dem jüdischen Theater, was heute nicht wirklich vorkommen würde.“
Pinkas Lavender war so ein stimmgewaltiger Berliner Kantor, der für die Plattenfirma Hirsch Lewins sang. Lewin gab jüdischen Künstlern eine Plattform, die durch die Rassengesetze der Nazis ansonsten aus dem Kulturleben der Hauptstadt ausgeschlossen worden waren. Doch am 9. November 1938, in der sogenannten „Reichskristallnacht“, zerstörten SA-Horden die Hebräische Buchhandlung samt Lager mit 4.500 Schallplatten und 250 Matrizen. Hirsch Lewin wurde verhaftet, kam nach Sachsenhausen und wurde nur unter der Bedingung entlassen, dass er Deutschland umgehend verlässt. Seine Arbeit und sein Label, das so viele wichtige Stimmen Berlins dokumentiert hatte, gerieten in Vergessenheit. Doch einige dieser Melodien singt heute auch Fabian Schnedler, einer der vier Sängerinnen und Sänger im Semer Ensemble. „Ich habe Zeev Lewin kennengelernt, den Sohn von Hirsch Lewin. Er kam 2012 zu unserem ersten Konzert im Jüdischen Museum. Er hat die Novemberpogrome in Berlin miterlebt und uns erzählt, wie sein Vater in Israel die ersten Schallplattenfirmen gründete. ‚Lebka fährt nach Amerikaʻ, das war die Platte, die bei Familie Hirsch immer im Wohnzimmer lief. Er kann sogar mitsingen, das ist schon toll. Bei uns singt es Daniel Kahn.“

... mehr im Heft.