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Editorial

Lie­be Mu­sik­freun­din­nen und -freunde,

in den letzten Jahren mussten wir uns schon an den Gedanken gewöhnen, dass auch in Europa mit Anschlägen von Islamisten zu rechnen ist. In den vergangenen Monaten und Wochen aber haben wir eine außerordentliche Häufung von Terroranschlägen und Amokläufen erlebt, die vielen das Gefühl vermittelt, dass unsere Welt aus den Fugen zu geraten scheint und die Selbstverständlichkeit, mit der wir uns frei im öffentlichen Raum bewegen, brüchig wird. Nach den Anschlägen in Paris, Istanbul, Nizza, Würzburg, München, Reutlingen, Ansbach oder Saint-Étienne-du-Rovay wachsen Angst und Verunsicherung und befördern eine Irrationalität, von der extreme Parteien wie die AfD profitieren. Dabei wirken viele Medien und die sozialen Netzwerke oft wie Brandbeschleuniger, denn sachliche Debatten über Hintergründe und Zusammenhänge werden nicht ausreichend angestoßen und geführt. Im Vordergrund der Berichterstattung steht der Lustgrusel, wie die vielen kursierenden Falschmeldungen und die Bilderjagd und -flut zeigen. Die Gefahr, auf diese Weise Trittbrettfahrer und Nachahmungstäter zu ermutigen, wird dabei billigend in Kauf genommen. Doch auch wer sich über aktuelle Ereignisse sachlich informieren will, hat kaum eine Chance, dem medialen Hyperventilieren aus dem Weg zu gehen.
Was nun bedeutet die Situation und die angespannte Stimmung für Großveranstaltungen? Nur Stunden nach dem Selbstmordanschlag vom 24. Juli auf ein kleines Musikfestival in Ansbach begannen auf Facebook die Spekulationen um das Nürnberger Bardentreffen, das am folgenden Wochenende stattfinden sollte und jedes Jahr von rund 200.000 Menschen besucht wird. Während sich die Festivalleitung mit Stadt und Polizei beriet, wurde im Netz erregt diskutiert, aber weniger als achtundvierzig Stunden nach dem Anschlag von Ansbach stand glücklicherweise fest, dass das Nürnberger Festival – unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen – stattfinden würde. Künstlerabsagen wegen Furcht vor Anschlägen gab es keine. „Insgesamt verlief das Bardentreffen 2016 aus polizeilicher Sicht friedlich und störungsfrei“, resümierte der amtierende Polizeiführer. Dabei wurden diesmal etwa 185.000 Besucher gezählt, etwas weniger also als in den letzten Jahren. Die Entscheidung, diese große Veranstaltung nicht abzusagen, war das richtige Signal, denn auch wenn es manchen Überwindung kostet: Wir sollten uns nicht von unseren Ängsten leiten und unser Leben von Terroristen und Amokläufern bestimmen lassen. „Die Terroristen möchten, dass wir uns nicht mehr sicher fühlen, niemals und nirgendwo. Dass wir an unseren Nachbarn zweifeln, weil sie Ausländer sind oder eine andere Religion haben. Dass wir der Angst erliegen und uns irrational verhalten, dass wir Entscheidungen treffen, die unseren Interessen zuwiderlaufen. Die Terroristen versuchen, unsere Gesellschaften auseinanderzureißen. Wir bekämpfen sie, indem wir sie zusammenhalten“, fasst der französische Journalist Nicolas Hénin zusammen, der 2013/2014 selbst zehn Monate lang
Mike Kamp * Foto: Ingo Nordhofen Geisel des IS in Syrien war. Bringen wir also dort, wo sie fehlt, Besonnenheit in unser Handeln und in die Debatten und bleiben dabei trotzdem achtsam, um möglichen Gefahren zu begegnen.
Nach unseren letzten Länderschwerpunkten England und Norwegen haben wir den Veranstaltungsort der diesjährigen WOMEX, Santiago de Compostela, wo auch der Folker gemeinsam mit Profolk mit einem Stand vertreten sein wird, zum Anlass genommen, uns in dieser Ausgabe mit dem Musikland Spanien zu befassen. Dieses Länderspecial hat unsere Autorin Katrin Wilke entwickelt, die Ihnen in der Titelgeschichte den Kulturraum Galicien mit Porträts des Folkvisionärs Davide Salvado, der Band Radio Cos, des Sängers und Tamburinspielers Xabier Díaz, der Blues- und Rockröhre Sés, der Sängerin Uxía und des Singer/Songwriters Narf musikalisch näher vorstellt. Und was wäre ein Spanien-Schwerpunkt ohne einen Beitrag über Flamenco? Harald Justin gibt ab Seite 34 detailliert Auskunft über das Genre, das seinen Ursprung in unterschiedlichen Kulturen hat und seit 2010 zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit gehört. Dass es um die Folk- und Weltmusikszene in Spanien gar nicht gut bestellt ist, beschreibt Wolfgang König in seinem Text „Überleben in Zeiten der Krise“ auf den Seiten 30 bis 31. Darüber hinaus haben wir in diesem Heft Berichte über das Projekt „Semer Reloaded“, das Aufnahmen der jüdischen Plattenfirma Semer aus Berlin zu neuem Leben erweckt, oder die schottische Sängerin Karen Matheson, Aushängeschild der Band Capercaillie, die auch auf Solopfaden wandelt. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.



Ihre Folker-Chefredakteurin
Sabine Froese