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Backkatalog   Ausgabe Nr. 3/2018   Internetartikel
»In uminter­pre­tierten Liedern konnten die NVA-Soldaten ihrer Sehnsucht nach Freiheit Luft verschaffen.«

Zeitsprung

Mit dieser Serie möchte der Folker den Blick auf die musikalischen Wurzeln von Folk, Lied und Weltmusik lenken. In loser Folge berichtet Ralf Gehler über Musikantengruppen und historische Persönlichkeiten, die das musikalische Leben in früheren Zeiten prägten.

In dieser Ausgabe schreibt er über

Soldatenstube im Regiment Rostock, Achtzigerjahre * Foto: Sammlung Eckbert Riese

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Das Kettenkarussell auf dem Exerzierplatz

Singen bei der NVA

In den Kasernen der Nationalen Volksarmee der DDR bildete sich in den Soldatengemeinschaften eine eigene Kultur mit besonderen Wertevorstellungen, Umgangsformen und Ritualen heraus. Für den Soldaten bestimmte sich der Alltag durch Befehl, Gehorsam und Disziplin. Dieser Fremdbestimmung des Lebens stand eine soldatische Subkultur entgegen. Der Soldat lavierte achtzehn Monate lang ständig zwischen Befehlsgehorsam und Anpassungsmechanismen, die ihm Schutz vor dem Verlust des Selbstwertgefühls boten und Freiräume schufen.
Der singende Soldat war ein häufig propagierter Topos in den DDR-Medien. Er sollte das fröhliche Soldatenleben der NVA in der Öffentlichkeit verbreiten und das Bild der Armee in der Bevölkerung positiv beeinflussen. NVA-Singegruppen wurden geschaffen. Man musizierte zu verschiedensten Anlässen des „sozialistischen Zusammenlebens“. Für die Soldaten dieser Ensembles war der hauptsächliche Grund der Teilnahme an den Singegruppen meist der, dem alltäglichen Leben im Kompaniebereich zu entfliehen und in einem Zirkel musikalisch und auch sonst gebildeter Menschen eine Nische persönlicher Freiheit zu erlangen. Der Einsatz zu Propagandazwecken wurde in Kauf genommen.
Singen auf den Soldatenstuben ohne Öffentlichkeit wurde eher selten praktiziert. Eine Ausnahme stellte das Anstimmen bestimmter Lieder dar, deren Texte verändert wurden und sich mit der NVA-Soldatenkultur in Verbindung bringen ließen. Solche Kontrafrakturen waren dem DDR-Bürger allgemein bekannt. Aus „Zwei Apfelsinen im Haar / Und an der Hüfte Bananen …“ wurde „Zwei Apfelsinen im Jahr / Und zum Parteitag Bananen, / Das ganze Volk schreit Hurra, / Der Kommunismus ist da“. Das bekannte Pionierlied „Pioniere voran“ ist ein weiteres Beispiel: „Pioniere voran, lasst uns vorwärts gehn, / Pioniere voran, lasst die Fahnen wehn. / Unsre Straße sie führt in das Morgenlicht hinein, / Wir sind stolz, Pioniere zu sein.“ Daraus wurde: „Unsre Straße sie führt in den Suppentopf hinein, / Wir sind stolz, Wiener Würstchen zu sein.“

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