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Sexy KerwaDie fränkische Volxmusikszene boomt
Volksmusik, ein Unwort? Nicht in Franken. Dort heißt es „Volxmusik ist Rock ’n’ Roll“ und in manchen Clubs in Bamberg, Erlangen oder Bayreuth ist nichts angesagter als fränkische Kirchweihlieder – in Reinformat, angefolkt, im Balkansound, als Ska oder Rap.
Text: Ulrike Zöller
Franken sind per definitionem freiheitsliebend, weshalb sie sich schon seit Hans Sachs (dem Schuhmacher und Poeten) die Freiheit nehmen, ihre Musik und ihre Musikmischung so zu gestalten, wie sie sie gern hören, feiern und betanzen. Als sich in den 1970er-Jahren im Freistaat Bayern, in den die Franken Anfang des neunzehnten Jahrhunderts durch Napoleon gezwungen wurden, zwei musikalische Lager abzeichneten, entschieden sich viele Frankenmusiker für beide. Für das Lager derer, die die überlieferte Tanz- und Wirtshausmusik erhalten und die traditionellen Instrumente wie Dudelsack und Drehleier wiederbeleben wollten; und für das Lager derer, die, von Rock und Blues bewegt, ihre eigenen Wege suchten. Ja, es gab in den Siebzigern sogar eine „Rote Zelle Volksmusik“, subversives Gedankengut im Volksmusikseminar der Heimatpfleger. Aus der volksmusikalischen Bordunbewegung heraus bildeten sich Bands wie Älabätsch oder die Frankenbänd, und viel mehr als die Altbayern (Ober- und Niederbayern sowie die Oberpfälzer) zeigten sich die Franken damals folkaffin.
In den Neunzigerjahren bildete sich Nürnberg als offene Weltmusikstadt heraus, in der auch von Seiten der Stadtkultur alternative internationale und fränkische Musikprojekte gefördert wurden. Nicht zufällig feierte das Bardentreffen in Nürnberg 2015 bereits sein vierzigjähriges Jubiläum, nicht zufällig wird Europas größtes Festival für afrikanische Musik und Kultur seit 1989 im unterfränkischen Würzburg abgehalten, und nicht zufällig wird der bayerische Creole-Wettbewerb nicht in der Landeshauptstadt, sondern in Nürnberg abgehalten. Und dass Volksmusikanten und -musikantinnen wie die Akkordeonistin, Netzwerkerin und BR-Heimat-Moderatorin Steffi Zachmeier in Tracht wie in Jeans auftreten sowie abwechslungsweise Klezmer und fränkische Volkstanzabende spielen, daran hat man sich in Franken gewöhnt.
In den Nullerjahren aber brachen Studierende der Ethnomusikologie in Bamberg zur Offensive auf. Christoph Lambertz und David Saam – beide im Umfeld der traditionellen Volksmusik aufgewachsen, der eine im nördlichen Oberbayern, der andere in Oberfranken – wollten die Musik zwischen Punk, Folk, Klezmer und Volksmusik ausloten. Dass Tradition und zeitgenössische Klänge wie Elektronik, Rap oder Techno sich nicht widersprechen und gewissermaßen einander bedingen, wurde David Saam bei seinen Auslandssemestern an der Sibelius-Akademie in Helsinki quasi wissenschaftlich nachgewiesen. Allerdings bot sich in Bayern zum freien Umgang mit der Musik eine andere Hürde. Fast überall wird man, wenn man sich als volksmusikaffin outet, der Anhängerschaft des Musikantenstadls, der kommerziellen volkstümlichen Schlagermusik bezichtigt. Für Saam und Lambertz eine Steilvorlage für den offensiven Umgang mit ihrer Musik.
Die Idee war so einfach wie genial. Über das Stilmittel der Satire präsentierten Lambertz und Saam in zuckersüßem Stadloutfit – Saam mit langen blonden Zöpfen – das, was sie unter intelligent fortgeführter Volksmusik verstehen. Der Rahmen war Kabarett bis Klamauk, der Inhalt „Volxmusik“. Der Bamberger Morphclub wurde ab 2003, jeweils an den Tagen, an denen sich der wirkliche Musikantenstadl in der Stadt angesagt hatte, zum Hexenkessel der Musikanten mit x. Die beiden Hausbands des sogenannten Antistadls, der inzwischen ins Erlanger E-Werk umgezogen ist, sind die Kapelle Rohrfrei mit fränkischer bis thailändischer Tanzmusik, und Boxgalopp.
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