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Armbanduhren und WaldgeisterSebastian Krämer und Die gelegentlich auftretenden SchwierigkeitenHeimathafen Neukölln, Berlin, 18.9.2015
Text: Stephan Göritz
Er singt von seiner Armbanduhr, einem Schneemann aus Wolle oder der erlösenden Ansage „Hitzefrei“. Oft beginnen Sebastian Krämers Lieder mit Alltäglichem, heben aber bald ab in eine Dimension, in der keine unserer geliebten Gewissheiten mehr gilt. Eine Armbanduhr, bekennt er, braucht er gar nicht, vielmehr brauche das Plastikprodukt aus China ihn. Wer sonst sollte die Zeiger immer wieder auf korrekte Zeit stellen? Der wollene Schneemann, als Kuschelspielzeug gestrickt, mutiert zum Kinderschreck. Und das Freiheit verheißende Wort „Hitzefrei“ kündigt in Wahrheit neue Zwänge an, jedenfalls für den, der Fantasiereisen im Erdkundeunterricht dem lärmenden Treiben am Badesee vorzieht.
Trotzig feiern diese „Lieder wider besseres Wissen“, so der Programmtitel, den Sieg der Wirklichkeit über das vermeintlich Gewusste. Krämer kann Figuren erschaffen, die man schwer vergisst, kann bizarre Situationen bauen und Erwartungen ad absurdum führen. Eine besondere Freude sind seine korrekten und oft originellen Reime, so wenn „ein Waldgeist / in verwandelter Gestalt reist“ oder der Hell-Express auf dem Rummel als „eine Maschine / für Endzeitaffine“ erscheint. Wohltuend in einer Zeit, in der sich viele mit leicht zu findenden Assonanzen begnügen.
Auch musikalisch sind diese Chansons zwischen Kabarettlied, Popballade und Kammersinfonik Ereignisse. Am Premierenabend beschränkte sich Sebastian Krämer selten auf die eigene Begleitung am Klavier, das er virtuos und variantenreich beherrscht, sondern bat sieben Kollegen um instrumentale Unterstützung in wechselnder Kombination. Ein Quartett aus Klavier, Horn (Karsten Zimmermann), Cello (Angelika Winnen) und Klarinette (Tobias Hömberg) schuf die skurril-unheimliche Atmosphäre für den „Schneemann aus Wolle“, während beim „Goldmedaillenreggae“ die gesamte Band gefordert war. Sie trägt den schönen Namen Die gelegentlich auftretenden Schwierigkeiten. Ein paar Proben mehr hätten ihr sicher geholfen, die Einsätze besser zu synchronisieren. So kann der Bemerkung einer Zuschauerin in der Pause „Die gelegentlich auftretenden Schwierigkeiten machen ihrem Namen Ehre.“ nicht widersprochen werden.
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