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Bossa Muffin für DeutschlandFlavia CoelhoHafen 2, Offenbach/Main, 10.9.2015
Text: Hans-Jürgen Lenhart
Unter den vielen talentierten brasilianischen Sängerinnen ragt in letzter Zeit besonders Flavia Coelho heraus. Sie ist zudem eine der wenigen, die derzeit auch schon mal den Weg nach Deutschland finden. Mit dem Einbeziehen des Publikums wartet sie im Offenbacher Club Hafen 2 nicht lange und animiert die Besucher von der ersten Minute an zu Mitmachritualen. Und das bleibt auch so: Immer gut aufgelegt, wäre sie die ideale Einpeitscherin auf einem Trío-Elétrico-Wagen im Karneval des brasilianischen Nordostens, aus dem sie auch ursprünglich stammt. Sie braucht nicht viel Animation, um das Publikum dazu zu bringen, ihre Tanzschritte auf der Bühne mitzumachen. Vielleicht liegt es am guten deutschen Bier, das sie sich bringen lässt, lobt und wofür sie sich gleich mit Küsschen bedankt.
Coelho singt nicht nur über die Schönheit Brasiliens, sondern auch über die Favelas, in denen sie aufwuchs. Dazu gehört zum Beispiel ein Lied über eine alkoholabhängige Minderjährige, das dennoch gut ins Ohr geht. Sozialkritik und Vergnügen schließen sich in Brasilien eben nicht aus. Vor allem aber ist Coelho die derzeit am fortschrittlichsten klingende Musikerin, die vielfach Electronicaklänge einbaut, ohne dass Songs und Tanzbarkeit darunter leiden. Ihr vorletztes Album war ein Remix ihres Debüts, das angesagte französische DJs in radikaler Form bearbeiteten, und so merkt man auch live, dass sie clubmusikalische Extreme ausgelotet hat, wenngleich sie mit ihrer Gitarre zunächst wie eine normale brasilianische Sängerin wirkt. Aber sie lehnt ihre brasilianischen Songs stark an Reggae und vor allem Dub an, wobei es fließende Übergänge zu Ragga, Ska, Forró oder Baile Funk gibt. „Bossa Muffin“ nennt sie ihren Stil, und dazu genügen live ein Keyboarder, ein Drummer und Coelho mit ihrer E-Gitarre. Wenn die Lieder auf den Höhepunkt zusteuern, springt die Musikerin auf ein Podest, das Lichtgewitter geht los, Coelho tanzt sich die Seele aus dem Leib oder trommelt, und die Dub-Effekte sausen aus den Boxen, dass einem schwindelig wird. Gleichzeitig kann sie auch anders, spielt eine Ballade, die ihr Vater geschrieben hat, mit sehnsüchtiger Melodica im Hintergrund.
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