Zeichnung: Woody Guthrie Mit freundlicher Genehmigung von Woody Guthrie Publications |
Michael Sez
„Wegzukommen ist uns heilig, / Anzukommen ist egal … / […] / Immer unter Strom, / Immer unterwegs und überall zu spät.“ Vor 25 Jahren machten sich Element of Crime mit diesem Text Gedanken zum Thema „Schnelligkeit“. Mittlerweile gibt es kaum noch einen Bereich in unserem Leben, der nicht von der Vorstellung geprägt ist, dass Schnelligkeit eine Tugend an sich ist. So wusste der Verkehrsclub Deutschland zu berichten, dass zwischen 1994 und 2009 das Schritttempo der Fußgänger in unseren Städten um 10 Prozent zugenommen hat. Und wer hätte gedacht, dass dieser Trend noch nicht einmal vor der Musik haltmacht. Zu Lebzeiten Ludwig van Beethovens dauerte seine 3. Sinfonie 60 Minuten. Doch dann haben Dirigenten dieses Werk des Meisters immer schneller spielen lassen. Leonard Bernstein arbeitete sich in den Fünfzigerjahren in 53 Minuten durch das Stück. Eine Dekade später brauchte Herbert von Karajan noch mal drei Minuten weniger. Und vor einigen Jahren dirigierte Riccardo Chailly das Ganze in nur 42 Minuten.
Treibende Kraft der Beschleunigung unseres Alltags ist die Digitalisierung. Dabei ist der digitale Konsum nichts anderes als ein weiteres Beispiel für eine Kultur des „immer mehr“. Beispiel Musik- und Videostreaming: Da immer mehr Produkte der Unterhaltungsindustrie jederzeit und überall verfügbar sind, konsumieren wir mehr. Diese technologische Beschleunigung führt, so Tim Albrecht in Fairkehr, „zur Verstopfung des Alltags“. Ähnliches gilt für unsere Kommunikation. „Wir haben noch nie so viel kommuniziert wie heute und noch nie so wenig miteinander gesprochen“, sagt Joachim Höflich, Kommunikationswissenschaftler der Universität Erfurt, mit Blick auf die Smartphonenutzung der Menschen.
Und schon sind wir bei den asozialen Medien. Was muss eigentlich noch geschehen, dass sich die Menschen von Facebook, Google und Amazon abwenden? Der jüngste Skandal um die Verbindung von Facebook und Cambridge Analytica im Zusammenhang mit dem letzten US-Wahlkampf muss doch dem letzten vor Augen führen, was Mark Zuckerbergs Beteuerungen wirklich wert sind, wonach Facebook eine neutrale Plattform, keine Medienorganisation sei, und man nur die Infrastruktur zur Verfügung stelle, damit sich Menschen mit ihren Freunden austauschen können. Stellen sie doch nichts anderes als Nebelkerzen dar, mit denen davon abgelenkt werden soll, dass Facebook Milliarden mit Anzeigen verdient. So soll Zuckerbergs Unternehmen zum Beispiel achtstellige Beträge allein von Trumps Wahlkampfteam bekommen haben. Für Hugh Dubberly, der einmal für das Design der frühen Apple-Produkte verantwortlich war und heute mit einer eigenen Agentur unter anderem Google, Amazon und Facebook berät, stellt sich im Zusammenhang mit der Tatsache, dass Facebook-Daten von vermutlich mehr als 80 Millionen Menschen bei Cambridge Analytica gelandet sind, die Frage nach der Verantwortung dafür.
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