Folker-Logo   Abo   Mediadaten/Anzeigen


Suche
   Intern   Über uns


Kontakt/Impressum/Datenschutz

       
Backkatalog   Ausgabe Nr. 5/2016   Internetartikel
Michael Kleff * Foto: Ingo Nordhofen

Resonanzboden
— Gedanken zur Zeit




[Zurück zur Übersicht]



Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Printversion, das Heft kann bestellt werden unter www.irish‑shop.de.

Oder gleich zum (Schnupper-)Abo.
















Zeichnung: Woody Guthrie
Mit freundlicher Genehmigung von Woody Guthrie Publications


Michael Sez

Brüssel ist besorgt. Bundeskanzlerin Merkel mahnt Verhältnismäßigkeit an. „Besorgnis“ ist das Mantra, mit dem die europäische Politik – mit wenigen Ausnahmen – auf die Umwandlung der Türkei in eine Diktatur reagiert. Ganz im Sinne von George Orwells Neusprech gibt der türkische Staatspräsident Erdoğan den Verfassungsbruch als Verfassungsverteidigung aus. Würden diese Ereignisse in einem anderen Land, sagen wir Weißrussland, stattfinden, hätte die EU umgehend Wirtschaftssanktionen verhängt und die NATO wäre bereits in Stellung gegangen. Um dieser Entwicklung die Krone aufzusetzen, verweist Erdoğan auch noch auf Menschen- und Grundrechtsverletzungen durch rechtsstaatliche Demokratien. Todesstrafe? Die gibt es auch beim NATO-Partner USA. Lager für vermeintliche Putschisten ohne Gerichtsverfahren? Guantanamo. Gesetzesbeschlüsse am Parlament vorbei? Arbeitsrechtsreform in Frankreich mit Hilfe eines Notparagrafen. Aber nicht nur die Politik gibt in diesen Tagen ein geradezu peinliches Bild ab. Als ob es eine aus Berlin vorgegebene Sprachregelung gäbe, beschränken sich auch die Medien in ihrer Berichterstattung darauf, die Entwicklung in der Türkei mit „Sorge“ zu beobachten. Höhepunkt war ein Interview mit Erdoğan – „exklusiv“, wie die ARD stolz erklärte. Sigmund Gottlieb vom BR-Fernsehen machte dabei für Tomas Avenarius von der Süddeutschen Zeitung den „Stichwort-Kastraten“ und degradierte sich zum „Mikrofonständer am Hof des Neo-Osmanen.“ Ich kann derzeit gar nicht so viel kotzen wie mir schlecht ist.
Auch bei Olympia wird mir übel. Obwohl die Welt-Antidopingagentur Russland bescheinigt hatte, im gesamten Leistungssport systematisches und staatlich angeordnetes Doping
betrieben zu haben, wurde die russische Mannschaft vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) nicht komplett von den Spielen in Rio de Janeiro ausgeschlossen. Die Empörung über diese Entscheidung des Putin-Freundes Thomas Bach führte zu einem heftigen Verbalduell zwischen Diskus-Ass Robert Harting und dem IOC-Chef. Der sei für ihn „Teil des Dopingsystems, nicht des Anti-Doping-Systems. Ich schäme mich für ihn“, empörte sich der Olympiasieger. Bach bezeichnete Hartings Kritik als „eine nicht akzeptable Entgleisung“ und als „nicht hinnehmbar“. Und wie in der Politik – siehe Edward Snowden – werden auch im Sport die Überbringer einer Botschaft bestraft. So darf in Rio abgesehen von den russischen Leichtathleten Putins Staatsdoping an den Start, nicht jedoch 800-Meter-Läuferin Julia Stepanowa, die als Informantin den Skandal erst ins Rollen gebracht hatte. Für das IOC sei Stepanowa selbst mindestens fünf Jahre Teil des Systems gewesen sei. Damit erfülle sie „nicht die ethischen Anforderungen an einen olympischen Athleten“.

... mehr im Heft.