Zeichnung: Woody Guthrie Mit freundlicher Genehmigung von Woody Guthrie Publications |
Michael Sez
Der Schwede Måns Zelmerlöw erlöste viele Freunde des European Song Contest, als er Ende Mai die sechzigste Ausgabe des Liederwettbewerbs der europäischen Rundfunkanstalten mit „Heroes“ gewann, hatte es doch lange nach einem Sieg der Russin Polina Gagarina ausgesehen. Doch 2016 angesichts der politischen Spannungen nach Moskau reisen zu müssen, wäre für manche offensichtlich ein Albtraum gewesen. Nachdem im vergangenen Jahr die russischen ESC-Teilnehmer mit einem gellenden Pfeifkonzert bedacht worden waren, beschworen die Moderatorinnen in der Wiener Stadthalle gleich mehrmals den „Respekt für alle Künstler“. Gemeint war aber wohl vor allem Polina Gagarina. Eindeutige politische Äußerungen der Interpreten sind übrigens laut Reglement untersagt. Dabei hatte die Gründung des Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne durchaus einen politischen Hintergrund. Der Schweizer Marcel Bezençon hatte 1955, zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die Idee für einen grenzüberschreitenden Ableger des italienischen Sanremo-Festivals. Mit dem Motto „Building Bridges“ stand die Idee, Brücken zu schlagen, auch bei der diesjährigen Jubiläumsveranstaltung im Vordergrund. Herausgekommen ist dabei allerdings nicht mehr als eine teure Lichtshow. Sie kaschierte die bei allen Liedern fehlende musikalische Qualität. Nicht ohne Grund bezeichnete der BBC-Moderator Terry Wogan den ESC im letzten Jahr als „Freakshow“. Geradezu naiv klangen in Wien auch indirekte Appelle für den Weltfrieden, zum Beispiel beim ungarischen Wettbewerbsbeitrag „Wars For Nothing“. Letztendlich geht es allen Beteiligten doch nur um den wirtschaftlichen Vorteil. Conchita Wurst gewann 2014 mit einer politischen Botschaft und macht jetzt Werbung für Bank Austria. Und die deutsche Vertreterin Ann Sophie? Sie bekam, wie auch die Österreicher, null Punkte. Peter Urban, der den ESC seit 1997 moderiert, war offensichtlich so erschüttert von diesem Ergebnis, dass er die Sängerin am Ende „Ann Marie“ nannte. Macht aber nichts, denn die Zwischenmoderationen des früheren NDR-Redakteurs waren ohnehin kaum an Belanglosigkeit zu überbieten. Und seinen Humor muss man auch nicht teilen. Schon im Halbfinale wollte er bei der Ankündigung des russischen Beitrags wohl witzig sein, als er bemerkte: „Jetzt kommt schon wieder ein Friedenslied – Luft holen – aus Russland.“ Urban gehörte einmal dem Mitarbeiterstab von Sounds an. Das habe ich gerade beim Durchblättern alter Ausgaben der Musikzeitschrift entdeckt, die als Wiege des deutschen Rockjournalismus angesehen wird. So arbeiteten für sie unter anderem Jörg Gülden, Rolf-Ulrich Kaiser, Diedrich Diederichsen, Harry Rowohlt und Ingeborg Schober, die in jüngster Zeit auch für den Folker geschrieben hat.
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