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Backkatalog   Ausgabe Nr. 6/2016   Internetartikel
»Ich versuche zu verstehen, was in den Menschen früher vorging, die Dramatik und Bedeutung der alten Geschichten.«
Lorcán Mac Mathúna * Foto: Emma Mhic Mhathúna

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Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Printversion, das Heft kann bestellt werden unter www.irish‑shop.de.

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Auswahldiskografie:

Visionaries 1916
(Eigenverlag, 2016)

The Arrows That Murder Sleep
(Eigenverlag, 2015)


Cover Visionaries 1916


Der Klang der Geister und die Poesie der Politik

Lorcán Mac Mathúna

Zwischen Götterwelt und Freiheitskampf

Ein Besucher seines Konzerts beim Rudolstadt-Festival 2016 sprach das aus, was viele im Publikum gespürt haben dürften: „Lorcán Mac Mathúna hat die Geister herausgelassen.“ Fast gespenstisch war die Atmosphäre in der Rudolstädter Stadtkirche. In gälischer Sprache, teils minimalistisch instrumentiert, teils mit neuen Effekten, erzeugte der irische Sänger eine Stimmung, die auch den aufgeklärtesten Zuhörer an die Präsenz von Feen, Geistern und Dämonen glauben ließ.

Text: Ulrike Zöller

Seine Lieder handelten von alten irischen Mythen, Naturgeistern und Göttern, basierend auf Texten aus dem siebten Jahrhundert, erschaffen von Poeten, denen diese spirituelle Welt Lebensinhalt war. Die damalige Vorstellungswelt musikalisch in die Gegenwart zu übersetzen, gelang ihm wie durch Geisterhand, oder genauer gesagt: Geisterkehle. „Ich versuche zunächst zu verstehen, was in den Menschen früher vorging. Die Dramatik und Bedeutung der alten Geschichten, der früher bekannte Inhalt sind uns heute weitgehend verloren gegangen. Schon deswegen, weil die meisten von uns die Sprache nicht verstehen. Ich versuche also durch meine Musik, den Inhalt und die Dramatik verständlich zu machen.“
Dramatisch ist allein schon seine Stimme mit einem eigenartigen, fast geisterhaften, aber nicht aufgesetzten Timbre. Bisweilen weicht Mac Mathúna ab vom reinen A-cappella-Gesang, reichert die Lieder mit Klängen an, die nicht künstlich „auf alt“ gemacht sind, sondern den Inhalt auf zeitgemäße Art neu umsetzen. Vor allem der unter anderem auch bei Altan tätige Akkordeonist Martin Tourish versteht es, begeisternd zeitgenössisch-archaisch musikalische Hintergründe für die altirischen Lieder zu zaubern. „Es ist eine doppelte Freude für mich, diese Lieder zu singen. Einmal, weil es eine tote Sprache ist, die vor Hunderten oder Tausenden von Jahren gesprochen wurde. Und zum anderen, weil es eine ganz andere Welt war, eine Welt ohne Licht. Vielleicht waren diese Geschichten das Licht dieser Welt.“, erklärt Lorcán Mac Mathuna nach dem Rudolstädter Konzert im Interview.
Die gälische Sprache, die während der englischen Besatzungszeit immer mehr an Bedeutung verloren hatte, war in den 1950er-Jahren in weiten Teilen des Landes ausgestorben. Mac Mathúnas Großvater, der in der westirischen Grafschaft Clare lebte, sprach noch gälisch, sein Vater lernte es dagegen erst in der Schule. Immerhin ist das Irische seit 1937 erste Amstsprache, auch wenn sie heute nur noch von knapp zwei Prozent der Bevölkerung im täglichen Umgang verwendet wird. Waren früher Gälischsprecher hauptsächlich Bauern und Bildungsferne in abgelegenen Gegenden, hat sich seit den 1970er-Jahren das Blatt gewendet. Iren, die die Sprache bewusst pflegen wollten und sich um ihre Wiederbelebung und die von Liedern und Musik bemühten, begaben sich in die Gaeltacht genannten Regionen Irlands, in denen die Sprache noch im Alltag präsent war. Zu dieser Generation gehörten auch Mac Mathúnas Eltern. Sein Vater, ein bekannter Querflötenspieler, war fasziniert von irischer Musik und irischem Sean-Nós-Gesang, einem alten Gesangsstil, bei dem die Lieder unbegleitet und solistisch vorgetragen werden, mit lang gezogenen, oft verschnörkelten und verzierten Noten.

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