Buchtipps:
Michael Brunner, Bedeutende Linden – 400 Baumriesen Deutschlands (Bern, 2007)
Rainer Graefe, Bauten aus lebenden Bäumen – Geleitete Tanz- und Gerichtslinden (Aachen, 2014)
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Am Brunnen vor dem ToreDie Linde als Baum der Lieder und des Tanzes
„Under der linden an der heide, dâ unser zweier bette was …“, besang Minnesänger Walther von der Vogelweide im Mittelalter ein Schäferstündchen unter dem Baum der Liebe. Er erklingt in „Kein schöner Land“, „Hoch auf dem gelben Wagen“ oder „Nun will der Lenz uns grüßen“. Überall, wo Linden gedeihen, sind sie in Geschichten, Gedichten, Liedern, im Glauben und im Brauchtum präsent.
Text: Kay Reinhardt
Das verwundert nicht. Ihr mächtiger, meist ausgehöhlter Stamm, der von gewaltiger Lebenskraft zeugt, ihre dichte Krone, die Schatten und Schutz spenden, der süße Duft ihrer unzähligen Blüten, die Beschwerden lindern und Honigbienen weiden lassen, ihre herzförmigen Blätter (ein uraltes Liebessymbol), ihr ideales Schnitzholz, auch ihr geschmeidiger Bast, der schon in der Steinzeit zu Wänden, Schuhen, Körben oder Seilen verarbeitet wurde, sind gute Gründe dafür, dass Menschen Linden lieben und verehren, seit sie sie kennen. Und zwar überall, wo Linden wachsen.
Gute Gründe für die Linde
Davon zeugen zahlreiche Orts-, Vor- und Familiennamen wie etwa Leipzig oder das lettische Liepāja. Das hohe Alter mancher Linden, die vermeintlich schon immer da waren, ließen Unsterblichkeit und somit göttliche Nähe vermuten. Die Linde galt als Baum der Liebesgöttinnen bei den alten Griechen, den Germanen und Slawen: Aphrodite, Freya und Lada. Auch den Kelten soll sie heilig gewesen sein. Den christlichen Missionaren blieb nichts anderes übrig, als die alten Kraftplätze mit dem Marienkult zu verbinden.
Die im Juni blühende Sommerlinde war früher nicht nur im deutschsprachigen Raum der Dorfmittelpunkt. In manchen Orten wurden Lindenbäume zu regelrechten Tanzsälen erzogen und ausgebaut – ein Jahrzehnte dauernder Prozess. Untere Äste wurden dabei abgestützt und zu waagerechten Kränzen geformt, die später die Bretter des Tanzbodens, Geländer und Treppe tragen.
Tanzlinden, die zwischen zweihundert und vierhundert Jahre alt sind, haben in vielen deutschen Dörfern überlebt.
Die Tanzlinde in Rudolstadt
Kein Wunder, dass die Tänzerin, Tanzpädagogin und Choreographin Eva Sollich – seit 2013 RUTH-Preisträgerin – von einer Tanzlinde für Rudolstadt träumte. Mit der Unterstützung des Rudolstadt-Festivals konnte sie ihren Traum im Heinepark beim ältesten Freilichtmuseum Deutschlands, den Thüringer Bauernhäusern, wahrmachen; die Linde wurde am 12. April 2014 gepflanzt. Ein besserer Platz war kaum denkbar, denn dort können Museumsbesucher von April bis Oktober und etwa hunderttausend Festivalgäste jährlich das Gedeihen der Tanzlinde erleben und etwas über die Pflanze als Freude- und Liebesbaum erfahren.
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