Albumtipp:
1. Chansonfest Berlin (Duo-phon records, 1996; einzige Veröffentlichung mit Liveaufnahmen vom Chansonfest Berlin)
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Das Chanson darf allesZwanzig Jahre Chansonfest BerlinIntelligente Lieder jenseits des Amüsierbetriebs
Es war einmal in den wilden Neunzigern des vorigen Jahrhunderts ein Häuflein Liederleute um den Chansonsänger Boris Steinberg, die freuten sich über die vielen Kleinkunstbühnen, die Berlin nach dem Mauerfall wieder so bunt machten, wie es in den Goldenen Zwanzigern gewesen sein soll. Doch sie fanden es falsch, das Chanson auf sein Unterhaltungspotenzial zu reduzieren. Immer wieder wurden die bekannten Lieder von Friedrich Hollaender und anderen gesungen und Frechheiten zelebriert, die vor einem Dreivierteljahrhundert provozieren konnten.
Text: Stephan Göritz
Höchste Zeit, das Chanson jenseits des Amüsierbetriebs wiederzuentdecken, am besten mit einem Festival. Im August 1996 war es so weit: Im Varietésalon der UFA-Fabrik in Berlin-Tempelhof, wo einst Lieder für Tonfilmoperetten eingespielt wurden, trafen sich Chansonsänger, um drei Tage lang das intelligente Lied von heute zu feiern. Zwar hatten viele Künstler des ersten Chansonfests Berlin noch nah an der Comedy gebaut, doch bald fand es sein Profil.
Hauchen und schreien
Marianne Iser und Thomas Duda aus Hannover behaupteten hier als Schneewittchen die Gegenposition zu den Edith Piafs dieser Welt und verkündeten, dass sie alles bereuen, besonders jene Tage, an denen sie nicht waren, wer sie sind. Die in Deutschland lebende Russin Morin Smolé verzauberte mit Liedern, in denen sie nach Art der Symbolisten das Land hinter dem Spiegel sucht. Und Malediva mit seinen zu Metaphern erhobenen Alltagsgeschichten konnte man beim Chansonfest Berlin schon entdecken, bevor Lo Malinke und Tetta Müller landesweit ihr Publikum fanden. Nachdem das Duo im vorigen Jahr seine Bühnenarbeit beendete, gehört der Auftritt von Malediva zu den unwiederholbaren.
Keine Erinnerung, sondern lebendige Gegenwart ist die Öffnung des Genres. Heute darf das Chanson alles – rocken, jazzen, hauchen, schreien, schmachten. Diese Freiheiten hat das Chansonfest mit durchgesetzt. Der Preis dafür waren gelegentliche Irrtümer wie der Auftritt von Freddy Fischer & his Cosmic-Rock-Time-Band, der 2005 vorzeitig beendet werden musste. Anwohner hatten die Polizei gerufen, weil sie kurz vor Mitternacht lieber schlafen wollten als die Gläser in ihren Schränken festzuhalten.
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