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Folker-Halbmast
GRAEME ALLWRIGHT
7.11.1926, Wellington, Neuseeland,
bis 16.2.2020, Paris, Frankreich
Das passte: Der Friedhof liegt neben einem großen Weingut in Pernon-Vergelesses (Burgund), am Grab erklang „Jolie Bouteille Sacrée Bouteille“. Der im zarten Alter von 93 verblichene gebürtige Neuseeländer war seit 1948 in seiner Wahlheimat Frankreich und bis zuletzt auf der Bühne aktiv. Mit seinen Liedern ist er fest im frankofonen Liedgut verankert – gesungen am Lagerfeuer, bei Jugendbegegnungen und Jumelagen (Edingen-Neckarhausen!) und an der Festtafel. Das Bindeglied zwischen Chanson (Brassens auf Englisch) und Folksong (Tom Paxton, Pete Seeger, Woody Guthrie und natürlich Leonard Cohen – „Suzanne“), ein unermüdlicher, getreuer, das Süßliche vermeidende Vermittler und Kommunikator, dem die Karriere egal war. Wann immer er Geld hatte, verschwand er in der Welt. Sein eigenes „Il Faut Que Je M’En Aille“ erklang am Grab auch – diesmal stimmte es zum ersten Mal wirklich.
Gerd Heger
HANS-DIETRICH „BÖMMES“ MOHR
8.9.1938, Düsseldorf,
bis 18.2.2020, Schwelm
Im bürgerlichen Leben hieß er Hans-Dietrich Mohr und leitete eine kleine Traditionsfirma für Türschlösser. In der Folk- und Liedermacherszene war er bekannt unter dem Namen Bömmes. Wichtige Prägungen erfuhr er früh durch den Nerother Wandervogel, besonders was das intensive Musizieren und Fahrten in ferne Länder betrifft. Aus Afrika und Lateinamerika brachten die Nerother Weltfahrer Lieder mit nach Hause, deren Klänge und Rhythmen in unseren Breiten noch nahezu unbekannt waren. Gemeinsam mit Freunden (darunter Black Lechleiter und Goly Münchrath) gründete Bömmes die Gruppe Die Neusser, später in Die Pontocs umbenannt, die als erste Weltmusikformation in Deutschland gelten kann. Schon auf dem ersten Waldeck-Festival 1964 wurden die Pontocs überschwänglich gefeiert. Auch als Solokünstler erntete Bömmes große Anerkennung – er war der wohl beste Carl-Michael-Bellman-Interpret hierzulande, sang mit ausdrucksstarker Stimme Lieder von Villon, Grasshoff, Helwig, Brecht und anderen, wobei auch immer sein kunstvolles Gitarrenspiel überzeugte. Grüß mir all die Liebenden und Liebeskranken, die Zecher und Spukgestalten, die Musikanten und Vagabunden, die Poeten und Bonvivants, denen du dich zugehörig fühltest. Mach’s gut, Bömmes!
Kai Engelke
CLAUDE FLAGEL
1.7.1932, Paris, Frankreich,
bis 25.2.2020, Brüssel, Belgien
Wer in den Siebzigerjahren die Drehleier entdeckte, hatte wenig Chancen, Aufnahmen auf Tonträgern zu finden. Eine der wenigen LPs war die auf dem französischen Label Le Chant du Monde 1973 veröffentlichte Special Instrumental – La Vielle Par Claude Flagel. Flagel war ein in Brüssel lebender französischer Musiker, der auf diesem Album eine bunte Sammlung an Drehleierrepertoire präsentierte, von Mittelalter („Lamento Di Tristano“) über Barock („Il Pastor Fido“ von Vivaldi/Chédéville) bis hin zu bekannten Weisen der französischen, flämischen und wallonischen Volksmusik. Claude Flagel war sein ganzes Leben unzertrennlich verbunden mit seiner Gattin und Kollegin Lou. Er profilierte sich nicht speziell als Drehleierspieler, war eher ein Musikwissenschaftler, darüber hinaus Sänger, Sammler, Tontechniker, Produzent, Tänzer und Erzähler und war im Laufe der Jahre an diversen Musikproduktionen beteiligt. Gemeinsam mit seiner Frau bereiste er bevorzugt Ungarn und Wallonien, aber auch Korsika, Zentralafrika, das Baskenland, Portugal, Indien oder Guinea und machte Feldaufnahmen alter, teilweise vergessener Musik. Lou sorgte für die Aufzeichnung der dazugehörigen Tänze. Ergebnisse dieser Reisen veröffentlichten sie auf ihrem Label Fonti Musicali, teilweise in Zusammenarbeit mit dem Afrikamuseum in Tervuren.
René Meeuws, mit Dank an Gaby Schreiner (Übersetzung)
SUSAN WEINERT
24.6.1965, Neunkirchen/Saar,
bis 2.3.2020, Neunkirchen/Saar
Susan Weinert zählte zu den führenden deutschen Jazzgitarristinnen. In den Siebziger- und Achtzigerjahren begann ihre Karriere mit stark elektrisch geprägtem Fusion Jazz, später tauschte sie die E-Gitarre immer häufiger gegen eine akustische und in ihre musikalischen Projekte mischten sich vermehrt Einflüsse aus Klassik und Weltmusik. Mit ihrem Rainbow Trio spielte Susan Weinert im vergangenen Herbst ihr vierzehntes und letztes Album ein, Der Baum vor meinem Fenster. Susan Weinert erlag einem langjährigen Krebsleiden.
Redaktion
JULIE ANN FELIX
14.6.1938, Santa Barbara, Kalifornien, USA,
bis 22.3.2020, Chorleywood, England
Die in Kalifornien geborene US-amerikanische Folksängerin gehörte in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre zu den populärsten Folksonginterpretinnen in Großbritannien. Die Times nannte sie „Britain’s First Lady of Folk“. Im September 1968 trat sie bei den Internationalen Essener Songtagen auf. Von Ende 1967 bis 1970 hatte sie ihre eigenen BBC-Fernsehshow (Once More With Felix). Ihre Single „If I Could (El Condor Pasa)“ schaffte es in die Top 20 der Singlecharts. Sie starb nach kurzer Krankheit im Alter von 81 Jahren.
Redaktion
ERIC WEISSBERG
16.8.1939, Brooklyn, New York, USA,
bis 22.3.2020, Detroit, Michigan, USA
Sein Name ist untrennbar mit dem Hollywood-Film Deliverance (Beim Sterben ist jeder der Erste) aus dem Jahre 1972 verbunden, dessen musikalisches Thema „Dueling Banjos“ mit Weissbergs virtuosem Banjosolo es 1973 in den USA und Kanada auf den zweiten Platz der Hitparaden schaffte. Weissberg erlangte seine musikalische Ausbildung unter anderem an der renommierten Juilliard School. Der Multiinstrumentalist war Mitglied der Folkgruppe The Tarriers und ein gefragter Sessionmusiker. Er starb mit achtzig Jahren an den Folgen einer Alzheimererkrankung.
Redaktion
EMMANUEL N’DJOKÉ „MANU“ DIBANGO
12.12.1933, Douala, Kamerun,
bis 24.3.2020, Paris, Frankreich
Wie so oft war es auch bei Manu Dibango der Zufall, der ihm den internationalen Durchbruch bescherte, und das zu einer Zeit, als afrikanische Musik zumeist noch nicht mal als Exotikum wahrgenommen wurde. „Soul Makossa“, ein musikalisch eigentlich simpler Titel, der eher zufällig entstanden war (weil für die B-Seite einer Single noch ein Song gebraucht wurde), geriet ebenso zufällig in die Hände eines New Yorker DJs, der das Stück bekannt machte. Auch die Musikerkarriere war nicht geplant. Nach Frankreich geschickt, um dort die Schule zu beenden und Medizin zu studieren, lernte er Saxofon und Vibrafon und schrieb sich für Musik ein, was ihn die Zuwendungen seines erbosten Vaters kostete. Als Musiker war Dibango offen für stilistische Einflüsse aus dem Jazz, aus Kuba und Jamaika und natürlich aus anderen Ländern Afrikas, schließlich lebten in Paris Musiker aus allen Teilen des Kontinents. Damit wurde Manu Dibango ein Pionier der Weltmusikwelle, die Ende der Achtziger anrollte. Nun erlag er mit 86 dem Coronavirus.
Wolfgang König
LUIS EDUARDO AUTE MARTÍNEZ
13.9.1943, Manila, Philippinen
bis 4.4.2020, Madrid, Spanien
Der Dichter, Cantautor, Maler und Filmemacher war während der Sechziger- und Siebzigerjahre Mitglied der Liedermacherbewegung Nueva Cancíon. Er wurde in der Zeit des Übergangs von der Franco-Diktatur zur Demokratie in Spanien Ende der Siebziger mit Liedern wie „Al Alba“, „Las Cuatro Y Diez“ und „De Paso“ zu einer prägenden Identifikationsfigur der Jugend.
Redaktion
JOHN PRINE
10.10.1946, Maywood, Illinois, USA,
bis 7.4.2020, Nashville, Tennessee
„Ya’ know that old trees just grow stronger, / And old rivers grow wilder every day, / Old people just grow lonesome / Waiting for someone to say ,Hello in there, hello‘“ („Hello In There“). 1971, auf dem Höhepunkt des Jugendkults – „Trau keinem über dreißig!“ –, nur John Prine, 24, war anders. Selbes Jahr, selbes Debütalbum: „I am an old woman named after my mother, / My old man is another child that’s grown old. / If dreams were lightning, thunder were desire / This old house would have burnt down a long time ago“ („Angel From Montgomery“) – eine ältere Frau, Einsamkeit zu zweit. „How the hell can a person go to work in the morning, / Come home in the evening and have nothing to say.“ John Prine war der Menschenfreund unter den Singer/Songwritern. Über den eigenen Horizont hinaus hatte er den Blick für die anderen. Womöglich nie ein Konzert, bei dem er nicht den schon 1984 verstorbenen Freund Steve Goodman noch einmal herzte. Für eigenen Jammer dagegen lieber ein Witzchen – wie das über die erste der beiden Krebsattacken, bei der er endlich in die Stimmlage sackte, die er sich schon immer gewünscht hatte. „To believe in this livin’ is just a hard way to go“ („Angel From Montgomery“). John Prine – von Publikum und Kollegenschaft gleichermaßen verehrt – rang seinem Glauben ans Leben mit Humor und viel Sanftmut eine große Karriere ab, mit einem erfüllten Familienleben zusätzlich belohnt. Nach langen gesundheitlichen Problemen starb er am 7. April 73-jährig. Seine Songs werden bleiben.
Christian Beck
JACQUES PELLEN
April 1957, Brest, Finistère, Frankreich,
bis 20.4.2020, Brest, Finistère, Frankreich
Jaques Pellen gehörte zum bretonischen „Star-Gitarristen Quartett“, zusammen mit Dan Ar Braz, Soïg Sibéril und Gilles Le Bigot. Schon früh beschäftigte er sich nach einer fundierten musikalischen Ausbildung mit der Musik seiner Heimat im keltischen Teil Frankreichs. In den Siebzigern kam es zu einer Zusammenarbeit mit dem Sänger und Geiger Melaine Favennec und der (inzwischen ebenfalls verstorbenen) Harfenistin Kristen Nogués. Ein wichtiger und enger musikalischer Begleiter war Dan Ar Braz, in dessen großem Projekt L’Héritage des Celtes er mitwirkte und mit dem er noch im vorletzten Jahr ein Akustikgitarrenprogramm präsentierte. In den frühen Neunzigern bildete er zusammen mit den Brüdern Jacky und Patrick Molard das Trio Tryptique. Sein wohl größter Erfolg war das von ihm komponierte musikalische Projekt Celtic Procession, bei dem er eine große Zahl von bretonischen Musikern um sich versammelte. Jacques Pellen verstarb nach einem mehrwöchigen Kampf gegen das Coronavirus in Brest, seiner Heimatstadt im bretonischen Finistère.
Hans Martin Derow (An Erminig)
ALPHA OUSMANE „HAMA“ SANKARÉ
ca. 1954, Mali,
bis 29.3.2020, Niafunké, Mali
Percussionist, Sänger und Komponist, Gründungsmitglied der Ali Farka Touré Band, gefragter Session- und Studiomusiker. Sankaré starb mit weiteren Opfern in einem Auto, das zwischen Niafunké und Mopti auf eine Landmine fuhr.
BASTIAAN SPRINGER
30.9.1952, Amsterdam, Niederlande,
bis 28.3.2020, Amsterdam, Niederlande
Der Weltmusikjournalist arbeitete unter anderem für das niederländische Radio 5 („Dichtbij Nederland“), Afropop Worldwide sowie für die Publikationen fRoots und Songlines.
Kai Engelke
TONY OLADIPO ALLEN
12.8.1940, Lagos, Nigeria
bis 30.4.2020, Paris, Frankreich
Wohl kein anderer Schlagzeuger hatte so wie Tony Allen Fans unter Musikern ganz unterschiedlicher Genres. Und kaum einer hatte einen so ausgeprägten Personalstil. Das was fast alle Drummer permanent machen (auf der Snare die 2 und 4 markieren), war bei ihm fast nie zu hören. Trotzdem war er immer ein unermüdlicher musikalischer Motor. Und wenn Fela Kuti als Schöpfer des Afrobeat bezeichnet wird, dann ist das nicht falsch, unterschlägt aber den Beitrag von Tony Allen, ohne den es diesen Stil so nicht gegeben hätte. Als er in den Sechzigerjahren anfing zu trommeln, waren moderne Musikinstrumente in Westafrika für die meisten Künstler unerschwinglich. Das Equipment wurde zumeist von wohlhabenden Geschäftsleuten gestellt, die sich dafür einen fürstlichen Anteil an den Gagen sicherten. Nach dem berühmt-berüchtigten Auftritt Fela Kutis bei den Berliner Jazztagen 1978 verließ Tony Allen dessen Band. Zwei Jahre später ging er nach London und, als er Visaprobleme bekam, nach Paris, das zu seiner Wahlheimat wurde. Er spielte mit eigenen Bands und war ein gefragter Gast sowohl bei Tourneen als auch im Studio. „Ich wollte Drummer werden, weil ich fasziniert davon war, wie man von diesem Instrument im Hintergrund aus die ganze Band steuern kann“, sagte Allen einmal. Nur wenige Schlagzeuger haben das so großartig gemacht wie er.
Wolfgang König
„IDIR“ HAMID CHERIET
25.10.1949, Aït Lahcène, Beni Yenni, Algerien,
bis 2.5.2020, Paris, Frankreich
Idir, der universelle Berber, mit bürgerlichem Namen Hamid Cheriet, starb am 2. Mai 2020 im Alter von siebzig Jahren in einem Pariser Krankenhaus. Mit „A Vava Inouva“ („Mein Kleiner Papa“) erzielte der algerische Sänger und Komponist 1973 den ersten internationalen Erfolg für einen Song aus dem Maghreb. Das Lied mit einem Text des Dichters Ben Mohamed wurde in fünfzehn Sprachen übersetzt und in über siebzig Ländern gespielt. Auf beiden Seiten des Mittelmeeres löste sein Tod Trauer aus. „Idir besang seine kabylischen Wurzeln mit der Melancholie eines Exilierten und die Brüderlichkeit unter den Völkern mit den Hoffnungen eines Humanisten“, schrieb der französische Präsident Emmanuel Macron auf Twitter. Hamid Cheriet wird am 25. Oktober 1949 in dem Dorf Aït Lahcène in den Bergen des Djudjura-Gebirges in der algerischen Kabylei geboren. 1975 kommt er nach Paris, um sein erstes Album aufzunehmen. In Frankreich verfolgt er seine Karriere mit einer subtilen Mischung musikalischer Kulturen und in Begleitung von sehr unterschiedlichen Künstlern. 1995 singt er, während in Algerien der Bürgerkrieg tobt, auf einer Veranstaltung in Paris unter dem Motto „Algérie la vie“ mit Khaled den Song „El Harba Wine“. 2001 unterstützt Idir den Aufstand der Berber in Algerien mit einem Konzert in der Pariser Halle Zénith. Er macht Tourneen und gibt Konzerte, sowohl mit den Berbern der neuen Generation, zum Beispiel Akli D und Takfarinas, wie auch mit Rappern, unter anderem Akhenaton und Grand Corps Malade. Seine musikalische Basis ist die Flöte der kabylischen Hirten, er spielt Gitarre, „übersetzt“ die traditionellen Percussions auch auf das Saiteninstrument. Seine melodiösen Kompositionen singt er auf Kabylisch und Französisch. Mit sieben Studioalben erneuert er das kabylische Liedgut und macht es international bekannt. Idir war ein feiner, höflicher und humorvoller Mensch, hielt sich fern vom „Showbusiness“. Der Pionier der „Weltmusik“ litt an einer Lungenfibrose und lebte die letzten Monate zurückgezogen. Die Pariser Weltmusikszene ist in Trauer und kann diese aufgrund der Anti-Corona-Maßnahmen nicht einmal mit Hommagen und Konzerten ausdrücken.
Martina Zimmermann
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