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Backkatalog   Ausgabe Nr. 3/2018   Internetartikel
Tom Russell  * Foto: Nadine Russell

Resonanzboden
— Gedanken zur Zeit

Gastspiel





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tomrussell.com
tomrussellart.com


Autoreninfo:


Tom Russell wuchs in Los Angeles auf. 1973 schloss er sich der Countryszene in Austin, Texas, an. Seitdem gehört er als Songwriter zum festen Bestandteil der US-amerikanischen Country- und Folkszene. Sein aktuelles Album Folk Hotel erschien 2017.


Songwriting in einem hohlen Zeitalter

„Du kannst nur über das schreiben, was du siehst“ (Woody Guthrie)

Für einen meiner ersten Songs bekam ich 1974 beim ersten und letzten Woody Guthrie Festival of Songs einen Preis. Das Lied „Here’s Your Indian, Mr. White Man“ handelt von Indianern in einer heruntergekommenen Gegend Vancouvers, wo ich damals in Spelunken spielte. Es war kein großartiger Song, aber er war unverblümt, ehrlich und brachte meine Gedanken zur Notlage der amerikanischen Ureinwohner zum Ausdruck. Earl Robinson, der „I Dreamed I Saw Joe Hill Last Night“ vertont hatte, rief mich aus Seattle an und sagte, dass er mir die Preisstatue persönlich vorbeibringen würde. Er fragte mich auch, welchem ​​Stamm ich denn angehöre. Ich antwortete ihm, ich sei kein Indianer und hätte das auch nie behauptet. Wie es aussah, wollten sie aber ein indianisches Aushängeschild. Earl murmelte nur noch, er würde die Statue schicken. Er war enttäuscht. Die Auszeichnung steht heute in meinem Studio in Santa Fe – ein wunderschöner Keramiktroubadour mit Gitarre, handgefertigt von einer von Woody Guthries Nichten. Auf dem Messingschild steht: „‚Du kannst nur über das schreiben, was du siehst‘, Woody Guthrie.“ In der Tat.

Text: Tom Russell

Im selben Jahr schrieb ich „The End Of The Trail“, das 1974 beim American Song Festival in der Kategorie Country gewann. In dem Lied geht es um drei Indianer, einen, der in der kanadischen Provinz British Columbia totgetreten wurde, und zwei, die man in Minnesota zu Unrecht aufgehängt hatte. Die Festivalmacher flogen uns Gewinner zu einer Fernsehshow des Senders ABC in New York, wo eine schmalzige Countryformation das Stück total verunstaltete und die indianischen Stammesnamen änderte, weil sie sie nicht aussprechen konnten. Das Lied gewann trotzdem. Darüber zu schreiben, was du siehst, hatte also seine Höhen und Tiefen.
In den letzten vierzig Jahren habe ich viele Songs geschrieben, die man als gesellschaftspolitisch bezeichnen könnte. In „Manzanar“ beispielsweise geht es um Internierungslager für Japaner in den Vierzigern. Ich fühle mich sehr geehrt, dass der Song unter anderem von Laurie Lewis, Anne Hills und Tom Paxton gecovert wurde. Er gehört auch zu den Lieblingsliedern des TV-Moderatoren David Letterman. Das gemeinsam mit Dave Alvin geschriebene „California Snow“ handelt von einem Grenzsoldaten in San Diego, der während der Ausübung seines Jobs versucht, illegale Einwanderer menschlich zu behandeln. Der Song kommt nicht gerade als Kinderlied daher, das mit falscher Moral gute und böse Menschen, Polizisten und Opfer voneinander unterscheidet. Worauf ich vielmehr abziele, ist der schmale Grat, auf der einen Seite die Wahrheit zu sagen, ohne dabei auf der anderen selbstgerecht zu werden.


Übersetzung: Michael Kleff

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Dies ist eine Kolumne. Für die Inhalte der hier veröffentlichten Texte sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Diese Inhalte spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.