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Autoreninfo:
Werner Fuhr,
Jahrgang 1950, war von 1977 bis 2015 Musikredakteur beim WDR-Hörfunk, 1978 bis 1994 bei der von Henning Venske moderierten Sendung Folklorebazar, 1984 bis 1994 bei der täglichen Sendung Vom Bosporus bis Gibraltar, 1995 bis 1997 bei Musikpassagen auf WDR Radio 5, die er auch konzipierte. 1998 bis 2008 war er Koordinator im Redaktionsteam der WDR 3 Musikpassagen, einer täglichen genreübergreifend thematischen Musiksendung. Von 2006 bis 2015 betreute er verstärkt Konzert-, Festival- und Mitschnittproduktionen für WDR 3 Konzert, WDR 3 Musikkulturen und WDR 3 Open – Soundworld.
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Kein richtiges Leben im falschen?Die jüngsten Reformen bei Funkhaus Europa und WDR 3
„WDR kills the radio DJ.“ Global-Pop-mäßig sollte geklotzt werden – mit der Anspielung auf eine Medienrevolution, die mit dem Radio-Star-Killerhit der Buggles einst auf MTV begann. So große Rhetorik angesichts von ein paar geplanten Veränderungen eines kleinen Radioprogramms? Klar, Knall und Glamour stylen, stimulieren, stärken den Protest. Und nicht nur den. Auch der Normalbetrieb bei Pop- wie musikalischer Hochkultur funktioniert mit Stars als Leitfiguren. Gemeinsame Geschäftsgrundlage: Musik als Handling und Konsum von Titeln, Werken, geistigem Eigentum, das sich profitabel machen lässt. Unser musikalisches Selbstverständnis, die gesamte Musikindustrie und auch die Existenzen der allermeisten Musikerinnen und Musiker gründen sich darauf. Die Soundtracks unseres Lebens ohne Charts und GEMA? Undenkbar. So weit, so mainstreamig-normal.
Text: Werner Fuhr
Vorhang auf. Im Sommer 1977 trat ich eine Musikredakteursstelle beim WDR-Hörfunk an. Es herrschte Aufbruchstimmung. Neue Liveveranstaltungsreihen waren gerade installiert worden: „Matinee der Liedersänger“, „WDR Folkfestival“, „Nachtmusik im WDR“. Von Sparzwang noch nichts zu spüren. Mit musikalischem Sachverstand und aufgeklärtem Nach-Achtundsechziger-Blick agierte das Management einer damals noch bestehenden Hauptabteilung Musik, innerhalb derer die Fachredaktion Volksmusik ein weites Arbeitsfeld beackerte. Hier war man sensibel gleichermaßen für Laienmusizieren und Brauchtum, für Themen der Globalisierung wie des Regionalismus, der klassischen und populären Traditionen Afrikas und des Orients wie des europäischen Folks und des Mundartrevivals. Und lange vor der Einrichtung von Funkhaus Europa spiegelten sich die Kulturen der Einwanderer von diesseits und jenseits des Mittelmeers und aus Osteuropa wie dem Nahen Osten in der vielsprachigen Musikreihe „Vom Bosporus bis Gibraltar“.
Im Radio zu hören waren handgemachte, nicht selten gewöhnungs- und in ihrer Präsentation auch oft verbesserungsbedürftige Programme ohne Charts, Liveproduktionen (fast) ohne Stars, dafür aber jede Menge neu zu entdeckender Musiken. Und das öffentlich-rechtliche Radio war als vor Kommerzialität geschützter Freiraum ein idealer Ort, abseits des medialen Mainstreams existierende musikalische Welten zugänglich zu machen, und zwar in möglichst angemessenen, nicht sofort hypenden, Hintergründe ausleuchtenden Darstellungsformen. Viele glückliche Jahre lang war das für mich so etwas wie reale Utopie, die musikalisch (um Adorno zu zitieren und ihm zu widersprechen) mögliche Erfahrung eines „richtigen Lebens im falschen“.
Vorhang zu. Was ist seitdem anders? Grundsätzlich dies: Anstatt inhaltlich nach Abteilungen funktioniert der WDR-Hörfunk nun nach Wellen. Resultat: ein enorm gewachsener Formatierungsdruck – obwohl ja durch Internet und multimediale Programmkonzepte (für zeitunabhängige Mediennutzung) hier vielleicht auch Entspannung hätte erwartet werden können. Dazu von außen der politisch verordnete Sparzwang. Ein wirkliches Dilemma für die Entscheider – sie wissen alles über Charts und Rotation, aber letztlich, was Musik betrifft, nicht wirklich, was sie tun.
... mehr im Heft.
Dies ist eine Kolumne. Für die Inhalte der hier veröffentlichten Texte sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Diese Inhalte spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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