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Autoreninfo:
Colin Irwin
schreibt seit fast vierzig Jahren über Musik und war Redaktionsmitglied bei Melody Maker sowie Chefredakteur des Number One Magazine. Er veröffentlichte eine Reihe von Büchern, darunter In Search of the Craic und In Search of Albion mit Geschichten seiner Reisen in Irland und England, Sing When You’re Winning über die Geschichte des Liedes im Fußball sowie Biografisches über Bob Dylan, Neil Young und Abba. Er ist Autor verschiedener Theaterstücke und arbeitete als Radiomoderator für die BBC. Mit dem Schwerpunkt Folkmusik schreibt er heute Beiträge für Mojo und Froots sowie für verschiedene britische Tageszeitungen wie den Guardian oder den Daily Telegraph. Irwin lebt in London und an der irischen Westküste.
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Musik kann die Welt doch nicht verändern, oder?Wo sind die intelligenten, unangepassten Songs, die uns aufrütteln?
Sind Songtexte unwichtig geworden? Ich frage ja nur, weil dieser boshafte kleine Halunke Robert Zimmerman kürzlich von der Zeitschrift Rolling Stone interviewt wurde und im Grunde seinen eigenen Mythos in die Tonne trat, indem er sich eines fünfzig Jahre währenden „Schabernacks“ gegenüber der Öffentlichkeit bezichtigte. „Offensichtlich lag Lincoln falsch“, sagte er, „du kannst den Leuten jederzeit etwas vormachen“, und begann selbstironisch den Text von „Subterranean Homesick Blues“ zu zerlegen … „‚Don’t wanna be a bum / You better chew gum / The pump don’t work / 'Cause the vandals took the handles …' Ich dachte mir einfach simple Reime aus. Jedes Kind hätte das Gleiche machen können.“ Ja, genau, Bob … Und wie ist es mit: „You put a gun in my hand / And you hide from my eyes / And you turn and run farther / When the fast bullets fly“ („Masters Of War“). Hätte ein Kind das schreiben können? Und sag uns bitte, Bob, warum ist das noch heute von so brennender Wichtigkeit wie an dem Tag, an dem es vor fünf Dekaden geschrieben wurde?
Bob Dylans Ablehnung der ihm übergestülpten Rolle, „Prophet unserer Zeit“ oder „Sprachrohr einer Generation“ zu sein, ist allen geläufig …, aber die Abwertung seines eigenen „klassischen“ Werks – ob im Scherz oder ernsthaft – ist nachvollziehbar. „Ich wollte nie ein Erlöser oder Prophet sein“, sagt er jetzt, „Ich wollte vielleicht Elvis sein…, aber ein Prophet, nein.“ Seine Texte wurden von Anfang an ganz genau unter die Lupe genommen und einige der Interpretationen waren so lächerlich und weit hergeholt, dass es einen zum Lachen brachte. Aber Songtexte hatten damals eine Wirkung und eine Bedeutung die heute traurigerweise fehlen, und ich verstehe nicht so recht, warum.
In den ungestümen politischen Sechzigerjahren war die Folkmusik zugeschnitten auf Leute, die mit jemandem ein Hühnchen zu rupfen hatten und das mit wütenden Reimen tun wollten. Aber die Protestbewegung wurde, wie jede Bewegung, die unbeabsichtigt populär wird, vom Kapital gekapert, und Dylan, der Möchtegern-Elvis, floh schnell vor seinem eigenen Schatten. In den folgenden Jahrzehnten beanspruchten andere Genres die Protesthaltung. Für kurze Zeit terrorisierte der Punk mit einer rotzigen Schrotflintenattacke voll aggressiver Slogans die Musikindustrie; Reggae hatte seinen Anteil an Empörung und Wut; und der ureigene Zorn von Rap und Hip-Hop hätte die gelegentlichen Bewertungen als modernes Idiom des Folksongs gerechtfertigt, wenn nicht hier und da Sexismus und Homophobie seine Aussagen überschattet hätten. Also, wo sind die intelligenten, scharf argumentierenden, unangepassten Songs, die uns wirklich aufrütteln und
heute dazu veranlassen, in den Spiegel zu schauen?
Die englischsprachige Originalfassung dieses Beitrags erschien in der kanadischen Musikzeitschrift Penguin Eggs.
Übersetzung: Thomas Brandt
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Dies ist eine Kolumne. Für die Inhalte der hier veröffentlichten Texte sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Diese Inhalte spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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