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Editorial

Lie­be Mu­sik­freun­din­nen und -freunde,

eigentlich gab es ja andere und eher interne Themen für diese Eröffnungsworte. Wussten Sie zum Beispiel, dass dieses Magazin nun zwan­zig Jahre alt ist? Na ja, wir sind zugegebener­maßen nicht die Besten darin, uns selbst zu feiern, aber es stimmt schon: Wenn wir es nicht selbst machen, dann macht es keiner. Also trösten wir uns mit dem Gedanken, dass wir das Folker-Ju­bi­lä­um noch das ganze Jahr über feiern und uns in diesen Monaten noch die eine oder andere Jubiläumsaktion einfallen kann.
Nähern wir uns dem angesagten Thema auf Umwegen. Die Folker-Ausgabe 3/2017, am besten kombiniert mit dem Programmheft des Rudolstadt-Festivals vom letzten Jahr, erbrachte für alle Musikinteressierte in Deutschland den Beweis: Die schottische Folkmusik boomt ohne Ende. Und nicht nur das, die junge Generation übernimmt die Führung, zumindest was das aktive Musizieren angeht. Im Publikum überwiegt (noch) wie bei uns die Haarfarbe grau. Die anglofone Folkmusik kennt diese Revivalwellen, aber der Erfolg in Schottland ist außergewöhnlich. Was ist der Grund? Die Experten, unter anderem Phil Smillie von den Tannahill Weavers im Interview auf den Seiten 50-51, sind sich einig: Es gibt natürlich diverse Faktoren, aber es ist in erster Linie die folkmusikalische Ausbildung von Kindesbeinen an, die für diese kreative Explosion verantwortlich ist. Und die Gelder dafür werden vom seit 1999 dezentral agierenden schottischen Parlament zur Verfügung gestellt. Es geht also alles, wenn der politische Wille da ist.
Womit wir dann in Deutschland gelandet wären, wo der politische Wille, traditionelle Volksmusik zu fördern, gegen null geht. Sorry, Folks, kein Geld für so was übrig. Das verstehen wir selbstverständlich alle bestens. Es ist natürlich für eine Bundesregierung jedweder Couleur wichtiger, zum Beispiel den Verteidigungshaushalt mit Hinweis auf den politischen Willen der NATO auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, also von 37 Milliarden Euro 2017 auf über 60 Milliarden. Wie viele Nullen waren das noch mal?
Zumal es ein wunderbares Totschlagargument gibt: Hey, Kultur ist doch Ländersache! Stimmt, aber auch da ist ziemlich tote Hose angesagt – meines Wissens mit ein bis zwei Ausnahmen. Es gibt den Kulturrat des Schwäbischen Albvereins, und es gibt das strikt konservativ regierte Bayern. Da stellt die Landesregierung beziehungsweise das Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst 718.500 Euro alleine zur Förderung der Volksmusik zur Verfügung. Hinzu kommen Millionenbeträge zur Förderung der Laienmusik, die unter anderem der Volksmusik zugutekommen. Das sind Gelder, mit denen natürlich auch hemmungslos getümelt und getrachtelt, aber ebenfalls von Kindesbeinen an traditionelle bayrische Musik unterrichtet wird. Das ist die Basis, auf der Gruppen wie Kofelgschroa oder Labrassbanda ihren zeitgemäßen Sound aufbauen. Wo
Mike Kamp * Foto: Ingo Nordhofen in Deutschland gibt es Vergleichbares?
Wenn ich hier von zu fördernder deutscher Volksmusik rede, dann garantiert nicht im völkischen oder tümelnden Sinne. Ich meine solche traditionellen Lieder und Melodien, wie sie spätestens seit dem Kleinen dicken Liederbuch Anfang der Achtziger oder der Arbeit des Volksliedforschers Wolfgang Steinitz für alle zugreifbar sind, ohne Chauvinismus oder Nationalismus. Und klar dürfte auch sein: Es gibt keine reine Volksmusik, in keinem Land, auch nicht in Schottland. Musiken haben sich schon immer vermischt und Anregungen aus anderen Kulturkreisen bezogen. Insofern ist zum Beispiel das Konzept des Creole-Wettbewerbs völlig richtig. Nur fehlt dort mit ganz wenigen regionalen Ausnahmen das Moment der deutschen Volks- oder wegen meiner auch Volxmusik. Nur wenn diese so selbstverständlich wie Jazz oder Klassik unterrichtet wird, können Musiker und Musikerinnen ausgebildet werden, die irgendwann dazu in der Lage sind, kreativ mit ihrer traditionellen Musik zu arbeiten – wie das eben in Schottland selbstverständlich ist.
Ich bin sicher, ich erzähle Ihnen in diesem Zusammenhang nichts Neues: Der Folker ist mangels Pressemacht rein subjektiv gesehen in erster Linie ein wunderbares und unerlässliches, aber faktisch bloß begleitendes und dokumentierendes Medium. Dinge ansprechen und diskutieren ist machbar und unsere Pflicht, aber eine mittlere Revolution loszutreten ist die Sache von Gruppen, Initiativen, Institutionen – oder eben auch Regierungen, regional oder national. Wenn sie denn den Willen dazu haben …



Ihr Folker-Herausgeber
Mike Kamp








Post aus dem Beirat

Ulrich Doberenz * Foto: Ingo Nordhofen Mit dem Spruch „Es war nicht alles schlecht in der DDR“ macht man sich vor allem in den alten Bundesländern nicht unbedingt Freunde. Was aber in den Achtzigerjahren in der Leipziger Liederszene abspielte, kann sich heute immer noch sehen lassen. Diese Szene bestand aus Liedermachern und Chansonsängern, Schauspielern und Textern, Komponisten, Kabarettisten und Folkloristen, die auf einschlägigen Festivals wie den Chansontagen der DDR in Frankfurt/Oder mit schöner Regelmäßigkeit Preise einsammelten wie etwa Heinz-Martin Benecke, Ute Frank, Werner Bernreuther, Tobias Klug, José Perez, Ilona Schlott, Joachim Schäfer und Andreas Reimann – die Litanei könnte man noch eine Weile weiterbeten. Über sechzig Gruppen und Solisten gehörten zur engeren Leipziger Szene und bescherten der Messestadt den Beinamen „Hauptstadt des Chansons“. Ohne tiefzustapeln kann man sagen, dass die wortgewaltige Liederszene 1989 einen nicht unwesentlichen Beitrag zum „Großen Andersrum“, wie das Duo Sonnenschirm die Wende nannte, leistete.
Vor zwei Jahren reifte die Idee, die Vielfalt der damaligen Szene zu dokumentieren Dieter Kalka und Hubertus Schmidt machten sich an die Arbeit und sammelten, was sich finden ließ. Zuerst entstand ein Wikipedia-Eintrag, dann folgte eine mit Fotos und selbstironischen Sprüchen gespickte Website (logopaedie-connewitz.de/leipziger%20liederszene). Zusammen mit dem Leipziger Lœwenzahn-Verlag werkelte man seit Sommer letzten Jahres an der Produktion einer DVD/CD-Edition. Dank Stefan Gööck, der als einstiger Kulturkabinettchef und Filmklubleiter viele Konzerte auf Video aufgezeichnet hatte, gab es etwa fünfzig Stunden Bildmaterial, unter anderem auch das Kehrauskonzert im Haus der Volkskunst, das fünfzehn Jahre lang wichtigster Veranstaltungsort der Szene gewesen war und 1993 schließen musste. Viele Künstler stifteten einen Song. Das sechzigseitige, von Jürgen B. Wolff lexikalisch aufgemachte Booklet versammelt Fotos, Zeitdokumente und Kurzbiografien der Aktiven nebst persönlichen Resümees.
Um dem Projekt ein gerüttelt Maß Aufmerksamkeit angedeihen zu lassen, fand am 2. Februar 2018 im Leipziger Werk 2 ein dreistündiges Livekonzert mit noch aktiven Protagonisten der damaligen Liederszene statt (Konzertbericht folgt in Folker 3/2018), zu dem sich Jens-Paul Wollenberg, Jörg „Ko“ Kokott, Ines Krautwurst & Stephan König, Dieter Kalka, Susanne Grütz & Hubertus Schmidt, Willy Keindorf und das Duo Sonnenschirm die Ehre gaben. Der einstige Szenerezensent Harald Pfeifer schrieb in der Leipziger Volkszeitung: „Das Programm steht als ein Zeichen, dass vor Jahren das Lied in Leipzig eine bemerkenswert gute Zeit hatte.“

Ulrich Doberenz