Liebe Musikfreundinnen und -freunde,
es geht auch anders – diesen Satz würde ich in Anbetracht der momentanen welt- und innenpolitischen Lage und der damit verbundenen
Emotionalisierung in den öffentlichen Debatten gern öfter hören. Grundlegende Fragen wie die nach der Verantwortung der westlichen Welt zum Beispiel für den
Syrien-Konflikt (so hat etwa Deutschland 2015 im ersten Halbjahr fast so viele Rüstungsgüter ins Ausland verkauft wie im gesamten Vorjahr) spielen dabei kaum eine Rolle.
Wobei genau hier die Suche nach Antworten wegweisende Lösungsansätze mit sich bringen könnte, wie Michy Reincke in seinem „Gastspiel“ auf Seite 49 aufzeigt. Dass es zumindest konkret vor Ort auch anders geht, beweisen unter anderem die zahlreichen freiwilligen Helfer, die den zu uns Geflohenen tatkräftig unter die Arme greifen. Da werden Spenden gesammelt, Deutschkurse gegeben, Kulturprojekte mit Flüchtlingen oder eine Übersetzerdatenbank initiiert, das Refugee Radio, das auf Arabisch und Englisch über rechtliche Themen oder ehrenamtliche Projekte informiert, gegründet oder die Kiron University eingerichtet, die Flüchtlingen kostenlos ein Onlinestudium ermöglicht.
„Geht auch anders“ heißt auch eine Initiative von etwa fünfzig Künstlern aus verschiedenen Sparten, die sich 2013 vor der Bundestagswahl zusammenfanden, weil den Kreativen eine ernsthafte Auseinandersetzung der Politiker mit den wichtigen anstehenden Themen fehlte. Mit Hilfe dieses informellen, parteiunabhängigen Zusammenschlusses mischen sie sich seither ein im Sinne einer sozialen, partizipativen Gesellschaft, die die Menschen, die Grundrechte und die Umwelt schützen soll. Dazu steht die Plattform jedem offen, der konstruktive Vorschläge machen oder Forderungen einbringen möchte. Mit dabei sind der Filmemacher Detlev Buck, die Schriftstellerin Juli Zeh und die Musiker Herbert Grönemeyer und Pierre Baigorry alias Peter Fox, der sich im November vergangenen Jahres im Gespräch mit dem Berliner Umweltsenator Andreas Geisel für einen konsequenteren Klimaschutz eingesetzt hat.
Dass es etwas bringt, sich aktiv zur Wehr zu setzen, machte auch die Demonstration gegen die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA im Oktober in Berlin deutlich, zu der nach Angaben der Veranstalter etwa zweihundertfünfzigtausend Teilnehmer kamen, denn Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich gut drei Wochen später zum ersten Mal öffentlich zu TTIP und Kultur und unterstrich die Position der Bundesregierung, dass das „Freihandelsabkommen keinerlei Bestimmungen enthalten soll, die die Kultur- und Medienvielfalt bei uns beeinträchtigen“. Der nächste Schritt ist jetzt die praktische Umsetzung dieses Bekenntnisses, bleiben wir dran …
Auch in dieser Ausgabe |
des Folker spielen die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, unter denen Musik entsteht und auf den Markt gebracht wird, eine wichtige Rolle. Im Interview mit dem Labelinhaber Ramin Sadighi erfahren Sie Näheres über seine Arbeit im Iran, wir stellen Ihnen außerdem den weißrussischen Liedermacher Victor Shalkevich vor sowie die Rapperin Sister Fa, die sich gegen weibliche Genitalverstümmelung in ihrer Heimat Senegal einsetzt und ihre Popularität nutzt, um vor Ort aufzuklären. Der Artikel von Christoph Wagner über die US-amerikanische Band Los Lobos, die ihre Wurzeln in Mexiko hat, wirft ein Licht auf die schwierige Lage der Immigranten aus diesem Land. Die scharf bewachte Grenze zwischen den USA und dem lateinamerikanischen Nachbarn, die zwischen 1998 und 2013 über sechstausend Todesopfer forderte, sollte für uns in Europa ein abschreckendes Beispiel bei den Diskussionen um die Sicherung unserer Außengrenzen sein.
Leider müssen wir uns in jeder Ausgabe auch gegen viele interessante Themen entscheiden, denn der Platz ist knapp: Neben der Titelgeschichte ist im Folker maximal Raum für zwölf Artikel zu Bands und Solisten aus den Genres Folk, Weltmusik und Singer/Songwriter. Um für diese Berichterstattung etwas mehr Spielraum zu gewinnen, werden wir daher in Zukunft nur noch in jedem zweiten Heft ein Labelporträt veröffentlichen, und zwar in den Ausgaben 2, 4 und 6 jedes Jahres.
Ich wünsche Ihnen alles Gute für 2016 und viel Vergnügen bei der Lektüre unseres aktuellen Heftes.
Ihre Folker-Chefredakteurin
Sabine Froese
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