Aktuelles Album:
Azel (Partisan Records, 2016)
|
|
Tuareg-Rock und WüstenbluesBombinoWerte von gestern für die Welt von morgen?
Ob Musik aus dem afrikanisch-arabischen Raum nach 9/11, nach den Terroranschlägen in Paris, nach Köln, in Furcht vor dem IS-Terror und inmitten eines Europa, das sich als Festung gegenüber afrikanisch-arabischen Flüchtlingen zu behaupten versucht, noch auf eine Willkommenskultur hoffen kann? Mit Bombino lässt sich diese Frage neu stellen.
Text: Harald Justin
Es gibt diese Liebesgeschichte, diese gewisse Sehnsucht. Europa und Afrika, da sucht sich etwas. Nur was? Manchmal ist es gut, den Wegen dieser Sehnsucht zu folgen, damit Amors Pfeile ins Ziel finden. Einer dieser Liebenden ist Bombino. Der andere, das sind wir alle, die wir uns für afrikanische Musik begeistern, aber doch frühestens seit dem 11. September das naive Verhältnis zur Musik dieses Kontinents überdenken. Wer hat nicht schon zu Jivemusik aus Südafrika getanzt, Raï aus Algerien gehört, sich von den Koraklängen aus Mali davontragen lassen? Nur, nachdem der islamistische Terror im Westen angekommen ist, fragt man sich bei jeder Prophetenpreisung, ob man da nicht als Ungläubiger Spaß an martialischen Kopf-ab-Gesängen hat und den Untergang des Abendlandes tanzend mitbegrüßt. Die Selbstverständlichkeit ist dahin, mit der man früher diese Musiken umarmt hat. Grund genug, sich einmal differenzierter bei Bombino umzuhören.
Eigentlich heißt er Omara Moctar und ist E-Gitarrist aus Niger, dem großflächigen westafrikanischen Wüstenstaat, der mehr als doppelt so groß ist wie Frankreich. Mit Azel legt er das Nachfolgealbum zu Nomad vor, das 2013 von dem weißen Bluesrocker und Black-Keys-Mastermind Dan Auerbach produziert und vom amerikanischen Rockmagazin Rolling Stone zu den fünfzig besten Alben des Jahres gezählt wurde. Azel ist sein fünftes Album, aufgenommen in einem Studio in der Nähe von Woodstock. Als Besucher gefällt Bombino die waldreiche Gegend in Woodstock. In einem kleinen Wüstendorf geboren, lebt er heute in Niamey, der Hauptstadt von Niger. Der Fan afrikanischer Gitarristen wie Ali Farka Toure und Ibrahim Ag Alhabib von Tinariwen sowie von Rockgitarristen wie Santana und Jimi Hendrix freut sich, an einem Ort zu sein, an dem sich die beiden Letztgenannten einst in die Geschichte der Jugendkultur spielten. „Das ist schon inspirierend“, meint er.
Das neue Werk rockt heftig. Sich wiederholende, einfache E-Gitarrenriffs sind tonangebend, das Trommelwerk ist treibend und überlagert sich. „Die Rhythmen und Melodien stammen von traditioneller Tuareg-Musik“, erklärt er. „Ich arrangiere sie neu. Diese Lieder haben einen weiten Weg hinter sich, sie stammen von unseren Vorfahren. Dazu kommen westliche Einflüsse, besonders aus den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren. Rock, Blues, Reggae. Auf Azel finden sich viele Reggae-Elemente. Ich liebe Bob Marley, und dieses Mal kam ein Reggae-Feeling hinzu – ‚Tuareggae‘!“ Im allerweitesten Sinn erinnert Azel, das im Juni Platz eins sowohl der World Music Charts Europe als auch der Transglobal World Music Chart belegte, an die Musik anderer Tuareg-Rocker wie Tinariwen, Tartit oder Terakaft. Und natürlich an, wie er betont, Ali Farka Toure. Laut Albumaufschrift war er der „König der Wüstenbluessänger“, und der Bluesmann aus Mali schrieb ein nicht unwichtiges Kapitel in der Geschichte des musikalischen Austausches zwischen Afrika, Europa und Amerika.
... mehr im Heft. |
|