Aktuelles Album:
Nayda! (Real World Records/Indigo, 2020)
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Bab L’BluzDer wilde Duft von Marrakesch
Marrakesch. Mit diesen drei Silben verbinden sich sagenhafte Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, Bilder vom großen Platz Djemaa el Fna, Düfte aus Moschus, Jasmin und Kaffee, die Klänge der Gnawa-Ensembles, die Schalmeien der Schlangenbeschwörer und die Schreie der Gaukler. Marrakesch, dieses Vielvölkerscharnier zwischen Sahara und Atlas faszinierte Literaten wie Elias Canetti, Modeschöpfer wie Yves Saint Laurent und Musiker von Crosby, Stills & Nash bis Brian Eno. Die Faszination ist ungebrochen und wird von einer Band namens Bab L’Bluz jetzt weitergetragen – ihr Debütalbum ist eine soghafte akustische Droge und nennt sich Nayda!.
Text: Stefan Franzen
Nayda ist ein Begriff, der in Marokko spätestens seit der Jahrtausendwende verankert ist. Damals sorgte der Wechsel im Königshaus vom autokratischen Hassan II., der seine Gegner noch in Kerkern dahinsiechen ließ, zum gemäßigteren Sohn Mohammed VI. für gesellschaftliche Lockerungen. Und auch für einen Riesenschub innerhalb der Musikszene. Rapper, Hardrocker und Jazzer vereinten sich in der Nayda-Jugendbewegung, Minderheiten machten sich musikalisch bemerkbar, wie die Berber und die Gnawa, Nachfahren ehemaliger Sklaven, die die Marokkaner aus Schwarzafrika verschleppt hatten. „Nayda heißt im Darija, dem marokkanischen Arabisch, zum einen ‚Party‘, zum anderen steht es für intellektuelles Aufwachen, für eine aufrechte Haltung, dafür, nicht einfach der Schafherde hinterherzulaufen“, sagt Yousra Mansour, Frontfrau von Bab L’Bluz.
Die quirlige Sängerin wuchs in der Küstenstadt El Jadida im libertären Geist von Nayda auf. „In El Jadida hat man ein bisschen von allem gehört. Meine Eltern waren Fans von Janis Joplin, Michael Jackson und Led Zeppelin, aber gleichzeitig war die traditionelle und klassische marokkanische Musik sehr präsent, die Gnawamusik, die araboandalusische. Es gab also zu Hause eine große Spannbreite. El Jadida hat Einflüsse verschiedenster Völker erlebt – die Berber, die Araber, die Portugiesen, die Franzosen waren dort. Aus diesem geschichtlichen Wechsel kommt der kulturelle Reichtum. Ich selbst habe mich auch für brasilianische Musik interessiert, die in den Rhythmen viel Verwandtschaft zur Musik der Gnawa hat.“ Doch es gab noch eine Stadt, die in Mansours Jugend größere Faszination ausübte, das nahe Essaouira. Jedes Jahr pilgerte sie dorthin, um im Team des weltweit bekannten Gnawafestivals mitzuhelfen.
„Ich wurde immer mehr von dieser Musik in den Bann gezogen“, erzählt sie. Was wenig erstaunt bei den kreisenden Beschwörungszeremonien, die für die Gnawa charakteristisch sind. „2017 habe ich das Spiel auf der Gimbri begonnen, der Basslaute der Gnawa, und ich wurde in Marrakesch für ein Gnawa-Jazz-Projekt angefragt.“ Auf der dritten marokkanischen Station ihrer Vita lernte sie den Franzosen Brice Bottin kennen, mit ihm, dem Drummer Hafid Zouaoui und dem Flötisten Jérôme Bartolome formte sie schließlich das Quartett Bab L’Bluz. „Wir verstehen uns als erweitertes Powertrio im Geist der Bands von Jimi Hendrix. Die Grundenergie heißt Rock, aber dann kommen Zutaten aus den marokkanischen Provinzen, aus der Gnawa- und Berbermusik, aus der Poesie der Hassania in Mauretanien dazu“, erläutert sie den Stilmix. Bab L’Bluz bedeutet „Tor zum Blues“, zum afrikanischen freilich, der viel älter ist als sein US-Bruder.
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