Aktuelles Album:
Die Feuersteins II (Ruhrfolk, 2018)
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Jochen Malmsheimer interviewt die Feuersteins
Sprachgewalt trifft Deutschfolk. Der mit vielen Preisen ausgezeichnete Kabarettist Jochen Malmsheimer und der Musiker, Autor und Produzent Guntmar Feuerstein kennen sich seit vielen Jahren. Gemeinsam standen die Bochumer auf der Bühne und schrieben Radiocomedy. Feuerstein nahm sämtliche Malmsheimer-Hörbücher in seinem Studio auf. Anlässlich des neuen Albums besuchte der Kabarettist den Deutschfolker und dessen Töchter Carla und Emily.
Malmsheimer: Ihr habt im März euer zweites Album veröffentlicht, das, wie ich finde, ein ganz außergewöhnliches ist.
Carla Feuerstein: Das rote …
Malmsheimer: In der Tat, es ist rot. Aber so einfarbig das Cover auch sein mag, so buntschillernd ist eure Musik. Da gehtʼs von Country über folkige Popsongs und deutsches Volksliedgut bis hin zu mitreißenden Instrumentalstücken. Wie kam das zustande?
Emily Feuerstein: Als wir die CD machen wollten, kam jeder von uns mit zehn Titeln an, die er toll fand. Aber am Ende kriegt man nur drei oder vier Lieder durch. Das waren bei mir die Countrysongs von L. Bow Grease, die Papa mit seinem Partner Dave Jackson geschrieben hat. Ich liebe Countrymusik, und ich bin – das kann ich ja hier gern verraten – ein großer Dolly-Parton-Fan.
Carla Feuerstein: Oh ja, das ist sie! Wir alle lieben Country und Bluegrass.
Guntmar Feuerstein: Und Carla gräbt gern alte deutsche Arbeiterlieder und Gedichte aus, die wir dann neu vertonen oder arrangieren. Und weil sie schon seit Jahren in Glasgow lebt, hat sie natürlich auch ein großes Herz für schottische beziehungsweise gälische Musik.
Malmsheimer: Eure CD beginnt ungewohnt dramatisch mit dem Lied „Tief unten“. Der Text stammt vom sozialistischen Bergmann und Dichter Heinrich Kämpchen. Ist das ein dezenter Hinweis auf eure politische Einstellung, und sind solche Texte heute eigentlich noch aktuell?
Guntmar Feuerstein: Heinrich Kämpchen war ein Heimatdichter aus Bochum, und wir suchen gern nach lokalen Bezügen für unsere Musik. Außerdem ist die Tradition des Bergbaus an der Ruhr immer noch sehr gegenwärtig, in unserer Sprache, den alten Straßennamen. Man sieht überall noch Fördertürme, wenn man durchs Revier fährt. Das ist für uns heute noch ein wichtiger Aspekt von lebendiger Folkmusik. Und die hat auch immer einen politischen Ansatz gehabt und ein großes Herz für die Schwachen.
Malmsheimer: Der Titel „Viel zu viel ist nicht genug“ ist fast schon ein Popsong mit Mitsingqualität. Da geht’s um Musikmachen unter Freunden …
Emily Feuerstein: Der Song ist eigentlich fast eine Eins-zu-eins-Beschreibung von Papas Geburtstagsfeier vor zwei Jahren. Das war bei uns im Garten, mit Lagerfeuer, leckerem Essen, sehr vielen Getränken …
Guntmar Feuerstein: Toxischen Getränken!
Emily Feuerstein: Klar! (alles lacht) Und natürlich mit vielen Freunden, mit denen wir zusammen musizieren. Das machen wir sehr oft. Irgendwann heißt es, hol doch mal die Gitarre und das Banjo. Bei unseren Bekannten und Freunden ist das ganz ähnlich, das breitet sich immer mehr aus. Es gibt viele Sessions, zu Hause oder in Kneipen.
Malmsheimer: Ihr habt keine Berührungsängste mit Country oder Pop und scheut euch auch nicht, ein Wurlitzer-Piano im Folk einzusetzen. Ist das nicht schon fast zu kommerziell?
Guntmar Feuerstein: Die Grenzen verwischen heutzutage! Es ist einfach alles in Bewegung.
Malmsheimer: Worauf kommt’s euch denn beim neuen Album an, auf Hörbarkeit, Tanzbarkeit?
Guntmar Feuerstein: Es geht immer um gute Melodien, sowohl bei den Songs als auch bei den Instrumentalstücken. Denn wir haben versucht, unseren eigenen Sound zu finden. Mit dem Wurlitzer und den typischen Folkinstrumenten
gefällt uns das sehr gut. Und wir arbeiten recht lange an filigranen Arrangements, damit man auch nach mehrmaligem Hören immer noch etwas Neues entdecken kann. Das wirkt hier und da schon ziemlich konzertant. Aber wir haben
auch großen Spaß an stampfenden Rhythmen oder schnellen Reels und fetzigen Polkas wie zum Beispiel im „Guitjo Set“. Dazu kann man prima tanzen.
Malmsheimer: Jetzt würde ein klassischer Musikredakteur fragen, wo soll ich die hinstecken? Wer oder was sind die? Ist das nicht ein Problem für euch in diesen Schubladenzeiten?
Guntmar Feuerstein: Ich empfinde es eher als ein Kompliment, wenn das einer sagt. Für mich ist Musik einfach zu breit und zu vielfältig, als dass ich mich auf ein spezielles Genre reduzieren möchte. Außerdem stecken wir mit den Feuersteins in so einer winzigen Nische, verglichen mit dem, was im Mainstream so abläuft. Da habe ich keine Angst, dort auch noch aus dem Rahmen zu fallen.
Malmsheimer: Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern hat die jüngere deutsche Geschichte leider viele Wurzeln unserer Volksmusik schwer beschädigt. Was wünscht ihr eurer Musik?
Carla Feuerstein: Vielleicht generell etwas mehr Wertschätzung im Hinblick auf handgemachte Musik? Ich habe nichts gegen Techno, House oder was auch immer. Aber dieses unmittelbare, wenn jemand direkt vor dir musiziert, akustisch mit seinem Instrument, oder einfach nur singt, das hat schon was. Davon hätte ich gern mehr!
Malmsheimer: Guntmar, du bist in den Achtzigern mal recht berühmt gewesen mit deiner Band Strandjungs. Ihr wart Nummer eins in der ZDF-Hitparade mit „Surfen aufʼm Baggersee“. Das kann man heute noch googeln.
Guntmar Feuerstein: Ja, das war natürlich sensationell für uns, die wir aus dem Ruhrpott kamen. Das waren Bereiche, von denen wir nie gedacht hätten, dass wir da mal reinkommen.
Malmsheimer: Und dann vom Pop zum Folk als Familienband Die Feuersteins. Wie geht das?
Guntmar Feuerstein: Es begann wie bei vielen anderen mit dem Film O Brother, Where Art Thou?. Der gefiel den Töchtern sehr gut. Vor allem dieses putzige Lied „In The Highways“, das die Peasall Sisters zu dritt schmettern. Die beiden hatten es sofort drauf, und ich musste die dritte Stimme singen. Das war der Startschuss.
Malmsheimer: Emmi, war es freiwillig oder war es Hauspolitik, dass die Kinder Musik machten?
Emily Feuerstein: Es kam einfach so, glaube ich. Wir haben unsere erste Gitarre zu Weihnachten geschenkt bekommen, ʼne Plastikgitarre, und da haben wir viel drauf gespielt. Carla immer ein bisschen mehr und auch sehr viel besser. Ich habe mir letztens unsere alten Familienvideos angeguckt. Da habe ich anscheinend im Urlaub Konzerte gegeben. Da war eine Szene, in der ich ein Lied von Ape und Feuerstein zum Besten gegeben habe. Da habʼ ich mit einer Bürste in der Hand gestanden und gesungen.
Malmsheimer: Großartig! Luftgitarre, Bürstenmikro! Ich komme noch auf das „Trinklied vorm Abgang“, die Vertonung eines Gedichts von Theodor Kramer, das letzte Stück des neuen Albums.
Emily Feuerstein: Das ist auch live unser definitiv letztes Lied, danach geht nichts mehr.
Malmsheimer: Das kann ich mir sehr gut vorstellen! Es ist für mich das schönste Lied, das ihr je gemacht habt. Das Video dazu ist ʼne Granate, wenn ich das mal so sagen darf …
Guntmar Feuerstein: Jakob Reuter hat das gedreht, er studiert Film in Dortmund und Münster. Wir hatten nur zwei Tage Zeit und haben zwölf Stunden lang in einem fast schwarzen Raum mit sehr wenig Licht gedreht und keine Ahnung, was dabei herauskommt. Als Jakob uns die ersten Rohschnitte geschickt hat, sind wir alle hintenübergekippt. So toll ist das geworden!
Malmsheimer: Ihr zeigt nicht nur mit diesem Stück, dass man sehr anspruchsvoll Volksmusik machen kann, ohne ins Tümeln abzugleiten. Mit Texten, bei denen du nicht nur schon nach den ersten zwei Zeilen auf den Refrain und das Bumm-Bumm wartest. Vielen Dank dafür und dieses schöne Gespräch!
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