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Wurzeln und FlügelTanz- und Folkfestival Rudolstadt
Was, schon ein Vierteljahrhundert? Am ersten Juliwochenende 2015 feiert das Tanz- und Folkfest Rudolstadt, Deutschlands größtes Weltmusikereignis, seine fünfundzwanzigste Ausgabe.
Text: Christoph Dieckmann
Im Jahr 1994 erlebte ich ein Wunder: die Verwandlung von Heimat in Welt. Kurz vor den Thüringer Landtagswahlen reiste ich als Ostreporter der Zeit nach Rudolstadt, um Provinzpolitik zu beschreiben. Alsbald geriet ich in ein Vertriebenentreffen. Im Bierzelt-Getümel litt der Bürgermeister Dr. Hartmut Franz und warnte als einsamer Rufer vor revanchistischen Heimatparolen. Trotzig erscholl das „Schlesierlied“. Diese musikalische Impression wurde am Abend noch getoppt durch ein Nazikonzert im Deutschen Krug, das als „Geburtstagsfeier mit Bands“ angemeldet worden war.
Rudolstadts Kultursenatorin Petra Rottschalk war verzweifelt. Sie fürchtete um den Ruf der Stadt und erbat des Reporters Wiederkehr zum Tanz- und Folkfest. Ich kam und war baff. Das behäbige Residenzlein schien verzaubert und bot jene Wimmelbilder, die TFF-Fans seit je mit Rudolstadt verbinden. Bunte Völkerfluten strudelten und tanzten – mittendrin der strahlende Dr. Franz. Es fiedelte und pfiff aus allen Gassen. Klezmer auf dem Markt, am Boulevard mazedonisches Blech, im Heinepark mongolischer Hirtensound. Der Güntherbrunnen rockte flämisch, den Burgberg beschallten kalifornische Feengesänge. Die Nazigespenster im Deutschen Krug wurden von einer koreanischen Harfnerin exorziert. Ich eilte von Bühne zu Bühne. Endlich, nachts um halb drei, sank ich in ein Taxi, einen Humpen Schwarzbier auf der Faust. Trinkense mal ’n Schluck ab, sprach der Bruder Chauffeur. Sonst schwabbernse mer noch de Karre voll.
Himmlische Zustände. Freilich sah man damals in „Rolscht“ auch missmutige Gesichter. Eingeborene meist älteren Jahrgangs ärgerten sich ob der gesperrten Innenstadt.
Bloß wegen die ganzen Bekloppten komm ich nicht zum Fleischer durch!
Furchbar, mer is nich mehr Herr im eigenen Haus.
Wie die schon aussehn, schlimmer wie de Hottentotten! De Weiber keene Scham, de Kerle keene Zucht!
Früher beim Tanzfest war’s viel schöner, de Trachten, de ganzen Amsambels. Und de Hochzeiten, herrlich, auf der Bühne.
Soll aber nie lange gehalten haben mit den Paaren …
Einszweidrei, im Sauseschritt eilt die Zeit – wir eilen mit. Schon schreiben wir 2015, das TFF wird 25 Jahre alt. Man staunt über Beständigkeit und Wandel. Die erheblichste Rudolstädter Veränderung gab es bereits 1991. Die „Stadt der Tanzfeste“ hatte seit den Fünfzigern zweijährlich ihr großes Treffen ausgerichtet, anfangs gesamtdeutsch, orientiert auf ein „kommendes, friedliebendes, demokratisches Deutschland“. Hartmut Franz erinnert sich, dass seine Eltern Gäste aus Nordrhein-Westfalen einquartierten. Die Zeitläufte wandelten das Tanzfest zu einer sozialistischen Leistungsschau mit Fahnenumzügen und ideologisch verbrämter Tradition. Immerhin gab es Nischen für subversivere Folkies bis hin zum Rock. Dennoch, sagt Franz, verkam das Fest zum DDR-Prestigeobjekt, zur Abbildung der Arbeitswelt im Tanz. Das war nach der Wende nicht fortsetzbar.
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Session im Hof der Rudolstädter Ludwigsburg (u. a. Peter, Johannes und Andreas Uhlmann) beim ersten TFF 1991 * Foto: Ingo Nordhofen
V. l. n. r. Jürgen B. Wolff, Peter Uhlmann, Bernhard Hanneken, Petra Rottschalk und Uli Doberenz am TFF 2000 * Foto: Michael Pohl |
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