CD-Tipps:
The Soul Of Armenia (Do-CD; Network Medien, 2008; mit ausführlicher Biografie von Birger Gesthuisen auf Deutsch, Englisch, Französisch)
Zwei Alben wurden im Juni als Doppel-CD wiederveröffentlicht (All Saints Records/Rough Trade):
I Will Not Be Sad In This World (1983)
Moon Shines At Night (1993)
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Djivan GasparyanDer Pate der Duduk
Einmal will er noch auf Tournee gehen, dann soll Schluss sein. Das ist sehr schade, aber verstehen kann man es. Der bekannteste Musiker Armeniens ist im Oktober sechsundachtzig Jahre alt geworden. Er hat viel erreicht im Leben, hat die ganze Welt gesehen, hat Generationen von Musikern unterrichtet und Millionen Hörer begeistert. Seine Kompositionen bereicherten berühmte Filme, auf ungezählten Platten ist sein atemraubendes Spiel zu hören. Und obwohl Gasparyan tief in der Tradition verwurzelt ist, war er immer für Experimente offen. Die Duduk wäre ohne ihn wohl geblieben, was sie einst war: die Gefährtin der Hirten.
Text: Luigi Lauer
Es kribbelt unangenehm im Mund, wenn man hineinbläst, und es dauert eine Weile, bis man überhaupt einen Ton aus einer Duduk herausbekommt. Dafür muss man das auffallend große Mundstück erst einmal in Wasser einweichen – vielleicht, weil es aus Schilfrohr gemacht wird und sich nach seinem Element sehnt. Wer das jedoch überwindet, mit ausreichend Talent ausgestattet ist und, sagen wir mal, knapp achtzig Jahre lang übt, der wird fürstlich belohnt. Denn der Klang einer Duduk gehört zum Schönsten, was menschengemachte Musikinstrumente hervorzubringen vermögen. Niemand weiß das besser als Djivan Gasparyan. Und niemand beherrscht die Duduk besser.
Es ist verblüffend, wie warm und tief und rund der Klang ist. Trauer und Schmerz sind die Heimat der Duduk. Kein anderes Instrument vermag ihnen derart profund Ausdruck zu verleihen. Wer sich einmal so richtig ausheulen möchte, findet in der Musik Gasparyans den besten Katalysator. Völlig unverständlich darum, weshalb dieses Instrument nicht längst im Fado und in artverwandten Genres Fuß gefasst hat. Ob es vorkommt, dass Leute im Publikum weinen? „Oft“, sagt Gasparyan, macht eine kleine Kunstpause und legt nach: „Sehr oft!“ Für die Stimmung des Instrumentes sind eine mechanische Einrichtung und die Gemütslage des Spielers verantwortlich. Die der Tonhöhe wird über einen kleinen Ring aus Leder am Mundstück austariert. Die eigene Stimmung muss aber auch passen, sagt Gasparyan. „Wenn man einen grauen Alltag hinter sich hat, kann es durchaus vorkommen, dass man nichts Vernünftiges spielt. Dann muss man es lassen.“ Und ganz lassen sollte es, fügt er hinzu, wer den charakterlichen Eignungstest nicht besteht. „Talent und Üben müssen sein, bringen allein aber nichts. Wenn du nichts in dir trägst, das heraus will, bleibst du an der Oberfläche. Du hast es, oder du hast es nicht.“
Ein Gespräch mit Djivan Gasparyan ist nicht leicht. Die Übersetzerin kommt nicht nach, Gasparyan fällt ihr ständig ins Wort, nicht einen Satz kann sie beenden. Er liebt es, über Armenien, die Musik und vor allem die Duduk zu erzählen, und vergisst dabei alles andere. Gasparyan „hat es“, daran kann kein Zweifel bestehen. Mit sechs Jahren fing er an, diese kleine Flöte auf der Straße für ein Stück Brot zu spielen. Das war der Anfang einer Karriere, die sich dann keineswegs als brotlose Kunst erwies. Dabei ist die Duduk musiktheoretisch gar keine Flöte – sie sieht nur so aus. Es handelt sich um eine Kurzoboe aus Aprikosenholz mit einem extrem langen Doppelrohrblatt. Der Tonumfang ist mit einer Dezime eher bescheiden, das Überblasen ist nicht üblich. Die türkische Variante heißt Nay, klingt aber deutlich schärfer. Das armenische Original nennen die Türken auch, wir ahnen es, Düdük. Das Aprikosenholz ist dabei nicht unwichtig. Zum einen wegen des Klangs; zum anderen ist der Aprikosenbaum den Armeniern, was den Kanadiern der Ahorn oder den Deutschen die Eiche ist, eine Art Nationalbaum.
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