Rezensionen der Ausgabe 5/2020
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Cinesounds
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GUO GAN, ZOUMANA TERETA, RICHARD BOURREAU Saba Sounds (Felmay Records), mit engl. Infos
Wir hören drei Geiger aus drei Kontinenten und ihre höchst unterschiedlichen Instrumente. Mit dabei sind der Chinese Guo Gan auf der zweisaitigen Spießgeige Erhu, Zoumana Tereta aus Mali auf der Soku, einer einsaitigen Geige mit einem mit Ziegenfell bespannten Kalabassenkorpus, sowie der Franzose Richard Bourreau, der eine handelsübliche viersaitige Violine bedient. Ergänzt wird das Trio zumeist durch Bass, Schlagzeug und diverse Percussiongeräte. Und obwohl Trio und Begleitmusiker so etwas wie einen Gruppensound anstreben, atmet jede Komposition doch den musikalischen Hintergrund ihres Schöpfers, also asiatische Pentatonik, afrikanische Rhythmik und europäische Klassik. Aufgenommen wurden die zwölf Stücke übrigens bereits im Dezember 2013. Leider verstarb Zoumana Tereta im Mai 2017. Zwei Jahre später wurden die Aufnahmen dann abgemischt und im laufenden Jahr veröffentlicht. Das mag angesichts der Schnelllebigkeit im Musikbusiness seltsam anmuten, aber, mal ehrlich: Gibt es einen schlüssigeren Nachweis für die Zeitlosigkeit traditioneller Musikformen? Walter Bast
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OUMOU SANGARÉ Acoustic (No Format!)
Gelang ihr mit dem letzten Album Mogoya der Sprung in die europäische Popkultur, so handelt es sich nun um einen 180-Grad-Schwenk zurück zu den Anfängen. Acoustic wurde in nur zwei Tagen live eingespielt. Es gab keine Verstärker, keine zweiten Takes, keine Overdubs und keine Kopfhörer. So stellte sich im gemeinsamen Musizieren eine heutzutage sehr seltene emotionale Intensität ein. Um Oumou Sangarés dynamische Stimme, vom gut gelaunten Plauderton bis zum leidenschaftlich anklagenden Timbre, versammelten sich im selben Raum die Backing Vocals von Emma Lamadji und Kandy Guira, der Gitarrist Guimba Kouyaté sowie Brahima „Benogo“ Diakité an der Kamele Ngoni. Zu diesem Miniensemble stieß der Franzose Vincent Taurelle an Toy Organ und Celesta, der auf dem in einem afrikanischen Kontext entstandenen Akustikalbum ein wenig exotisch wirkt. Neben den Stücken aus Mogoya kamen noch zwei ältere Titel hinzu, „Saa Magni“ und „Diarabi Nene“, ein Song von Sangarés Debütalbum Moussolou und damals ein Skandal ob der sinnlichen Beschreibungen, die sie mit fünfzehn Jahren aufschrieb, als sie sich zum ersten Mal verliebte. Ein ehrliches, rundum gelungenes Retroalbum mit Tiefgang ohne großes Brimborium. Christoph Schumacher
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BEN BEDFORD Portraits (Cavalier Recordings), mit engl. Texten
Auf dieser Kompilation seiner ersten drei, in Europa schwer erhältlichen Studioalben zeigt der Singer/Songwriter auf Illinois eindrucksvoll, dass er als Liedermacher eine Klasse für sich ist und 2018 nicht unverdient einer der Gewinner der New Folk Competition des renommierten Kerrville Folk Festivals war. Bedford sieht sich in der Tradition von Songschreibern wie Woody Guthrie und Bill Morrissey und orientiert sich literarisch an der „old soul“ seiner literarischen Idole wie John Steinbeck. Seine Songs sind Kurzgeschichten voll poetischer Bilder, die selbst Alltagsereignissen einen ganz besonderen Glanz abzugewinnen wissen. Jedes der zwölf Lieder auf dieser Zusammenstellung ist auf die ein oder andere Weise ein Porträt, von Personen, Orten oder Ereignissen. Bedfords kraftvoller und ausdrucksstarker Bariton wird in exzellente Arrangements eingebettet. Sein differenziertes Gitarrenpicking ist inspiriert von Bert Jansch und Davey Graham. Begleitet wird er mal folkig-sparsam von Chas Williams (g), David Spicher (b) und Kari Bedford (voc), mal langt er durchaus rockig zu mit E-Gitarre, Drums und Hammondorgel, während Dobro, Banjo und Akkordeon Countryfolk-Feeling heraufbeschwören. Ulrich Joosten
| BARBARA BERGIN Blood Red Moon (Little White Hen Records)
„Ganz zauberhaft, die singende Orthopädin! Das Highlight in der Liste.“ Für diese Ausgabe habe ich alle von mir zu rezensierenden Alben in eine Spotify-Playlist gestellt und auf Facebook in meiner Musikcommunity ein Meinungsbild eingeholt. Dr. Bergin aus Austin, Texas, erwies sich beim Crowdrezensieren klar als Siegerin! Kein Wunder, denn Blood Red Moon kommt ebenso authentisch wie sympathisch und professionell rüber. Dafür sorgen neben der direkten Produktion von Jane Gillman u. a. Edelgitarrist Rich Brotherton und Gast Cathy Fink am Banjo. Das ist Country, der nicht ins Radio nach Nashville will, sondern heim auf die Farm nach Irland. Dazu Bluegrass, Gospel, Old-Time Folk, mit viel Mais, Kühen, Hühnern und Fischen, perfekt zusammengefasst im rockenden „My Life’s Good (Cuz I Don’t Live In The City)“. Auch bemerkenswert: Die feministische Songwriterin betont, dass das Album seine Entstehung vor allem Girl Guitar verdankt, einer Von-Frauen-für-Frauen-Musikschule in Austin. Ein vorbildliches Projekt also in vielerlei Hinsicht. Ihre sportmedizinische Praxis bekommt im Internet übrigens 4,7 Sterne von den Patienten. Dem schließe ich mich als Wertung für das Album voll an. Martin Wimmer
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DION Blues With Friends (KTBA Records)
Mit immerhin achtzig Lebensjahren, davon sechzig als professioneller Musiker, hat der Sänger Dion DiMucci aus der Bronx so einiges an musikalischen Stilen erlebt und teils auch mitgeprägt. Swing und Blues, Rock ’n’ Roll und Funk sind da einige große Stationen über die Jahrzehnte, und überall wurden Bekanntschaften gemacht und Freundschaften geschlossen. Auch wenn der Name Dion hierzulande fast unbekannt sein dürfte, so genießt er im heimischen Umfeld hohes Ansehen. Bob Dylan verfasste dann auch die Liner Notes zum Album, an sich schon ein Adelsschlag sondergleichen, und die Gästeliste spricht für sich. Die jüngere Generation ist mit den Gitarristen Joe Bonamassa und Samantha Fish vertreten, Slidegitarre aus Louisiana mit dem immer fantastischen Sonny Landreth, akustische Bluesgitarre mit Rory Block, die britische Fraktion mit Van Morrison und Jeff Beck. So atemberaubend die Auswahl der Musiker auch ist, eine Platte „mit Freunden“ kann auch schnell zur Materialschlacht im Sinne von „schneller, höher, weiter“ werden. Ist hier aber nicht der Fall, Dion singt entspannt, die Freunde spielen ihr jeweiliges Instrument virtuos und „songdienlich“. Sehr gekonnt und abwechslungsreich – und mal wieder ein Muss! Achim Hennes
| HAWKTAIL Formations (Padiddle Records)
Virtuosen müssen nicht zwangsläufig tolle Musiker sein. Letztlich kommt es darauf an, wie sich kunsthandwerkliches Können in Kreativität ausdrückt. Dieses Quartett besteht aus lauter Virtuosen, bekannt aus diversen Formationen der US-amerikanischen Akustikszene. Britanny Haas spielte Fiddle bei Crooked Still, Bassist Paul Kowert gehört zu den Punch Brothers um Ausnahmemandolinist Chris Thile. Dominick Leslie war samt Mandoline mit den Deadly Gentlemen unterwegs, und Gitarrist Jordan Tice hat Größen wie Tony Trischka unterstützt. Am Produzentenpult saß ein weiterer Punsch-Bruder, Chris Eldridge. In den Rocksiebzigern hätte eine solche Formation den Beinamen „Supergroup“ bekommen. Sieben Instrumentals müssen die hohen Erwartungen erfüllen, darunter eine Fremdkomposition. Die Songs klingen nicht derart avantgardistisch wie bei den Punch Brothers, sind aber auch weit entfernt vom Bluegrass. Das Quartett erzählt vor allem komplexe musikalische Geschichten mit wechselnden Stimmungen – von verträumt bis dschungelhaft verwoben. Kleine Melodien bieten Halt, die Songs pendeln zwischen Ausgelassenheit und Melancholie. Ein kreatives Album voller Ideen und Nuancen für weit offene Ohren. Volker Dick
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PHIL OCHS Live In Montreal, 10/22/66 (Rockbeat Records), Do-CD, mit engl. Info
Es gibt nur wenige Livealben von Phil Ochs, der im Dezember dieses Jahres achtzig geworden wäre. Dabei dürfte Live In Montreal mit Abstand das Beste sein, wie auch sein Archivar David Cohen sagt. Sowohl in Bezug auf die Klangqualität des Mitschnitts als auch in Bezug auf das Repertoire, das der Musiker bei diesem Auftritt präsentierte. Obwohl er sich nur auf seiner Gitarre begleitete, bekommt man beim Hören eine Vorstellung der zunehmend komplexeren Musik- und Textstrukturen, die ab Mitte der Sechzigerjahre Eingang auf seinen Studioalben fanden, u. a. bei Songs wie „Flower Lady“. Es war die Zeit, in der Ochs seiner beißenden Sozialkritik Persönliches hinzufügte wie beispielsweise bei „Doesn’t Lenny Live Here Anymore“. Die inhaltlichen Zutaten bestehen aus einer Mischung von Humor, Tragik, Zynismus und scharfer Beobachtung. Zusammengehalten wird das Ganze von dem Bestreben, mit seinen Songs eine von Würde und Gerechtigkeit geprägte menschliche Existenz zu zeigen. Das wird auch bei den Zwischenansagen des Singer/Songwriters deutlich. Michael Simmons bringt es in seinem Beitrag für das Booklet der so auf den Punkt: „Er hatte mit Brecht und Weill genauso viel gemeinsam wie mit Pete Seeger.“ Michael Kleff
| CARLA OLSON Have Harmony, Will Travel 2 (Sunset Blvd Records)
Seit vierzig Jahren veröffentlicht die Songwriterin aus Texas mittlerweile Musik, mit ihrer Band The Textones, solo und nun – sieben Jahre nach dem erfolgreichen Vorgänger – zum zweiten Mal in Form eines Duett-Albums. Die Vision ist klar: Gram ist tot, Emmylou sucht sich elf neue Partner, Timothy B. Schmit von den Eagles, Terry Reid, I See Hawks in L. A., Stephen McCarthy von den Long Ryders und viele andere. Zusammen covern sie unbekannte Perlen von Stephen Stills bis John Stewart. Heraus kommt kalifornisch-sonniger Countryrock mit richtig gutem Twang und viel zwölfsaitiger Gitarre. Sieben Songs wurden 2019 aufgenommen, für den Rest griff sie viermal in die Raritätenkiste. Die älteste Aufnahme, mit Gene Clark von den Byrds, ist gar von 1987. Highlights? Das beschwingte „Shackles & Chains“ mit Vince Melouney von den Bee Gees an der Johnny-Cash-Gedächtnisgitarre. Weltbeste Americana in „Haunting Me“ mit Songwriter Jim Muske. Das byrdsige „Goodbye My Love“ mit Peter Noone von den Herman’s Hermits. Der Hammer aber ist „Honest As Daylight“, ein bläsergetriebener Schleicher mit Soullegende Percy Sledge, in dem Mick Taylor die Slide rausholt. Martin Wimmer
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STEVE STRAUSS A Very Thin Wire (Stockfisch), mit Texten u. Infos
Man weiß ja, was man zu erwarten hat, wenn man eine neue Stockfisch-CD auflegt. Doch es überrascht immer wieder, welch superben Klang der Northeimer Klangmagier und Labelchef Günter Pauler in seinem Studio einzufangen weiß. Der 55-jährige Singer/Songwriter Steve Strauss aus Binghamston (NY) weiß das auch, seit er vor 22 Jahren sein aufnahmetechnisch bahnbrechendes Debütalbum Powderhouse Road bei Pauler aufnahm. Wie die darauffolgenden beiden Alben ist auch das neue Album auf Super-Audio-CD dort erschienen. Und das Ergebnis: 51 Minuten audiophiler Hochgenuss, in denen die Instrumente in prachtvollen Arrangements so sauber und differenziert in einem Maximum an Dynamik erklingen, dass selbst feinste Details glasklar herausgearbeitet werden. Neben Strauss (voc, g) hören wir die übliche Stockfisch-Gang, Ian Melrose an diversen Gitarren sowie Low Whistle, hinzu kommen Hammondorgel, Bass, Drums, Percussion, Saxofon und mehr, gespielt u. a. von Beo Brockhausen und Heinz Lichius, während die US-amerikanische Sängerin Lea Morris Backing Vocals beisteuert. Strauss zelebriert seine intimen, emotionalen Alltagsgeschichten laid back mit gelegentlich angenehm angerautem Bariton. Ein formidables Folkalbum. Ulrich Joosten
| STRIPMALL BALLADS Distant (Freeloader Free Press)
Wenn einer ernst macht, mit dem Auto durch die USA reist, keine Highways nutzt und dort sein Banjo oder die Gitarre auspackt, wo sich Straßen kreuzen, dann kann er was erleben. Genau das hat der Sänger und Songschreiber Phillips Saylor Wisor getan. Unter dem Namen Stripmall Ballads veröffentlicht er seit Jahren Alben zwischen Folk, Country und Blues, atmosphärisch dicht und voller Geschichten. Von denen konnte er für Distant jede Menge sammeln – an eben jenen Crossroads, etwa die von Susan, die ihm ihre Lebensgeschichte erzählt, was er in den Opener der Platte gepackt hat. Charakterstudien, Impressionen vom Leben auf den Straßen, Szenen des Unterwegsseins, darum vor allem kreist Wisor. In der Regel fließen seine Stücke langsam daher, etwa der Zeitlupenwalzer „Juice And Sage“, süß wie Honig, mit wunderbarem Chorus. Eine komplette Band im Rücken, bleiben die Songs dennoch spartanisch instrumentiert. Keine augenfällige Virtuosität lenkt von den Inhalten ab. Stattdessen malen die Beteiligten Stimmungen, die wie Soundtracks zu den Texten wirken. Auf eine Uptempo-Nummer wartet man vergebens, eine dunkle, hallige Grundierung bleibt. Hinsetzen, hören und wirken lassen. Volker Dick
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DIVERSE Cadence Revolution: Disque Debs Vol. 2 (1973-1981) (Strut Records)
Die kreolische Cadence-Musik stammt aus Guadeloupe und Martinique und entwickelte sich in den Siebzigerjahren zu einer pankaribischen Tanzmusik, die bis nach Frankreich drang. Es ist eine fröhliche Musik mit hypnotisch treibenden Gitarren, melodischen Bläsersätzen und schmeichlerischen Bläsersoli. Auch mischt sich mal ein Akkordeon darunter. Im Cadence vermengen sich puerto-ricanischer Salsa, Calypso, Jazz, Reggae sowie kongolesischer Soukous mit den einheimischen Stilen Biguine, Quadrille und Gwo Ka. Ursprünglich kam der Cadence aus Haiti und wurde auf den französischen Inselkolonien als Kadenzrampa oder Méringue eingeführt, was zu einer größeren kulturellen Identität der Französischen Antillen führte. Bei uns kaum geläufig, wird man im Cadence eher Ähnlichkeiten zu bekannteren Stilen wie Zouk, Salsa oder dem Afropop jener Zeit heraushören. Die berühmtesten Bands waren Les Vikings, Super Combo oder die Typical Combo. Typisch sind die einzelnen Nummern aber nicht unbedingt, denn der Cadence entwickelte sich äußerst unterschiedlich. Manche Tracks kommen auch heute noch sehr animierend rüber. Ausgrabungen dieser Art sind ja seit langem in der Rare-Groove-Scene beliebt. Hans-Jürgen Lenhart
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