Rezensionen der Ausgabe 5/2020
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BESH O DROM 20 (Fonó), mit ungar. u. engl. Infos
Seit August 1999 gibt es die ungarische Gruppe Besh O droM. Der Name gibt das Programm vor. Auf Lovari heißt dies so viel wie: „Setz dich auf die Straße.“ Gemeint ist wohl: „Geh deinen Weg!“, „Mach dein Ding!“. Auf Ungarisch: „Ich drehe mir einen (Joint)“. Entsprechend schräg und witzig ist das Repertoire der derzeit neunköpfigen Truppe. Von Punkrock über Jazz bis Weltmusik ist alles dabei. Letztere speist sich aus vielen Quellen, insbesondere aus dem Balkan- und arabischen Raum. Mit dem aktuellen achten Album wollen die Musiker um Àdam Pettik (Gesang, Percussion), Gergely Barcza (Saxofon, Electronic Wind Instrument, Kaval, Klarinette) und József Csurkulya (Cimbalom) zusammenfassen, was ihnen musikalisch in den ersten zwanzig Jahren der Bandgeschichte wichtig war. Dazu gibt es in dem überformatigen Coverbuch viele Konzertfotos, die Gábor Kardos gemacht hat. Auch wenn die Mitmusiker immer wieder gewechselt haben – Wikipedia listet 21 Ex-Bandmitglieder, darunter die grandiose Sängerin Ágnes Szalóki –, der Sound der Truppe ist und bleibt anarchisch, abwechslungsreich und, nebenbei bemerkt, auch verdammt virtuos. Ines Körver
| STEVE CRAWFORD AND SPIDER MacKENZIE Celticana ((Eigenverlag)
Der Gitarrist und Singer/Songwriter Steve Crawford wohnt seit einiger Zeit in Bonn und ist in diversen Projekten wie Ballad of Crows, einem Duo mit Fiddlerin Sabrina Palm oder als Mitglied der Cajunkönige von Le Clou aktiv. Spider MacKenzie dürfte selbst für Arachnophobiker ein erfreulicher Meister der Mundharmonika sein. Die beiden entschieden sich 2018, an die Quelle vieler ihrer Inspirationen zu gehen, nach Austin, Texas. Dort entstand das vorliegende Album unter dem nicht völlig unbekannten Produzenten Chris Gage, der auch das eine oder andere Instrument bediente. Der Albumtitel Celticana ist Programm, soll es zumindest sein. Keine Frage, das ist qualitativ hochwertige Musik aus den Genreecken Singer/Songwriter, Americana und Blues. Der keltische Anteil wurzelt eher im Geburtsort der beiden Protagonisten, dem schottischen Aberdeen. Obwohl, der Instrumentaltitel „Bernera Blues“ ist tatsächlich eine bluesgetränkte Ode an die Hebrideninsel Bernera. Spider MacKenzie spielt eine Mundharmonika, bei der der Unterkiefer des Hörenden ganz weit nach unten klappt, und Steve Crawford weiß genau, wie man Songs kompositorisch und gesanglich auf den Punkt bringt. Ergo, ein höchst empfehlenswertes Werk mit ehrlicher Musik. Mike Kamp
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XABIER DÍAZ & ADUFEIRAS DE SALITRE As Catedrais Silenciadas – The Silenced Cathedrals (Músicas De Salitre)
Die Sorge um das Verschwinden ländlich verwurzelter Kulturen und Bräuche Galiciens mit vom Land wegziehenden bzw. alten Menschen katalysierte diese Arbeit. Die dritte des Sängers, Percussionisten und Folkloristen aus A Coruña mit seinem Ensemble singender Percussionistinnen ist wie die Vorgänger gelungen und betörend. Der Ex-Sänger der innovativen Folkband Berrogüetto weiß Note für Note, Panderetaschlag für -schlag, was er tut. Aus seiner Sicht sei die aktuelle, sehr vitale Folkszene Galiciens mehr vokal ausgerichtet, während es früher eher die Instrumentalmusik mit der Gaita (Dudelsack) als Protagonistin war, durch die die nordwestspanische Region international bekannt und von außen oft mit dem Keltischen assoziiert wurde. Díaz und seine Mitstreiterinnen schreiben die historisch u. a. von den Pandereteiras – den Frauen mit den Tambourinen – kultivierten Traditionen der alten Gesänge auf so traditionsbewusste wie freigeistige Art fort. Sie versehen die aufgelesenen Melodien, darunter auch ein Fundstück von Alan Lomax, bisweilen mit zeitgenössischen, immer mehr auch eigenen Texten. Neben diverser Kleinpercussion bezieht man auch Drehleier, Akkordeon, Geige oder Bouzouki geschmacks- und spielsicher ein. Katrin Wilke
| DIVERSE Folk & Great Tunes From Russia (CPL-Music), mit engl. Infos
Sampler und Kompilationen sind ein probates Mittel, um sich in Kürze einen möglichst umfassenden Überblick über verschiedene Musikstile, das Repertoire von Künstlern oder landes- oder ethnientypische Musizierformen zu verschaffen. Der vorliegende Doppel-CD-Sampler verspricht also nichts Geringeres als einen annähernd repräsentativen Streifzug durch die traditionelle Musik aus Russlands Regionen und Republiken. Wobei die „Great Tunes“ auch schon mal aus zeitgenössischem Material bestehen können. Um es gleich vorweg zu sagen: Dieses Doppelalbum ist ein Juwel, eine musikalische und geografische Entdeckungsreise durch Republiken (Mordwinien, Udmurtien) und Regionen (Belgorod, Woronesch), die der Rezensent zwecks Orientierung erstmal wikipedieren musste. Immerhin waren ihm Republiken wie Jakutien, Tuwa oder Tatarstan bekannt, ebenso wie die Regionen um Perm, Ural, Omsk oder Krasnojarsk (aus der die wundervolle Band Vedan Kolod stammt). Die Musikbeispiele decken eine Vielzahl traditioneller Stile ab, eher selten sind Rock oder Jazz zu hören. Tagesaktueller Pop fehlt ganz, Gott sei Dank, sonst hätte es womöglich eine gewisse Jelena Petrowna Fischer aus Krasnojarsk auch noch auf diesen Sampler geschafft. Walter Bast
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DREAMERS’ CIRCUS Blue White Gold (Vertical Records)
Es war 2009 in einer Bar in Kopenhagen. Nikolaj Busk hörte beim Eintreten traditionelle Folksongs, vorgetragen vom Violinisten Rune Tonsgaard Sørensen und dem Zitherspieler Ale Carr. In einer Ecke sah er ein Klavier, setzte sich an die Tasten und begann sofort einzustimmen. Es sind diese Funken an Spielfreude und Spontaneität, die das dänisch-schwedische Trio seit mehr als einem Jahrzehnt zusammenschweißen und zu wachsender Beliebtheit auf den Bühnen der Welt tragen. Obwohl ihre Wurzeln im traditionellen Folk liegen, bewegt sich ihre Musik jenseits aller Klassifizierungen. Die drei exzellenten Instrumentalisten verweben Elemente der Klassik, der Folklore, der zeitgenössischen Stile oder des Jazz zu einem ganz eigenen Klang, der Weite ausstrahlt und vom ersten Ton an berührt. Selten kreiert instrumentale Musik so intensive Bilder beim Hören. Da sind die aufsteigenden Seifenblasen im Central Park, die ziehenden Wale in den Nordmeeren, die Erleichterung nach einer erfolgreich bewältigten Herausforderung, der Fluss von Tränen oder die ausdrucksstarken Gesten einer Pantomime. Ein zartes und dennoch dynamisches Album, das gerade durch seine einfühlsame Intensität eine große Zuversicht verbreitet. Erik Prochnow
| LAÜSA Entalh (Tradethik)
Diese Band ist eine Entdeckung. Laüsa kommen aus der Gascogne, das ist die Region südlich von Bordeaux im Südwesten Frankreichs. Der Bandname (gesprochen: „La Üse“) bedeutet auf Gascognisch „Funke“. Sie singen auch auf Gascognisch, einer Unterart der okzitanischen Sprache. Und sie machen gascognische Tanzmusik, obwohl ihre Stücke überwiegend selbst geschrieben sind. Akkordeonistin Lolita Delmonteil-Ayral und Geiger Camille Raibaud spielten schon länger im Duo La Forcelle zusammen. Gemeinsam mit dem erdigen Gesang von Juliette Minvielle und der rockigen Gitarre von Julien Estèves ist aber etwas ganz Neues entstanden, ein gascognischer Folkrock mit starkem Fokus auf der weiblichen Stimme. Entalh ist das zweite Album der Band, wobei der Erstling als EP nur sechs Titel aufwies. Entalh ist ein reifes Werk, von den abwechslungsreichen Kompositionen über die Arrangements, die sich oft im letzten Drittel fulminant entwickeln, bis hin zum Booklet mit Übersetzungen in französischer und englischer Sprache. Die Plattenfirma Tradethik entstand aus einem Festival und ist ein Künstlerkollektiv, koordiniert von Laüsa-Geiger Camille Raibaud. Christian Rath
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LENA JONSSON TRIO Stories From The Outside (Hedgehog Music)
Sie ist Traditionalistin und zugleich Erneuerin der großen Violintradition Schwedens. Wenn Lena Jonsson ihre vier- und fünfsaitigen Violinen spielt, hört man die Vergangenheit und auch ganz viel lebensfrohe Gegenwart. Ihr neues Album berauscht den Hörer mit fetzig gespielter neuer Fiddlemusik. Die 33-jährige, im schwedischen Bollnäs geborene Geigerin beweist mit jeder ihrer Kompositionen, dass sie ihre heimische Folktradition mit den mitreißenden Volkstänzen und wunderschön getragenen Volksmelodien bis ins kleinste Detail kennt. Doch die Musikerin ist ein Kind der heutigen, weltoffenen Zeit, da changiert ihre Musik schon mal in Bluegrass, rockige Sounds oder in swingend-jazzige Gefilde hinein – ohne je ihre schwedische Folkfärbung zu verlieren. Eingespielt hat die Schwedin ihr Album als Trio mit dem Gitarristen Eric Ronström und dem Bassisten Kristofer Sundström. Damit das Ganze abwechslungsreich bleibt, lud sie zudem einige Gastmusikerinnen und -musiker ein, die Klangfarben von Banjo, Cello, Flöte oder Piano beisteuern. Doch im Zentrum steht ganz klar Lena Jonsson. Sie spielt ihr Instrument derart virtuos, dass man schon mal das Gefühl für Raum und Zeit verliert. Udo Hinz
| LISBOA STRING TRIO Aqui E Ali (Eigenverlag)
Aqui E Ali („Hier und da“) steht für die verschiedenen Einflüsse des Trios. Hier der Fado, da der europäische Jazz, klassische Anleihen und ein musikalischer Abstecher nach Spanien. Aus der Fadoecke stammt Bernardo Couto, der in seiner noch recht kurzen Karriere auf der portugiesischen Gitarre (einer Art zwölfsaitiger Mandoline) viele der bekanntesten Fadosängerinnen und -sänger begleitet hat. Der Gitarrist José Peixoto ist in allen drei Musikwelten zu Hause. Er zeichnet für die Mehrheit der Kompositionen verantwortlich und ist Bindeglied zwischen Couto und dem Jazzbassisten Carlos Barretto. Ihr drittes Album ist ein Amalgam der musikalischen Einflüsse der Musiker, feingliedrig und doch kräftig, abwechslungsreich und überraschend zugleich. Erstmals hat das Trio für zwei der elf Stücke Gastsängerinnen eingeladen. María Berasartes umwerfende Interpretation von „Zorongo Gitano“, Federico García Lorcas Adaptation eines spanischen Traditionals, ist einer der Höhepunkte des Albums. Christina Brancos Stimme auf „Ai Mas Ai De Mim“ bringt Fadoflair in dieses hervorragende Werk. Martin Steiner
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BOBAN MARKOVIĆ ORKESTAR Mrak (Fonó), mit ung. u. engl. Infos
Seit Jahren zieht die Autorin dieser Zeilen im Sommer mit Kumpels durch die Gassen von Guča in Serbien und berauscht sich dort auf dem weltgrößten Trompetenfest an Balkan Brass. Dieses Jahr erwogen die Veranstalter erst eine Verschiebung der sechzigsten Ausgabe in den Oktober und verkündeten später, das Event finde vielleicht doch wie gewohnt im August statt. Schließlich bliesen sie es ab, als die Coronazahlen zu hoch wurden. Wie gerufen flatterte der Autorin nun dieses energetische und vielseitige Werk der grauen Eminenz von Guča ins Haus. Marković fing mit fünf Jahren an, Trompete zu spielen, war mit fünfzehn bereits Profi und gewann die Goldene Trompete im Wettbewerb von Guča so oft, dass er beschloss, nicht mehr anzutreten. Er gilt nun quasi als lebender Schutzheiliger des Festivals und gibt dort immer wieder nur durch Mundpropaganda bekannt gegebene Konzerte außerhalb der Wertung. Jetzt legt er nach über fünf Jahren Studioabstinenz sein fünfzehntes Album vor, dem auch dezente elektronische und Tablabeats beigemischt sind. Der Titel Mrak („Dunkelheit“) sollte dabei nicht abschrecken – das Album macht auch bei langsamen Stücken gute Laune. Ines Körver
| BRIGID MAE POWER Head Above The Water (Fire Records)
Man spricht von Expertise in irischer Vokaltechnik, von der Fähigkeit, mittels Gesang Geschichten zu erzählen wie Dylan, von stimmlicher Verführung und – ja, all das. Nach nur einem Satz des ersten Songs („On A City Night“) ist wie ein Déjà-vu plötzlich die Präsenz einer der größten Sängerinnen des angloirischen Genres im Kopf. Anne Briggs heißt die Frau, die den Rezensenten schon vor vielen Jahren so sehr fasziniert hat. Nicht nur muss man eine deutliche Ähnlichkeit des Stimmtimbres von Brigid Mae Power konstatieren, nein, sie benutzt in ihren Songs (fast alle aus eigener Feder) viele von Briggs’ typischen Melodielinien und Akkordprogressionen. Es gibt eine überwältigende stilistische Übereinstimmung zu der historisch bedeutsamen Ikone. Dies schmälert Powers eigene Leistung nicht im Mindesten, ist sie doch eine eigenständige und kreative Songwriterin. Die Band um sie tut ein Übriges, um dem folkpsychedelischen Sound zu einem gut orchestrierten Ganzen zu verhelfen. So gibt es neben der stimmigen Gitarrenbegleitung Platz für Fiddle, Percussion, Synthesizer, Mellotron, Pedal Steel Guitar u. v. a. Ein ungewöhnliches Cover von „The Blacksmith“ und der abschließende Titeltrack runden das Album zu einer ergreifenden Produktion ab. Johannes Schiefner
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RURA Live At The Old Fruitmarket (Eigenverlag)
Richtig so! Wenn schon den zehnjährigen Bandgeburtstag feiern, dann auch in Glasgows beliebtester und stimmungsvoller Konzerthalle, dem Old Fruitmarket. Und nicht vergessen, viele Gäste einladen, vor der Bühne und auch auf selbiger. Rura als Instrumentalcombo besteht aus Steve Blake (Pipes, Keys), Adam Brown (Gitarre), David Foley (Bodhrán, Flöte) und Jack Smedley (Fiddle). Zusammen mit einem prominent besetzten Streichquartett und den erwähnten Bühnengästen zauberten sie bei den diesjährigen Celtic Connections massive Soundgebirge in die Halle, Klanglandschaften, in denen man sich verlieren und verlieben kann. Die gesprochenen Passagen gehen leider etwas unter. Adam Holmes singt als Gast zwei seiner schönen Lieder, die allerdings eher in Richtung Rock tendieren, wobei der Rura-Input bei „Weary Days“ deutlicher hörbar ist. Da wirkt ein Ali Hutton schon kompatibler, wenn er die zweiten Pipes hinzufügt, plus Breabachs James Lindsay (Bass), der profilierte Piper Finlay MacDonald sowie Chris Waite (E-Gitarre). Aber jedes Meckern spielt sich auf hohem Niveau ab. Insgesamt ist das eine gute Stunde Musik im wahrsten Sinne des Wortes. Mike Kamp
| SALT HOUSE Huam (Hudson Records)
Album Nummer drei für das schottische Trio, bestehend aus Jenny Sturgeon (Gesang, Harmonium, Gitarre), Lauren MacColl (Fiddle, Viola, Gesang) und Ewan MacPherson (Gesang, Gitarre). Salt House haben einen beeindruckenden Reifegrad erreicht. Sie erschaffen über die gesamten vierzig Minuten des Albums eine eigene musikalische Welt, eine eigene musikalische Sprache, und die ist individuell, simpel sowie komplex zugleich und einfach betörend schön. Kein einziges der zehn Stücke ist traditionell, sie schreiben oder zumindest arrangieren die Stücke alle gemeinsam, und trotzdem ist die schottische und zum Teil auch skandinavische Tradition in den Sound von Salt House eingewebt. Die Arrangements bleiben durchgehend schwebend oder fließend, selbst die oft so energische Fiddle bleibt atmosphärisch und dunkel. Und sie erliegen nie dem schottischen Drang nach Tempo oder deutlicher Rhythmik. Manche Songs klingen gar regelrecht mystisch, was nicht zuletzt der Stimme von Jenny Sturgeon geschuldet ist, die losgelöst klingt, wahrscheinlich ohne das zu beabsichtigen. Sicherlich kein Easy Listening, aber ganz bestimmt ein lohnendes! Mike Kamp
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