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Ausgabe 1/2020


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 ALMA: Cherubim
ALMA
Cherubim
(Trikont)


Seit seiner Gründung zählt das Ensemble zu den beständig auf hohem Niveau musizierenden Musikerinnen und Musikern Österreichs. Die Besetzung ist schon außergewöhnlich: Die Geschwister Lacherstorfer an Geige und Kontrabass, zwei weitere Geigen und ein diatonisches Akkordeon, dazu ein Gesang, welcher der Texte im besten Falle nicht bedarf (und wenn, wird so engelsgleich gesungen, dass es auch schon egal ist). Der erste Höreindruck lässt vermuten, dass hier ergebnisoffen improvisiert wird. Beim vertieften Hören wird klar, dass die Musikerinnen und ihr männlicher Mitspieler allesamt sowohl in der Klassik bewandert sind als auch genug Stoff aus der volksmusikalischen Tradition ihrer Heimat mitbringen. So steht denn eine „Bauernmesse“ neben einem „Jubilate“, ein „Es ist ein Ros’ entsprungen“ neben einer „Epiphania“, und im besten Fall entsteht eine süchtig machende, atmosphärisch dichte Mixtur, die so eigen ist, weil sie alle Grenzziehungen zwischen Musiken mit einem zarten Geigenstrich hinwegwischt und eben typisch Alma ist. Dass der Labelwechsel zu Trikont dem Ensemble einen größeren Bekanntheitsgrad verschafft, kann man nur hoffen. Sehr, sehr schön.
Harald Justin
 DIVERSE: Vision & Revision – The First 80 Years Of Topic Records
DIVERSE
Vision & Revision – The First 80 Years Of Topic Records
(Topic Records, Do-CD)


Man kann es nicht oft genug erwähnen: Das älteste Indielabel der Welt wurde gegründet, als noch niemand von diesem Begriff träumte, und es konzentriert sich ausschließlich auf Folk! Topic Records können auf achtzig Jahre zurückblicken und feiern das nicht so, wie es wohl die meisten Plattenfirmen machen würden, nämlich mit einem Wer-weiß-wie-viele-CDs-Sampler aus dem mehr als reichhaltigen Archiv. Nein, Topic war schon immer etwas anders und feiert auch anders. Sie haben zwanzig Künstler – die meisten haben noch nie auf Topic veröffentlicht – gebeten, jeweils einen neuen Song für diese Jubiläumskompilation aufzunehmen. Einzige Bedingung: Das Lied muss irgendwo im riesigen Topic-Katalog enthalten sein. Mit von der Partie sind einige der etablierten Kräfte der Szene wie Martin Carthy, Martin Simpson, Richard Thompson oder die Oysterband. Der Schwerpunkt jedoch liegt auf jungen, innovativen Künstlern wie Josienne Clarke & Ben Walker, Sam Lee, Kitty MacFarlane, Olivia Chaney, Lisa Knapp oder der irischen Band Lankum. Das ergibt frische Klänge, viel spannender als verstaubte Archivaufnahmen, und es zeigt, dass Topic Records auch nach achtzig Jahren noch ein relevantes Label ist.
Mike Kamp

 STEPHAN EICHER: Homeless Songs
STEPHAN EICHER
Homeless Songs
(Wrasse)


Homeless Songs hieß Jahre zuvor der Arbeitstitel eines Albums des Schweizers mit zwölf Songs in der Gesamtlänge von zwölf Minuten. Grund für diesen Protestakt war, dass ihm die Plattenfirma das Aufnahmebudget um sechzig Prozent gekürzt hatte. Nach vielen Jahren und etlichen Querelen ist das gleichnamige Werk herausgekommen. Es gibt noch zwei Einminutenstücke – das Titelstück und „Broken“, das ganze 44 Sekunden dauert. Darin hat es Platz für eine Klavierpassage mit einsetzenden Streichern und Eichers Aussage „Everything is broken“ – mehr nicht. Gewissermaßen ein Resümee des ganzen Albums. Das Berndeutsche „Niene Dehei“ („Nirgends zu Hause“) hingegen dauert über sechs Minuten. Es ist eines von drei Liedern mit Texten des Schriftstellers Martin Suter. Fein, brüchig kommt es daher und mündet in einen ausladenden, übersteuerten Refrain. Die Heimatlosigkeit und die Zerbrechlichkeit ziehen sich durch alle der meist französisch gesungenen Chansons, sie machen aber auch deren Charme aus. Hier singt keiner, der weiß, wie das Leben geht. Ein meist sparsam orchestriertes Album, das mit jedem Hören gewinnt. Ein Album eines Musikers auch, der das macht, wonach ihm das Herz steht.
Martin Steiner
 FABER: I Fucking Love My Life
FABER
I Fucking Love My Life
(Irrsinn/Vertigo)


Wie schon auf dem Langdebüt 2017 bleibt der Schweizer seinem Stil der Selbstinszenierung treu, es scheint fast noch schwieriger zu unterscheiden, was noch Rolle ist und was schon Faber. Sein zur Schau gestellter Zynismus, seine politisch unkorrekten Texte polarisieren nach wie vor, aber es bleibt die Frage, inwiefern auch das Inszenierung sein könnte. Stilistisch ist vielseitig und souverän, was er mit seiner Goran Koč y Vokalist Orkestar Band präsentiert, ergänzt um Streicherelemente, die die melancholische Note der Texte noch hervorheben. Und doch, markante Songs, die textlich wie musikalisch auch gut für sich stehen könnten, gibt es weniger auf I Fucking Love My Life. Seine stärksten Momente hat Faber in Liedern wie „Ihr habt meinen Segen“ oder „Generation Youporn“, mit denen er unserer Gesellschaft, seiner Generation und sich selbst den Spiegel vorhält. Das wichtige „Das Boot ist voll“ gegen rechte Tendenzen singt er zudem mit einer Eindringlichkeit, die eigentlich keinen kalt lassen kann. Interessant auch, wie er sich immer wieder selbst reflektiert, Zeilen aus alten Songs aufgreift, um sie kritisch zu hinterfragen oder umzudeuten. Faber ist erkennbar auf dem Weg, und der dürfte so schnell nicht zu Ende sein.
Stefan Backes

 DICK GAUGHAN: The Harvard Tapes  DICK GAUGHAN: Handful Of Earth
DICK GAUGHAN
The Harvard Tapes
(Greentrax Recordings)


DICK GAUGHAN
Handful Of Earth
(Topic Records), mit ausführl. Booklet


Manche Zufälle sind einfach nur brillant. 2016 diagnostizierte man bei Dick Gaughan einen Schlaganfall, der ihn aus seinem aktiven Tourleben warf. Seitdem arbeitet er an seiner Rekonvaleszenz, ist aber quasi ohne Einkommen. Dann entdeckte kürzlich Brian O’Donovan aus Cambridge/USA Aufnahmen von einem dortigen Gaughan-Konzert aus dem Jahr 1982. Labelboss Ian Green war ebenso wie Gaughan begeistert, Ian McCalman bearbeitete die Bänder technisch, und nun liegen die zehn Tracks (plus drei Bonusse) vor, teils mit Johnny Cunningham an der Fiddle. Nächster Zufall: Etwa zeitgleich veröffentlicht Topic Records die damals bahnbrechende und als „Album des Jahrzehnts“ ausgezeichnete Produktion Handful Of Earth erneut in ihrer Topic Treasures Serie. Auf dieser Platte befindet sich das meiste Material des Livekonzerts, epische Songs wie „World Upside Down“, „Song For Ireland“ oder „Both Sides The Tweed“ in der Begleitung von Brian McNeill, Phil Cunningham, Stewart Isbister und einer informativen zeitlichen Einordnung von Ken Hunt. Wird Dick Gaughan jemals wieder live zu erleben sein? Er glaubt fest daran. Diese beiden CDs jedenfalls beweisen, welch außergewöhnlicher Künstler momentan zum Schweigen verdammt ist.
Mike Kamp
 MARTIN HARLEY: Roll With The Punches
MARTIN HARLEY
Roll With The Punches
(Del Mundo Records)


Zurückgezogen ins einsame walisische Pembrokeshire, einen Haufen packender Songs im Gepäck, seine elektrisch verstärkte Lap-Steel-Gitarre dabei und zwei Mitmusiker als Begleitung – statt wieder nach Nashville zu reisen, blieb Martin Harley diesmal auf der Insel. Seine Musik steht dennoch tief im Blues, zieht Elemente aus Country, Rock und Punk an, mündet in tief leuchtende Balladen und schmerzvolle Lautstärke. Sein Gitarrenspiel hat ihn berühmt gemacht, doch wäre die Virtuosität nichts wert, ließe er sie nicht in überzeugende Lieder fließen. Die können sehr verschieden ausfallen. Sie verpassen den Zuhörenden schmutzige Breitseiten wie in „Hotel Lonely“, sie überraschen sie mit punkigen Einlagen wie bei „If Tears Were Pennies“ oder lassen sie in atmosphärischen Weiten zurück, die mit „Clarbeston Resonation“ direkt nach Paris, Texas, führen. In „Shanghai“ lässt er spielerisch das Wort „Shanglow“ folgen und klingt nach Honky Tonk, was verdeutlicht, dass der Mann aus Surrey nicht nur düster kann, sondern immer wieder auch Humor aufblitzen lässt. Keine Frage, der Songschreiber Martin Harley agiert auf dem gleichen Niveau wie der Gitarrist. Und er spendet Trost in harten Zeiten.
Volker Dick

 BENJI KIRKPATRICK & THE EXCESS: Gold Has Worn Away
BENJI KIRKPATRICK & THE EXCESS
Gold Has Worn Away
(Westpark Music)


Er hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er einen Jimi Hendrix jederzeit einem Cecil Sharp vorziehen würde. Es war nur eben so, dass der Saitenspezialist bislang zwar eher an den Rändern, aber immerhin in Sachen Folkmusik tätig war. Formationen wie Bellowhead oder Faustus belegen das. Da ist es kaum überraschend, dass von der Folkmusik nicht mehr viel zu hören ist, wenn nun das eigene Bandprojekt Unabhängigkeit erlaubt. Da mag die Plattenfirma das als Alt-Roots-Rock bezeichnen, vielleicht weil da ab und zu mal ein Banjo in den Mix gerät. Die Wurzeln dessen, was Kirkpatrick und seine beiden Mitstreiter (Pete Flood, Drums, Pete Thomas, Bass) abgeliefert haben, liegen deutlich im Rockpop des letzten Jahrhunderts. Das ist nichts Verwerfliches, zumal es viele Songs in sich haben. Die Klimakatastrophe kann man gar nicht oft genug thematisieren, ebenso wie Obdachlosigkeit oder die weltweite Flüchtlingsfrage, wobei allerdings manchmal zu viel Botschaft in die Texte gesteckt wird. Hinzu kommt, dass die Musik ziemlich sperrig rüberkommt, die berühmten Hooklines sind selten, und die Struktur offenbart sich erst nach mehrfachem Hören. Aber Hendrix war ja auch nicht gerade Mainstream.
Mike Kamp
 OMIRI: Alentejo Vol.1 – Évora
OMIRI
Alentejo Vol.1 – Évora
(Bigorno), mit portug. u. engl. Texten


Omiri ist das Projekt des portugiesischen Multiinstrumentalisten Vasco Ribeiro Casais. Évora ist das dritte Album von Omiri, benannt nach der Hauptstadt des Distrikts Alentejo. Sie ist ein Auftragswerk der Stadt Évora. Ribeiro Casais hat dabei vor Ort traditionelle Sänger und Gesangsgruppen aufgenommen, also Laien und Amateure, und diese Aufnahmen hat er als Samples für das Album verwendet. Die instrumentale Begleitung hat er allein eingespielt. Der Stil ähnelt dem des tollen Vorgängeralbums Baile Electronico. Es gibt also wieder akustischen Folkrock mit packenden Arrangements, wobei nicht zuletzt die Samples für Vielfalt sorgen. Die CD steckt in einem Hochkant-Büchlein in DIN-A-5-Größe, mit vielen Fotos und kurzen Lebensgeschichten der aufgenommenen örtlichen Musiker. Zum Gesamtkunstwerk gehört auch, dass er sie im Sommer auf dem Marktplatz von Évora vorgestellt hat und die Samples der lokalen Sänger dabei über Videoleinwände visualisiert wurden. Ein Dokumentarfilm zum Projekt ist bereits in Arbeit. Der Titelbestandteil „Alentejo Vol. 1“ deutet an, dass Ribeiro Casais das Ganze gerne in anderen Städten wiederholen würde. Musikalische Ideen werden ihm wohl nie ausgehen.
Christian Rath

 RADIO TARIFA: Rumba Argelina
RADIO TARIFA
Rumba Argelina
(Do-Vinyl; World Circuit), mit span. u. engl. Texten u. Infos


Die spanische Band und unter anderem dieses Debütalbum markieren ein Davor und Danach in der Geschichte dessen, was man just zu jener Zeit massiver unter „Weltmusik“ verbuchte und vermarktete. Mit dem Percussionisten, Hauptkomponisten und Arrangeur Fain S. Dueñas, dem Spieler diverser Flöten und anderer Blasinstrumente Vincent Molino und dem charismatischen Sänger und Liedtexter Benjamín Escorizo taten sich Ende der 1980er drei exzellente Musiker zusammen. Nicht am namensgebenden, symbolträchtigen, weil Afrika nächsten Ort Spaniens, Tarifa, sondern in Madrid köchelte man eine bis heute einzigartige Melange aus Traditionen beider Uferseiten Tarifas bzw. Gibraltars: Flamenco, Al-Andalus, Maurisches und Arabisches kommen da in einer ebenso heutig wie tradiert klingenden Weise klug zusammen. Die rau-sonore Stimme Escorizas, der 2012 zu früh verstarb, assoziieren Nichtspanier gerne sofort mit Flamenco. Dabei kommt in ihr wie der gesamten, auf vier Alben gebannten Musik der 2006 aufgelösten Band, die stets viele Musiker hinzulud, so viel mehr zusammen als Spaniens populärste Musiktradition. Das Londoner Label, das 1994 Rumba Argelina international publizierte, bringt diesen diskografischen Meilenstein nun remastert erstmals als Vinyl heraus.
Katrin Wilke