Rezensionen der Ausgabe 4/2019
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Kölsche Hommage an die besten Songwriter des Planeten
| KÖSTER/HOCKER Fremde Feddere (GMO – The Label) mit Texten
Die beiden schrägen Vögel der Kölner Musikszene schmücken sich mit fremden Federn und machen sich daran, Würmer zu picken. „Ohr“-Würmer. Der Texter und Sänger Gerd „Jächt“ Köster und der Gitarrist Frank Hocker spielen Songs aus ihrem Lieblingsliederfundus. Garantiert ohne Kölschtümelei. Dafür mit Herzblut! Das neue Album der beiden Liederpreisträger von 2018 ist eine einzige Hommage an einige der besten Songwriter auf diesem Planeten. Wer noch die kongenialen Tom-Waits-Textübertragungen im Ohr hat, die Köster mit The Piano Has Been Drinking und auch später immer mal wieder abgeliefert hat, dem wird schon die Songliste des Albums das Wasser aus den Lefzen treiben. Und ziemlich jeder findet darunter seinen persönlichen Lieblingsohrwurm, wobei die Gefahr besteht, dass das alle dreizehn Songs sein werden. Das Spektrum ist so breit wie illuster. Es finden sich darunter Songs von Shane MacGowan, dessen „A Pair Of Brown Eyes“ Köster hinreißend mit seiner schönsten Tom-Waits-Crooner-Stimme zelebriert, oder von Bob Dylan („Gotta Serve Somebody“). Und auch Frank Zappas sarkastisches „Bobby Brown“ oder Loudon Wainwright IIIs „Wine With Dinner“ macht sich das Duo ebenso mit viel Respekt vor und nahe am Original zu eigen wie John Hiatts „Train To Birmingham“ (der bei Köster/Hocker unter „Zoch noh Lummerland“ firmiert) und Ian Tysons „Four Strong Winds“. Wer sich die Mühe macht, Original- und Covertext nebeneinanderzulegen, merkt, wie genial die kölschen Textfassungen sind. Die musikalischen Zutaten dieser geschmackvollen Liedauswahl sind Folk und Rock, Blues und Country, die gelegentlich, wenn’s der Song erfordert, durch dezente elektronische Grooves und Pianoklänge verfeinert werden. Grandios umgesetzt werden die Songs neben Frank Hocker (akustische Gitarren, Dobro, Mandolingitarre, Backgroundgesang) von Produzent Dieter Krauthausen (Programming), Friso Lücht (Köbes Underground) an diversen Keyboards, Gitarren, Glockenspiel und Tubular Bells, Schlagzeuger Gerhard Sagemüller, Akkordeonist Pete Haaser und Riedel Diedel an der Mundharmonika. Wat solle mer spreche? Meisterwerk! Ulrich Joosten
| Eine Feier des Augenblicks
| FJARILL Midsommar (Butter & Fly) mit dt. u. schwed. Texten u. Infos
Sie machen ihrem schwedischen Namen alle Ehre. Wie Schmetterlinge ziehen sie dorthin, wohin die Musik sie trägt. Nur ein Jahr nach ihrem rhythmisch geprägten und manchmal dissonant klingenden Album Kom Hem präsentiert das schwedisch-südafrikanische Duo ein ganz neues Werk. Midsommar ist ein intensives Album, das den Hörer auf sich selbst zurückwirft. Das zweitwichtigste Fest in Schweden gilt nicht nur dem Feiern des aufblühenden Lebens in der hellsten Zeit des Jahres, es ist auch das Bewusstwerden der Vergänglichkeit. Lebendigkeit existiert nur im Vergehen. Was bleibt ist der Augenblick. Genau das bringen Pianistin Aino Löwenmark und Violinistin Hanmari Spiegel in den dreizehn neuen Stücken exzellent zum Ausdruck. Das zart und berührend arrangierte Album feiert die Natur und die mystischen Stimmungen des Nordlichtes. Dazu wählte das Duo neben eigenen Kompositionen vor allem traditionelle schwedische Volkslieder. In deren Texten verbindet sich die Nähe zur Natur mit der Sehnsucht nach Liebe in einer Ursprünglichkeit, wie sie in einer technikdominierten Welt kaum noch verfasst werden kann. Bei aller Freude und Ausgelassenheit scheint in den Liedern immer auch Nachdenklichkeit durch. Warum der Moment gelebt werden will, unterstreichen Fjarill besonders in den hervorragenden Vertonungen dreier Gedichte des schwedischen Literaturnobelpreisträgers Pär Lagerkvist. In „Kurz nach deinem Tod“ singt Aino etwa von einer Frau, die einem Mann ihre Liebe erst gesteht, als dieser beerdigt wird. Wer in einem ihrer Workshops schon einmal erfahren hat, mit welcher Leidenschaft die beiden Künstlerinnen Musik leben, weiß, dass sie immer in Bewegung sind. So zählt das aktuelle Album sicher zu den Höhepunkten ihres kreativen Schaffens. Auf Midsommar begeistern Fjarill musikalisch und gesanglich mit ganz neuen Facetten, wie etwa A-cappella- und Chorgesang. Ihr harmonisches Zusammenspiel, unterstützt durch Akustikgitarre, Cello, Percussion oder Akkordeon, sucht seinesgleichen und kreiert eine ganz eigene musikalische Welt, die sich in keine Schublade einordnen lässt. Erik Prochnow
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Afrokubanische Seelenschwesternschaft
| ANGÉLIQUE KIDJO Celia (Verve) mit engl. Infos
Da kommen zwei charismatische Powerladies zusammen! Die seit Langem in den USA lebende Sängerin aus Benin, Angélique Kidjo, macht sich hier mit ihrem schon bekannten Talent als „Versionierin“ zehn Songs der 2003 verstorbenen Kubanerin Celia Cruz zu eigen. Genauer gesagt: größere und kleinere Hits aus deren Repertoire – einige schon aus den Fünfzigern, Sechzigern –, die gerade durch Cruz’ kraftvolle Interpretationen oft zu ultimativen Ohrwürmern wurden und mitunter das Original vergessen ließen. Darunter der afroperuanische Klassiker „Toro Mata“, den die resolute Habanera, die auch mit ihrem markanten „Azúcar“-Ruf in aller (Fans) Ohren ist, einst in eine Salsa-Nummer verwandelte. Und die erfährt nun unter Kidjos Fittichen, gemeinsam mit einer kleinen, illustren US-Multikulti-Crew (darunter kein Kubaner) eine weitere Mutation, wird zum Afrobeat-Track – nicht direkt naheliegend, aber ein leichtes Spiel durch den ebenfalls mitwirkenden Fela-Kuti-Drummer Tony Allen. Leicht insgesamt auch für den afrikanischen Superstar, weil die Verbindung zum Mutterkontinent mit der Afrokubanerin allemal hergestellt ist. Sie, die (nach Kenntnis der Rezensentin) zeitlebens nie direkt gemeinsame musikalische Sache mit Cruz machte, hätte diese als Jugendliche erstmals live erlebt. Der Salsa-Hit „Quimbara“ etwa, auf dem Album imposant mit Afrolatin-Percussion und Bläsern umgesetzt, war für die Beninerin beim ersten Hören eine Offenbarung – was weiblich-selbstbewusstes als auch afrikanisches Bewusstsein angeht. Die 1960 in Ouidah geborene und somit 35 Jahre jüngere Wahl-New-Yorkerin hat sich von daher nicht von ungefähr die stärker afrogeprägten Stücke für ihre Neulektüre ausgewählt („Yemaya“ oder „Bemba Colorá“). Aber auch der ultimative Partykracher „La Vida Es Un Carnaval“, zigfach und nicht selten unoriginell gecovert, darf nicht fehlen. Nicht grundsätzlich anders, doch betörend sein fast äthiopisch klingendes Intro – dank ihrer Landsleute von der populären Gangbé Brass Band, die hier wie anderswo auf Celia starke Akzente setzen. Katrin Wilke
| Psychedelische Tropenmusik
| COMBO CHIMBITA Ahomale (Anti-)
Das hochexplosive Gebräu der kolumbianischen Band Combo Chimbita führt uns vor, was es in Lateinamerika meist abseits unserer Wahrnehmung an kreativer, skurriler und wilder Musik gibt. Dazu muss man den Kopf schütteln, entweder vor Verblüffung oder weil man mitgerissen wird von den psychedelischen Sounds, in denen sich mystischer Anden-Folk, Cumbia-Rhythmen, wimmernde Elektronik, krachiger Garage-Rock, Dub-Elemente oder auch afrikanische Soukous-Gitarren verbinden. Sängerin Carolina Oliveros’ beseelte Gesänge in den Echokammern wirken zudem wie ein klanglicher Tsunami. Sie versteht sich als Schamanin, die Botschaften ihrer Urväter aus der Vergangenheit hervorholt. Entsprechend zieht die Band alle Register zwischen überirdischen Frauenchören, punkigem Krach und verfremdeten Geisterstimmen. Dies ist kein Worldbeat-Clubmusic-Projekt, sondern eine futuristische Tropical Band, die den Begriff der Tropical Music um einiges an stilistischen Grenzüberschreitungen erweitert. Derart verrückte Gruppen gab es schon in den Siebzigern, gerade in der Chicha-Musik, als elektrifizierte Instrumente in Lateinamerika der neueste Hit wurden, kein Musiker dabei hintenanstehen wollte und man wild alles Mögliche zwischen Tradition und Rock ausprobierte. Das war damals cool; manches davon ringt einem heute zwar ein Lächeln ab, aber dieses Überbordende jener Zeit spürt man auch bei dieser feurigen Truppe. Sie ist zudem in Brooklyn beheimatet, wo sie ihre Traditionen jederzeit mit den Inspirationen des New Yorker Melting Pot versehen dürfte. Inzwischen gibt es gerade in der neueren Cumbia-Szene etliche ähnliche Bands, die lateinamerikanische Musik mit elektronischen Retrosounds, verrückter Kostümierung und schrillen Auftritten neu definieren. Eine ungestüme Szene, die in etwa das Gegenteil dessen darstellt, was einem hierzulande aus dem Autoradio entgegenblökt. Die klanglichen Abenteurer der Combo Chimbita haben etwas Dadaistisches, was heute mehr denn je guttut. Hans-Jürgen Lenhart
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Eine Geburtstagsfeier der besonderen Art
| HANS THEESSINK 70 Birthday Bash (Blue Groove)
In schöner Tradition steht Hans Theessink seit bereits zehn Jahren anlässlich seines Geburtstags im April auf der Bühne des Wiener Metropol-Theaters und gibt dort ein musikalisches Stelldichein. In 2018 stand der 70. Geburtstag an, und der „Birthday Bash“ wurde auf eine vier Tage – bzw. Abende – lang andauernde Party ausgedehnt. Viele Musiker aus den Jahren gemeinsamen Schaffens kamen zusammen, spielten und musizierten. Vieles routiniert und langer Übung zu verdanken, vieles andere wiederum spontan improvisiert und gerade darum von Herzen kommend – so, wie es sich für einen ordentlichen Geburtstagsgruß gehört. Auf zwei CDs wurden diese denkwürdigen Sessions festgehalten, und jeder, wirklich jeder einzelne der Songs ist den Kauf mehr als wert. Alle Musiker und Stücke einzeln aufzuführen, würde den Rahmen der Besprechung sprengen. Los jedenfalls geht es mit „Stormwarning“, einem Stomp, bei dem sich Hans Theessinks warmer Bariton und sein feines Spiel auf der Akustikgitarre wunderbar mit dem Gesang und der E-Gitarre des dänischen Musikers Knud Moeller ergänzt. Die Begleitband Blue Groove tut ein Übriges dazu, und auch Jon Sass’ Tuba, mit der er die Basslinie spielt, ist das erste Mal zu hören. Der entspannte, melodische Blues „Honest I Do“ von Jimmy Reed folgt, hier von Meena Cryle mit der zweiten Stimme und Chris Fillmore an der Gitarre begleitet. Mit dem 2018 verstorbenen Bluessänger und Gitarristen Terry Evans verband Hans Theessink eine langjährige und tiefe Freundschaft, ihm ist das getragene „Vicksburg Is My Home“ gewidmet. „Set Me Free“ entführt in den tiefen Süden der USA, körperlich spürbar sind die Hitze und die Schwüle des Mississippi-Deltas, sanft schaukelnd entführen uns die Orgel von Roland Guggenbichler und der Chor von Insingizi von dort Richtung Ozean und weiter mit „Zambezi“ zu den afrikanischen Wurzeln. Auch der Gospel ist da, hier in Gestalt der A-cappella-Formation Five Blind Boys of Alabama. Aber wie gesagt, jedes einzelne Stück ist es wert … Achim Hennes
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