Rezensionen der Ausgabe 3/2019
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FINN ANDREWS One Piece At A Time (Nettwerk)
BREABACH Frenzy Of The Meeting (Breabach Records BRE005CD), mit knappen engl. Infos
Die Sehnsucht nach einem Album, wie es zu alten Vinyl-Zeiten produziert wurde, ist groß, nach einem Album, das ohne Blick auf eine Hitsingle wie aus einem Guss klingt und dennoch die verschiedensten Stile und Emotionen in sich vereinigen kann. Coldplay hätte es vielleicht produzieren können, aber die haben sich für formatradiotaugliche Stadionhymnen entschieden. Elbows letztes Album ist lange her, Peter Gabriels Meisterwerke liegen noch länger zurück. Die Rettung bietet Finn Andrews, bekannt als Sänger der Überflieger Veils. Hier ist alles vorhanden, was früher Stars zwischen Elton John und Eagles auf zwei Rillen pressten. Schlichtweg geniales Songmaterial in einer packenden Inszenierung, abwechslungsreich und vertraut zugleich. Dieses Album ist im besten Sinne zeitlos, man kann (und wird) es in jedem musikalischen Jahrzehnt herausholen und wieder und wieder hören, neue Feinheiten entdecken und sich an seinen persönlichen Lieblingssong erinnern. Selbst Schlagermelodien wie „Don’t Close Your Eyes“ verwandelt Andrews in Kunstwerke und lässt den Hörer im Herzen verwundet, aber glücklich zurück. Chris Elstrodt
| DOBRANOTCH Merčedes Kolo (CPL-Music)
Milia Khramtsov (v, voc) hält bei diesem Septett deutlich das Zepter in der Hand. Er ist der Einzige, der durchgehend seit der Gründung dieser Band vor rund zwanzig Jahren dabei war. ergänzt im Jahre 2019 durch Ilia Gindin (cl), Maxim Karpychev (sax), Evgeny Lizin (dr), Grigory Spiridonov (tb), Alexey Stepanov (tuba) und den in Deutschland sesshaften Ilya Shneyveys (acc). Furios beginnt das nunmehr achte Album der Gruppe mit „Nign“, gefolgt von einer noch rasanteren „Polka“. Da bleibt kein Fuß mehr still, wie auch eigentlich in allen zwölf Titeln samt dreier „Bonus-Tracks“. Wobei letztere als Remixversionen bereits eine gewisse Discoqualität erahnen lassen. Fantastisch, wie aus „Du hast“ der Punkformation Rammstein ein klassisches, auf Jiddisch gesungenes Klezmerstück wird. Gleichermaßen originell, wie aus dem arabisch-algerischen „Yah Rayah“, original gesungen von Dahmane El-Harrachi, fast unbemerkt ein nahezu russisches Lied entsteht. Schade, dass dem Album keinerlei weitere Informationen beigelegt sind. Der einzige Schwachpunkt, denn sicherlich nicht nur der Rezensent hätte gerne mehr über die einzelnen Stücke und deren Entstehung erfahren. Was aber letztlich nichts an der Qualität der Musik ändert. Matti Goldschmidt
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EABHAL This Is How The Ladies Dance (Eigenverlag), mit knappen engl. Infos
Diese Band hat ihre Wurzeln auf der Insel South Uist, und trotz ihrer Jugend haben Eabhal bereits einige Auszeichnungen ergattern können. So sind sie Sieger des Battle of the Bands 2018. Das verwundert kaum, denn obwohl die Band nicht mit umwerfenden Neuerungen aufwarten kann, ist ihre in den Highlands und Islands von Schottland geerdete Musik von umwerfender Frische und Begeisterung. Katie Ross (Gesang), Meggan MacDonald (Akkordeon), Nicky Kirk (Gitarre), Jamie MacDonald (Fiddle) und Hamish Hepburn (Pipes, Flutes) beziehen ihre Inspirationen aus den verschiedenen Ländern mit gälischer Kultur, die Produzent Scott Wood in einen ansprechenden Sound einbettet. Ab und an versieht Charlie Stewart, als Gast am Bass, die Tracks mit der nötigen Tiefe, und obwohl die Band einen mehr als passablen Begleitgesang zu Ohren bringt, steuert Chloé Bryce eine willkommene zusätzliche Stimme bei. Apropos Stimme und Gesang, ein bis zwei weitere gälische Songs hätten das Album zu einem noch überzeugenderen Debüt gemacht. Mike Kamp
| HOLLOW HEARTS Travelling Songs (EP; Westergaard Records)
Nordnorwegen, riesengroß, dünn besiedelt, weit weg von Oslo. Dort sind Ida Helene Løvheim (voc, g), Ida Karoline Nordgård (voc, b, keys), Christoffer Nicolai Mathisen (g, pedal steel) und Mikael Pedersen Jacobsen (dr) zu Hause. Das Quartett besteht seit Ende 2016; kurz nach der Gründung folgte das erste Album Annabelle. Als zweite Veröffentlichung der Band schließt sich diese EP mit sieben Songs an. Lieder voller Atmosphäre, Melodien und Geschichten, das Reisen steht im Mittelpunkt, allerdings in einem weit gefassten Sinn. Es kann zum Beispiel das heimatlose Umherziehen sein wie in „Travelling“, einem Stück voller Tiefe, in dem Ida Helene Løvheim klingt wie die reife Joni Mitchell. Die Wirkung des Songs wird verstärkt durch die Mitwirkung des Arctic Philharmonic, des nordnorwegischen Sinfonieorchesters. Wie ein veritabler Radiohit klingt dagegen der Opener „With You“, versehen mit einem stilistischen Schuss Katzenjammer, und „Trainriding“ lässt die späten Fleetwood Mac aufscheinen. Immer wieder prägt die Pedal Steel den Sound, zaubert Weite und Melancholie. Das weckt Lust auf mehr. Wie praktisch, dass bereits in diesem Herbst das zweite Album namens Peter folgen soll. Volker Dick
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PAUL MILLNS A Little Thunder (Acoustic Music Records)
Mit leicht angerauter, rauchiger Stimme singt der Pianist Paul Millns seine Lieder. Nachdenklich, oft melancholisch, aber nicht düster und hoffnungslos sind seine Texte. Sie handeln vom Leben, der Liebe und dem Tod. Auch der Alkohol spielt eine Rolle. „Drink up people, the sun is coming up“, heißt es ganz zu Beginn des ersten Songs, und wer sich fragt, warum ausgerechnet der Morgen mit einem Drink begrüßt werden will, der erfährt etwas über den Teufel und den unaufhaltsamen Lauf der Zeit. Ein Songpoet im allerbesten Sinne. Seine Musiker begleiten ihn einfühlsam, geradezu zärtlich, wenn der jeweilige Song es verlangt. Klarinette, Akkordeon, Violine oder auch eine Mundharmonika setzen die Akzente. Diese Musik nimmt gefangen, umhüllt mit Wärme und regt das eigene Nachdenken an. Im Stück „My Father’s Son“ etwa schildert Paul Millns, der als Waise aufwuchs, wie er Vater und Mutter nie gekannt, aber immer herbeigesehnt hat. Die Liebe erfuhr er dann von anderer Seite, und auch diese Geschichte ist gleichzeitig tieftraurig und wunderschön. Verpackt in einen der typischen Paul-Millns-Songs löst sie damit das vornehmste Versprechen ein, das Musik geben kann – sie berührt. Achim Hennes
| RYDVALL MJELVA Vårvindar Friska (NFB Records), mit norw. u. engl.Infos
Erik Rydvall ist Schwede, Olav Mjelva Norweger. Rydvall spielt Nyckelharpa Mjelva Hardingfele, und gemeinsam bringen sie dann auch eine Fusion von musikalischen Traditionen aus beiden Ländern, die gar nicht so weit auseinanderliegen. Mjelvas Heimatort, die alte Grubenstadt Røros, liegt ziemlich nah an der schwedischen Grenze. Die schwedische Provinz Härjedalen gehörte bis 1645 zu Norwegen und war das wichtigste Hinterland für Røros. Klar, dass die beiden Musiker bald Gemeinsamkeiten fanden, die sie auf diesem Instrumental-Album vorstellen. Die Stücke stammen fast alle aus dem Repertoire von Spielleuten vornehmlich aus Hallingdal und Härjedalen, es sind aber auch Eigenkompositionen vertreten, die sich der Tradition perfekt einfügen, aber durch ihre Titel auffallen, zum Beispiel Mjelvas „Kaffemonster“. Ein Album, das zum vielfachen Wiederhören anregt und dem man großen Erfolg wünscht – Letzteres auch, damit jemand zum Korrekturlesen der wirklich grauenhaften Fehler in den englischen Infos angeheuert werden kann, die allerdings die Freude an der Musik doch nicht verderben. Gabriele Haefs
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SĄSIEDZI W Kieszeni Dolar (Fundacja Folk24)
So hat man Folkmusik noch nicht gehört. Die polnische Formation Sąsiedzi haucht traditionellen Stücken aus Irland, Schlesien, der Normandie, der Bretagne, Quebec oder Amerika ein ganz neues Leben ein. Ob a cappella, instrumental oder in voller Bandversion, die sieben Musiker entfachen auf ihrem neuen Album durchgehend eine enorme Energie, die Gänsehaut erzeugt. Ihre mitreißenden Arrangements mit Violine, Flöte, Gitarre, Bodhrán, Mandoline und herausragendem mehrstimmigem Gesang sind geprägt von hohem musikalischem Können. Dabei widmen sie sich auf ihrem neuen Album W Kieszeni Dolar („Ein Dollar in der Tasche“) längst nicht mehr nur den Shantys, für die sie international mehrfach ausgezeichnet wurden. Das Meer prägt zwar immer noch das Repertoire der Gruppe, diesmal stehen jedoch maritime Tänze und Balladen im Vordergrund, die sie auf ihre eigene Weise und mit polnischen Texten interpretieren. Das hierzulande noch wenig bekannte Ensemble gründete sich 2001 im schlesischen Gliwice. Der Bandname bedeutet auf Deutsch „die Nachbarn“; durch ihre hohe Kunst, die verschiedensten Musiktraditionen pulsierend zu vereinen, fühlt man sich als Zuhörer in der Tat sofort wie zu Hause. Erik Prochnow
| VICKI SWAN & JONNY DYER Twelve Month & A Day (Wet Foot Music), mit knappen engl. Infos
Letztes Jahr waren sie in Deutschland unterwegs und präsentierten dem Publikum ziemlich exakt das, was auf ihrem neuen Album zu hören ist, traditionelle, zeitgenössische und eigene Folksongs aus GB und den USA und Melodien, die schwerpunktmäßig aus Schweden stammen. Letzteres nicht von ungefähr, denn Vicki Swan spielt die Nyckelharpa meisterlich. Aber nicht nur vom Material her ist die CD mit den Liveauftritten vergleichbar, sie haben so gut wie keine Gäste ins Studio geholt. Auch auf dem Tonträger konzentrieren sich die beiden auf sehr gekonnt gespielte Musik, die selbst bei den Soloparts völlig ohne Eskapaden auskommt. Weniger ist hier immer und eindeutig mehr. Und selbst die humorvollen Ansagen werden auf Tonträger zumindest insofern angedeutet, als dass die paar Infos mit einem feinen Humor angereichert sind. Wer seine Folkmusik bescheiden, aber jederzeit kompetent bevorzugt, wird mit Vicki Swan und Jonny Dyer mehr als zufrieden sein, live und auf CD. Mike Kamp
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VESSELSKY/KÜHN Wia waun (Preiser Records)), mit österr. Texten u. dt. Infos
„I fiadat de pflaunzn und giaß de katz wia waun i kopflos wa.“ Nein, vorliegende zweite CD des niederösterreichischen Duos Irmie Vesselsky (voc, p, key) und Wolfgang Kühn (voc), unterstützt von Fabian Hainzl (perc, b, g), ist alles andere als kopflos. Wie im 2017er-Debüt Wauns amoi so aufaungt bilden auch hier Vesselskys melodische und Kühns hauchende Stimme einen starken Kontrast zueinander, der noch verstärkt wird, wenn Englisch und Waldviertler Dialekt einander abwechseln: „Do you remember, the fun we left behind […] / Kaunst di no erinnern, wie hinta da sandkistn uns klane wöd aus woa?“. Diese Zitate zeigen die inhaltliche Richtung des Albums, es geht um die Unvollkommenheit des Lebens, um Vergänglichkeit, um die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit, um den oft vergeblichen Versuch, den eigenen Ansprüchen und denen anderer gerecht zu werden. Da treffen sich Poesie, Philosophie und Musik. Als Manko wäre nur zu nennen, dass die Texte im Beiheft nicht zusätzlich in standarddeutscher Übersetzung vorliegen. Das meiste aber versteht auch der rheinische Rezensent und ist wieder hin und weg von diesem Duo, das die Finger zugleich schmerzhaft und liebevoll in die Wunden des Lebens legt und ihm rät: „Des leben, des muaßt leben, vü nachfragn derfst net.“ Michael A. Schmiedel
| INNES WATSON Innes Watson’s Guitar Colloquium (Isle Music), mit engl. Infos
Es gibt momentan zwei Herren mit dem relativ seltenen Vornamen Innes, die die schottische Szene bereichern. Beide wohnen in Glasgow, beide sind Multiinstrumentalisten, beide sind bei Mitmusikanten enorm gefragt, und beide nennen die Gitarre ihr Hauptinstrument. Glücklicherweise sehen sie sich nicht sehr ähnlich, und der Herr Watson weist gegenüber Herrn White zwei grundlegende Unterschiede auf: Er ist etwas älter und hat nun ein Soloalbum mit meist eigenen Tunes veröffentlicht, die er bei den letzten Celtic Connections ausführlich vorstellte. Bei seinem riesigen Wirkungskreis (z. B. Jarlath Henderson Band oder das Treacherous Orchestra plus unzählige Studioeinsätze) konnte er sich die Musiker aussuchen, u. a. dabei Ali Hutton, Barry Reid, Duncan Lyall, Mike Vass oder Patsy Reid, schlicht die Creme der schottischen Szene. Die Musik ist nicht gerade folkloristisch, aber sie wurzelt deutlich entweder in der Heimat oder in Nordamerika, mal akustisch, mal mit rockig-funkigem Drive. Und die Geschichten hinter den Melodien sind teils umwerfend. Eine wirklich großartiges und in sich stimmiges Werk! Mike Kamp
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WEST OF EDEN Flat Earth Society (West of Music)
West of Eden ist eine erstaunliche schwedische Band, deren Mitglieder laut eigener Aussage im Herzen „Kelten“ sind. Nun, zumindest bestehen massive Connections nach Irland und auch Großbritannien, dies wird aus der Liste der Gastmusiker wie Jarlath Henderson, John McCusker, Damien O’Kane u. a. deutlich. Die musikalische Gestaltung basiert in erster Linie auf wirklich gut geschriebenen Songs im Stil des typischen zeitgenössischen angloirischen Materials, die allerdings sowohl textlich-inhaltlich als auch musikalisch in ihrer Eigenständigkeit überzeugen. Über allem strahlt die warme, charaktervolle Stimme von Jenny Schaub. Ihr Mann Martin steht ihr dabei gekonnt mit eigenen Vokalbeiträgen zur Seite. Geiger Lars Broman streut clevere Tunefragmente und Riffs ein – z. B. in „Kate, Are You Ready Now“ – einfach großartig! Einige Jigs und Reels sind ebenfalls State of the Art. Abgerundet durch Bass und Drums schwingt die Platte zwischen bewegten druckvollen Songs mit Ohrwurmpotenzial und auch einigen schönen ruhigen Balladen. Richtig gut! Johannes Schiefner
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