Rezensionen der Ausgabe 2/2019
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¿QUE VOLA? ¿Que Vola? (No Format)
In der Formation ¿Que Vola? trifft ein französisches Jazzseptett auf drei kubanische Percussionisten. Deren Latin Jazz klingt insofern anders, als die musikalische Basis hier von den Rhythmen der afrokubanischen Religionen wie Santeria gebildet wird und diese Begegnung zweier Kulturen wie eine zeremonielle Reise arrangiert wird. Man merkt dies bereits im ersten Stück. Auf der Grundlage eines kräftigen Rhythmusteppichs findet ein Ruf-Antwort-Ritual zwischen Posaune und Restbläsern statt und steigert sich dann in freie Improvisationen. Die energetische Percussion bildet einen beständigen Hintergrund, die Bläsersätze sind von traditionellen Gesängen inspiriert. Deshalb wirken sie mit ihren kurzen Stößen manchmal etwas abgehackt und wenig swingend. Sie befeuern aber die Musik und tragen die rhythmische Komplexität mit. Die Improvisationen einzelner Bläser sind betont frei und wild, nur durch einen E-Pianisten etwas ausgeglichen; die Trommler zeigen ausgiebig, wie man sich in Rage spielen kann. Ein überraschendes Album mit für den Latin Jazz sehr frischen Ansätzen. Hans-Jürgen Lenhart
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TAKULA Takula (XA Music), mit engl. Texten u. Infos
Ein Debütalbum der besonderen Art, initiiert vom norwegischen Weltmusikredakteur Sigbjørn Nedland. Die Geschichte dieser Produktion begann 2013 mit dem Besuch Nedlands im Rundfunkarchiv in Blantyre in Malawi. Dort stapelten sich Tonbänder mit Aufnahmen von den Vierziger- bis zu den späten Achtzigerjahren, die die Musik in Malawi vor dem Vergessen bewahrten, aber aufgrund heutiger moderner Technik nicht mehr zu Gehör gebracht werden konnten. Unterstützt von der norwegischen Botschaft beschloss Nedland, diesen Schatz der Malawi Broadcast Corporation (MBC) zu heben. Unter Mithilfe von Musikexperten vor Ort wurden über 5.000 Titel zu neuem Leben erweckt, sodass diese Musik nun digitalisiert wieder in Malawi zu hören ist. Eine leider nur kleine Auswahl dieser Arbeit ist auf der zweiten CD zu hören. In einem nächsten Schritt wurden junge Musiker in Malawi mit dieser Musik konfrontiert. Unter dem Namen Takula finden sich nun neun Titel auf der Debüt-CD, jeweils mit Hinweisen auf die Inspirationsquelle. Ein musikalisch weit gespannter Bogen von Balladen bis Hip-Hop, von Klängen traditioneller Instrumente bis zu elektronischem Klangdesign. Aufgenommen wurde im MBC-Studio in Malawi. Gerne mehr davon! Christoph Schumacher
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BEARS OF LEGEND A Million Lives (Eigenverlag), mit engl. Texten
Spätestens seit Rudolstadt 2017 ist das kanadische Septett auch in unserer Szene ein Begriff. Nun gibt es endlich das dritte Album, den Nachfolger des außergewöhnlichen Konzeptalbums Ghostwritten Chronicles. Wie bei diesen Bären üblich, liegen zwischen den sorgfältig und komplex arrangierten CDs drei Jahre. Zwei offensichtliche Besonderheiten zeichnen die drei Damen und vier Herren aus: Sie sind alle waschechte Frankokanadier aus Trois-Riviéres, Québec, aber sie singen auf Englisch. Auch sucht man die frankofonen Traditionen ihrer Provinz vergeblich. Sie beziehen sich ganz grob auf anglophiles Songwriting mit Americana-Einflüssen, die Songs werden immer von Leadsänger David Lavergne zumindest mitgeschrieben. Und dann das: Wie viele Bands haben einen Drummer wie Francis Perron, der gleichzeitig produziert, aufnimmt und mixt? Die Folkwurzeln basieren auf dem Instrumentarium wie Akkordeon, Cello, Banjo oder Glockenspiel neben der normalen Rockbesetzung. Damit schaffen sie eine Musik, die nie übermäßig rhythmisch ist, eher elegisch, manchmal gar hymnisch, Richtung Folkrock/-pop, immer mit einem vielstimmigen Gesang (vier herrliche Harmoniestimmen!). Zurücklehnen und genießen. Mike Kamp
| FOXWARREN Foxwarren (Anti-Records)
Der Kanadier Andy Shauf ist vor allem als Solokünstler unterwegs, hat aber bereits als Teenager die Band Foxwarren gegründet, mit der er erst jetzt ein erstes Album einspielen konnte. Shaufs Eltern hatten einen Laden für elektronische Musikinstrumente, sodass er mit einer Vielzahl an musikalischen Einflüssen aufwuchs und auch viele Instrumente selbst spielt. Das spiegelt sich in der Musik von Foxwarren wider, wo die Gitarren dominieren, die aber dennoch abwechslungsreich ist und nicht so leicht als Songschreiberalbum durchgehen kann. Eben auch, weil Foxwarren ein Bandprojekt ist, das Shauf schon seit mehr als zehn Jahren neben seinen Soloaktivitäten betreibt. Pendeln die Alben unter seinem Namen zwischen reinem Songwritertum und elektronischen Experimenten, wirkt vieles auf diesem Album wie Softrock aus der Mitte der Siebziger oder, wie er heute so schön bezeichnet wird, „Yacht Rock“. Bei Foxwarren aber ohne aufdringliche Streicherarrangements, ohne schmierige Kommerzialität, sondern eher wolkig-leicht, fließend, laid back – richtig altertümlicher Folkrock mit einer sphärischen Note. Michael Freerix
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TIM SPARKS/JAMES BUCKLEY Jukebox Dreamin’ (Acoustic Music Records)
Manchmal wünscht man sich Akustikgitarristen, die einfach entspannt spielen – Gefühl statt extrovertiertes Spiel! Hier ist der US-amerikanische Fingerstyle-Gitarrist Tim Sparks genau der Richtige. Seine vielen musikalischen Wurzeln geben ihm Souveränität, und er braucht niemandem etwas zu beweisen. Der 1954 in North Carolina geborene Musiker lernte klassische Musik, spielte Bluegrass und Ragtime, war Mitglied in Rhythm-and-Blues- und Jazzbands. Jetzt hat er mit dem Kontrabassisten James Buckley ein Duoalbum eingespielt, auf dem er auf seine Vergangenheit zurückblickt – insbesondere die ihn prägenden Sechzigerjahre. Rein instrumental spielt das Duo beispielsweise „Homeward Bound“ von Paul Simon, „Mama Tried“ von Merle Haggard oder „Imagine“ von John Lennon. Mit warmem Ton und ganz natürlich changieren die Interpretationen zwischen eingängigem Popflair, jazzigen Improvisationen und Fingerpicking. Dabei begleitet ihn James Buckley auf dem Kontrabass sanft swingend und bereichert die Stücke mit einfühlsamen Soli. Heraus gekommen ist ein Duoalbum, das den Hörer zur Ruhe kommen lässt und ihn auf das Wesentliche lenkt, die Schönheit der Musik. Udo Hinz
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ITIBERÊ ORQUESTRA FAMÍLIA Pedra Do Espia (Far Out Recordings), mit engl. Infos
Itiberê Zwarg ist der langjährige Bassist von Hermeto Pascoals Band O Grupo. Beide brasilianischen Jazzer stehen für ihre „Universelle Musik“, die hier stürmisch ausgelebt wurde, polyharmonische wie polyrhythmische Klänge mit maximalen Freiheiten für die Musiker. Zwarg komponierte und arrangierte 2001 das Album mit Teilnehmern eines Workshops auf der Basis von Improvisationen in Echtzeit. Entsprechend komplex schwappt diese Musik über einen. Ständig gibt es Tempowechsel, unterschiedliche Dynamiken. Man hat das Gefühl, jede Minute kommt eine andere Klangfarbe, ein anderes Arrangement ins Spiel. Die Musik vibriert, wirkt atemlos und hochenergetisch, die Rhythmen galoppieren oder verdichten sich zu fast unspielbaren Unisono-Parts. Dann wieder Choreinsätze, Streicherduette mit gewöhnungsbedürftigen Harmonien. Stilgrenzen gibt es hier keine. Klar spielt brasilianische Musik eine Rolle, aber Avantgarde, Jazz oder impressionistische Musik schillern ebenfalls durch. Zwar ist das Album der Musik Pascoals sehr ähnlich, aber noch komplexer und verspielter. Dieses wiederveröffentlichte Album ist wie eine Wundertüte. Faszinierend, andererseits nichts zum nebenbei Hören. Hans-Jürgen Lenhart
| DANIEL MURRAY 14-37 (Acoustic Music Records), mit Infos
Daniel Murray gehört zu den aufregendsten und innovativsten Gitarristen der jüngeren Generation in Brasilien. Genregrenzen sind dem Universaltalent völlig fremd. Murray interpretiert Kompositionen von Tom Jobim ebenso wie gänzlich abstrakte Musik. Er kombiniert die klassische sechssaitige Gitarre mit Zuspielungen vom Band, er interpretiert, arrangiert und komponiert. Ob solo, in kammermusikalischer Besetzung, mit Orchester oder in eher jazzähnlichen Kontexten – Murray geht jede denkbare Verbindung in kreativster Weise ein. Auf dem vorliegenden Album führt uns Murray an die Quellen seiner Inspiration: Musik von Komponisten, die ihn entscheidend geprägt haben. 2018 ist Murray 37 Jahre alt geworden und blickt zurück auf seine erste Begegnung im zarten Alter von vierzehn mit der Musik des Gitarristen Paulo Bellinati. So erklärt sich das kryptische Zahlengebilde des Titels. Gismonti, Guinga, Villa-Lobos, Pernambuco, Nazareth oder Garoto haben in diesen 23 Jahren seinen Weg gekreuzt. All diese Einflüsse haben die Murray’sche Sprache geformt, eloquent, virtuos, lebendig, immer schönster Ausdruck der alma brasileira, der brasilianischen Seele. Der Kosmos Gitarre ist um eine Supernova reicher. Rolf Beydemüller
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DAUGHTERS OF JERUSALEM Daughters Of Jerusalem (Kirkelig Kulturverksted)
In Jerusalem leben Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion in – zumeist – friedlicher Koexistenz. Doch Jerusalem ist auch Spielball nationaler wie internationaler Interessen und Strategien, was für seine Einwohner ein Leben zwischen Mauern, Checkpoints und unkalkulierbaren Risiken bedeutet. Die 25 jungen Damen der DoJ entstammen alle Familien aus dem palästinensischen Ostteil der Stadt und studieren am dortigen Musikkonservatorium. Dessen Direktor Suhail Khoury rief den Chor vor ein paar Jahren ins Leben und ist seither als sein Dirigent und Arrangeur tätig. 19 Sängerinnen und 7 Instrumentalistinnen bilden die Besetzung der Daughters, wobei die Tochter des Dirigenten als Sängerin und Cellistin tätig ist. Bei drei der elf Lieder werden die DoJ vom Princeton Girlchoir aus New Jersey und dem Mädchenchor Det Norske Jentekor aus Oslo unterstützt. Das Repertoire des Debütalbums reflektiert die Lebenswirklichkeit der Menschen im Ostteil der Stadt und enthält neben Klassikern wie Stephen Adams’ „The Holy City“ auch zwei Songs der 2018 leider viel zu früh verstorbenen Sängerin und Menschenrechtsaktivistin Rim Banna. Ein Album zwischen Trauer, trotzigem Stolz und Hoffnung. Walter Bast
| GUO GAN Moon Night – Erhu Solo (Felmay)
Dem Musikpädagogen und Komponisten Liu Tian Hua (1895-1932) kommt in der Geschichte der klassischen Musik Chinas eine herausragende Bedeutung zu, weil er als einer der ersten begann, kompositorische Elemente der europäischen Kunstmusik in die traditionelle Musik Chinas einzuführen. Als Student erlernte er Geige, Trompete und Klavier sowie die traditionellen Instrumente Erhu und Pipa. Wenig später entstanden seine ersten notierten Kompositionen für die zweisaitige Geige Erhu. Zehn dieser Kompositionen hat Guo Gan für sein neues Album ausgewählt, darunter die faszinierende „Etüde auf einer einzelnen Saite“, ein Adagio, das zum Schluss so leise gespielt wird, dass das Streichgeräusch des Bogens den erzeugten Ton zu übertönen droht. Gibt es eine Steigerung von „pianissimo“? Wenn ja, dann kann man sie hier hören (oder auch nicht …). Die Zwanzigerjahre müssen für kreative Musiker ein goldenes Jahrzehnt gewesen sein. Ravel dirigierte seinen „Boléro“, Strawinski gab seinem Sacre den letzten Schliff und Hindemith veröffentlichte sein schräges „Minimax“-Streichquartett. Und in Peking komponierte Herr Liu wunderschöne Sonaten für eine zweisaitige Röhrenspießlaute. Kompliment an Guo Gan für diese Entdeckung! Walter Bast
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