Rezensionen der Ausgabe 1/2019
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DIVERSE Zugvogelmusik Vol. 1 (Run United), mit dt. Infos
Natur ist Musik. Wo lässt sich das eindrucksvoller beobachten und hören als im Gesang der Vögel? Und die kulturellen Musikstile spiegeln diese Natürlichkeit zwangsläufig oft wieder. Deswegen ist dieses Album auch für Menschen, die nicht wie der Autor am Wattenmeer aufgewachsen sind, ein wahres Erlebnis. Mehr als zehn Millionen Zugvögel landen jedes Jahr in der Region des niedersächsischen UNESCO-Weltnaturerbes, um weiter in den Norden oder Süden zu ziehen. Diese Tatsache war im August 2017 Anlass für ein ungewöhnliches Konzert, auf dem nicht nur neun Zugvögel exemplarisch vorgestellt wurden, sondern auch namhafte Vertreter ihres Heimatlandes die Musik ihrer Kultur vortrugen. Auf dem vorliegenden Album sind deshalb nicht nur der Ruf der Schneeammer, des Sandregenpfeifers oder der Nonnengans zu hören. Die preisgekrönte Isländerin Ragga Gröndal bezaubert mit einem Wiegenlied. Die marokkanisch-algerische Formation La Caravane du Maghreb begeistert mit ihrem heimischen Stil, dem Gnaoua. Oder das mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnete russische Ensemble Polýnushka demonstriert die hohe Kunst des A-cappella-Gesangs ihrer Region. Zudem erfährt der Hörer viel Wissenswertes über die einzelnen Vögel. Erik Prochnow
| THE OUTSIDE TRACK Rise Up (Eigenverlag), mit wenigen engl. Infos
Viele Bands haben eine Vorzeigefrau im Line-up. The Outside Track drehen den Spieß netterweise um. Die vier Ladies erlauben einen Vorzeigemann in ihrer Mitte, den Gitarristen Michael Ferrie. Das Konzept der Außenbahn-Gruppe ist einfach. Es geht um die Gemeinsamkeiten der schottischen, irischen und der Musik aus Cape Breton. Das dokumentiert sich im Personal. Neben Ferrie kommen Ailie Robertson (Harfe) und Fiona Black (Akkordeon) aus Schottland, Teresa Horn (Flute, Gesang) aus Irland, und Mairi Rankin (Fiddle) stammt aus einer Musikerdynastie auf Cape Breton. Daher ist das Repertoire entsprechend zusammengestellt, fünf Songs und sechs Tunes, meist schön abwechselnd. The Outside Track sind keine Neulinge, Rise Up ist ihr fünftes Studioalbum seit dem Debüt 2007, von dem lediglich Robertson und Black übrig geblieben sind. Die fünf wissen sehr genau, wie man Lieder und Instrumentals arrangiert und dafür sorgt, dass die Spannung erhalten und möglichst ein wenig gesteigert werden kann. Zudem ist Horn eine höchst kompetente Sängerin, die es versteht, den Liedern ihren Stempel aufzudrücken. Und all das nicht nur im Studio, auch auf der Bühne, wie das deutsche Publikum erneut im März und April 2019 überprüfen kann. Mike Kamp
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SCHMIDBAUER POLLINA KÄLBERER Süden II (Jazzhaus Records)
Erinnern wir uns: 2012 das Album Süden I; 2013 das Grande Finale in der mit 10.000 Menschen voll besetzten Arena von Verona. Was machte den riesigen Erfolg der drei Musiker aus Palermo, München und Ulm aus? War es diese Mischung aus Italianità, ehrlicher bayrischer Liedermacherkunst und dem soliden musikalischen Handwerk Martin Kälberers, deren Ingredienzien mühelos ineinanderflossen? Oder waren es die oft nachdenklichen Texte, die für mehr Toleranz plädierten? Das „Ding“ ging jedenfalls gemäß Promotext „durch die Decke“. Hört man sich Folge zwei des Süden-Projekts an, müsste das neue Album durch zwei Decken gehen. Was hat sich geändert? Hinzugekommen sind teilweise wuchtige Arrangements mit Streichern, die Massenappeal haben dürften. Am schönsten sind die nachdenklichen, ruhigen Lieder, wie etwa „La Città Dei Bianchi“, in dem ein kleiner afrikanischer Junge seinen Vater über die Welt der Weißen fragt. Oder Schmidbauers „Stolz drauf“ mit Aussagen wie: „Stolz drauf auf des, was in meim Pass steht, des kummt ma reichlich albern vor.“ Das ist die Stärke der drei Männer. In ihren Ohrwürmern verpacken sie, fern des Agitprops, Texte mit einer Weltsicht, die mehr denn je einem Massenpublikum dargebracht werden muss. Martin Steiner
| HASSAN TAHA & ENSEMBLE BRUNNEN & BRÜCKEN Alrozana (Zytglogge)
Der Name des Titelstücks spiegelt die Schwierigkeiten kulturübergreifender Projekte wider. „La Rosanna“ hieß ein italienisches Schiff, das während einer Hungersnot zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts Nahrungsmittel nach Syrien gebracht hatte. Allerdings hatte der Dampfer nicht das geladen, was die Leute brauchten. „Al Rozana“ wird im Mittleren Osten aber auch ein kleines Fenster genannt, durch das sich Liebespaare unbemerkt Liebeserklärungen zuflüstern können. Der syrische Oudspieler Hassan Taha, die Sängerinnen Najat Suleiman, Barbara Berger und das Schweizer Ensemble unter der Leitung von Hans Martin Stähli nehmen sich „Alrozana“ und anderer Volkslieder der beiden Länder an. Das ganze Album strömt eine tiefe, einnehmende Melancholie aus. Die Lieder beider Kulturen erzählen vornehmlich von unerfüllter Liebe. Musikalisch gelang die Annäherung. Vor allem bei Schweizer Liedern wie „Lueget vo Bärge und Tal“ spürt man aber Musikwelten, die die beiden Länder trennen. Da hätte ein weniger akademischer Ansatz möglicherweise zu etwas Überraschenderem geführt. Trotzdem ein hörenswertes Album. Martin Steiner
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FATSO One By One (Jazzhaus Records), mit engl. u. span. Texten u. Infos
Die Band aus Bogotá, die 2015 bei der Bremer Messe Jazzahead international Fahrt aufnahm, gehört im Grunde schon eher in dieses Ressort. Und doch gehen die jazzrockigen Songs der jungen Kolumbianer weit darüber hinaus, gen Blues, Soul oder Waits’sches Rockchanson und durchaus auch hin zu den reichhaltigen eigenen Traditionen. Fett ist der durch Bläser sowie die auch in der Musik Kolumbiens prominente Klarinette angereicherte Sound. Doch die werden im Konzert mittlerweile leider nur noch minimal eingesetzt – ob nun aus musikalischen oder reiselogistischen Gründen. Daniel Restrepo, der singende Bassist und Kopf dieser – wie er sagt – „Rockband im Jazzformat“ wuchs in beiden Amerikas auf und verfügt über eine imposant abgehangene, eher nach einem doppelt so alten Mann klingende Reibeisenstimme. Mit der intoniert der charismatische Frontmann seine mehrheitlich auf Englisch geschriebenen Songs. Auf dem zweiten Album gibt es unter den neun schwergewichtigen, sympathisch verschleppt daherkommenden Songs immerhin zwei spanischsprachige. Eins davon, „La Tormenta“, ist dem auf dubiose Weise verschwundenen Vater gewidmet. Schwerer Tobak wie etliche der anderen, nicht selten sozialkritischen Liedtexte. Katrin Wilke
| KAIA KATER Grenades (Smithsonian Folkways Recordings), mit engl. Texten u. Infos
Kennt jemand Grenada? Dieser kleine Inselstaat in der Karibik wurde 1983 von den USA unter Ronald Reagan besetzt, obwohl Grenada zum britischen Hoheitsgebiet gehört. Hintergrund war der vorherige Sturz einer sozialistischen Regierung und die Sicherung der Macht der Putschisten. Vielleicht braucht es solche Alben, um auf vergessene Ereignisse und Länder aufmerksam zu machen. Kaia Kater stammt aus Grenada und flüchtete mit ihrem Vater während dieser Invasion nach Kanada. Auf Grenades arbeitet sie ihre Erinnerungen an die Heimat, die Flucht des Vaters, aber auch das schwere Arbeitsleben ihrer Verwandten auf. Die Musik dazu ist sehr dezent, so als solle nichts von ihren Texten ablenken. Interessanterweise benutzt sie ein amerikanisches Instrumentarium dazu – Banjo und Lap-Steel-Gitarre –, vermischt mit dokumentarischen Berichten. Fast nebenbei gelingt ihr damit eine neue, sehr sphärische und konzeptionell interessante Folklore. Hans-Jürgen Lenhart
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