Rezensionen der Ausgabe 1/2019
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17 HIPPIES Kirschenzeit (Hipster Records), mit dt. u. franz. Texten u. Infos
Musikalisch sind sie eine Bank. Auch auf ihrem 23. Album trägt das über zwanzigjährige Zusammenspiel in fast immer gleicher Besetzung wortwörtlich Früchte. Die Arrangements, ihre tiefsinnigen Texte und vor allem ihr exzellentes musikalisches Spiel sind erneut ein Hörgenuss. Doch das Gefühl von Aufbruch will sich nicht einstellen. Genau das wollen die 17 Hippies aber mit ihrem Titel Kirschenzeit vermitteln. Der Begriff entstand in Frankreich in den Revolutionstagen von 1871 und verkörpert in unserem Nachbarland bis heute den Neuanfang in schwierigen Zeiten. Das Album der 17 Hippies ist jedoch ein sehr nachdenkliches geworden. Es verbreitet vielmehr Melancholie, mitunter sogar Resignation über die Veränderungen in der Welt. Vielleicht ist es auch nur die Müdigkeit, die sich nach all den Jahren im harten Musikbusiness ausdrückt. Allein in dem groovigen Lied „Gold“ ist so etwas wie Aufbruch zu spüren. Aber das Besinnen auf das, was man gut kann, und die Flucht in die Zweisamkeit sind keine ausreichende Antwort – geschweige denn ein Aufbruch – in einer Welt, in der zunehmend jeder macht, was er oder sie will. Erik Prochnow
| FRED APE Es gibt immer eine richtige Seite (Ruhrfolk)
Nach vierzig Jahren auf der Bühne mit an die dreitausend Konzerten und achtzehn Alben darf man den Dortmunder mit Fug und Recht als „Liedermacher alter Schule“ bezeichnen, ohne dieses Prädikat negativ auszulegen. Sein letztes Soloalbum Flaschenpost erschien erst 2017, da legt er nun schon nach, mit Songs, die gut auf die vorige CD gepasst hätten. Lieder, die sich quasi von selbst schrieben, inspiriert von nicht abreißenden „Bildern von in Syrien ermordeten oder im Mittelmeer ertrunkenen Kindern, Überbevölkerung und Hungerkatastrophen aufgrund nie geglaubter Klimaszenarien“ (Booklet). Apes Lieder möchten dem Gefühl, nicht hinschauen zu wollen, etwas Positives entgegensetzen. Die elf Songs des neuen Werks zeigen auf: „Es gibt immer eine richtige Seite“, die es zu betrachten lohnt. Musikalisch zwischen Folk, Rock und Country angesiedelt, ließ Ape sein kompetentes Gitarrenspiel und den Gesang von dem alten Weggefährten Guntmar Feuerstein an Klavier, Synthesizer, Gitarre, Bass, Percussion, Mandoline, Banjo und Glockenspiel begleiten. Die Lieder sind immer songdienlich arrangiert. So entfalten die satirischen Texte – wie in „Hier kommt Trump“ (im Original Johnny Cashs „Walk The Line“) – musikalisch abwechslungsreich ihre Wirkung. Ulrich Joosten
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DIETER HUTHMACHER Vogelmund (Doppelfant), mit Texten
Der Pforzheimer Bildkünstler, Liedermacher und Kabarettist Dieter Huthmacher ist seit bald fünfzig Jahren mit Liedern unterwegs, einst mit seiner Frau, heute auf Solopfaden. Die Zeit hat ihn grau gemacht, seine Lieder sind heute ruhiger, nachdenklicher und melancholischer geworden. Sie haben etwas Zartes, Poetisches, und sein zurückhaltender Gesang zur Gitarre unterstreicht diese Atmosphäre. Er besingt Freundschaften, die Freude an Kindern, alte und neue Lieben, und zum guten Schluss gibt es noch eine Hommage an seinen toten Vater. Die „Sachliche Romanze“ von Kästner dient ihm als Vorlage für einen eigenen Text über die Flüchtigkeit der Liebe, in anderen Liedern kann man Bezüge zu Kollegen erahnen. Was ist ein richtiges Leben, wie sieht man andere Menschen? Er bekennt sich zur Verantwortung dafür, dass die Fremdenfeindlichkeit bekämpft wird, beklagt aber auch die Hilflosigkeit angesichts des anschwellenden Rechtstrends. Sein Lied über die Heimat ist allerdings sehr romantisch gefärbt. Huthmacher, der auch mit Mundartkabarett auftritt, zeichnet hier eine Idylle, die wohl selbst in der Pforte zum Schwarzwald nicht existiert. Ein schönes Album voller Altersmilde und -weisheit. Rainer Katlewski
| SEBASTIAN KRÄMER UND DAS METROPOLIS ORCHESTER BERLIN Vergnügte Elegien (Reptiphon), mit Texten
Einen wunderbaren, charmanten Tief- und Unsinn liefert mal wieder am Klavier der ausgezeichnete Sebastian Krämer ab, der schon seit vielen Jahren seine ganz eigene Spur durch die Liedermacherlandschaft zieht. Vom Metropolis Orchester Berlin unterstützt, schmeichelt er sich uns mit süßen, süffigen Melodien ins Ohr, um uns mit seinen Texten Unerhörtes, Abstruses, Sonderbares und Gruseliges unterzujubeln, Texte und Inhalte, die normalerweise nicht liedfähig sind. Als da wären: der schwere Alltag eines Drachentöters, das spießige Leben der einstmals wilden Dolo, das unberührte Zimmer vom toten Patrick, der Tod eines Zuschauers namens Max oder wie die vergessene Sprechpuppe über Nacht das Lachen verlernte. Seine Berliner Wahlheimat karikiert er mit der „Knorrpromenade 9“ und der Beschwerde, dass im Wackelpudding noch das Kokain bzw. Nitroglyzerin fehle. Kannibalen-Kochrezepte, ein Schickiwiki-Eintrag und sein Deutschaufsatz über Max Brod und Kafka bilden den Höhepunkt des eigentlich Unsingbaren und Unliedbaren. Aber er kann es machen, perfekt in Text, Musik und Vortrag, und als Bonus gibt es noch fünf Walzer aus seiner Feder. Ein ganz klassischer Hörgenuss, geistvoll, anregend und originell. Rainer Katlewski
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NO SNAKES IN HEAVEN Blue Sky (Focus)
Wer erinnert sich noch an die frühen Neunziger, in denen das Label BSC-Music mit Independentperlen wie Sacco und Mancetti, Arts & Decay oder The Run frischen Schwung in die damals öde deutsche Poplandschaft brachte? Nun scheint die Qualität im Popsektor erneut bedroht, und so sattelt das Label erneut die Pferde, um die Musik zu retten. Der Ritter ist diesmal eine Ritterin in Gestalt von Ex-The-Run-Sängerin Micha Voigt, die unter dem Namen No Snakes in Heaven mittlerweile vier Alben, davon zwei in Bandbesetzung eingespielt hat. Das neue Album Blue Sky klingt so, wie ein reifer Wein schmecken muss. Jeder einzelne Schluck respektive Song wird zum Fest, das langsam genossen eine stärkere Kraft entwickelt als im schnellen Konsum. Micha Voigt ist eine gestandene Frau, die keinem hippen Trend mehr folgen muss. Sie weiß genau, wie sie ihre Ausnahmestimme einzusetzen hat, wie in den Textpassagen die Gefühle durchscheinen können und wie Gitarre und Cello auf den Punkt gebracht darüber entscheiden, ob ein Song so lala oder ein Meisterwerk wird. Gitarrist Matthias Haupt, seit fünfzehn Jahren bei der Band, steuert erstmals vier eigene Songs bei, die sich perfekt in das Album eingliedern. Chris Elstrodt
| SHORT TAILED SNAILS Kopfsalat (Eigenverlag), mit Fotos u. dt. Texten u. Infos
Trotz des englischen Bandnamens singt Frontsängerin Regina Schmidt hauptsächlich auf Deutsch, und zwar Lieder aus mehreren Jahrhunderten – acht laut Website. So manches Lied kennt man von Mittelaltermärkten und -festen, aber auch Volkslieder sind dabei. Mit von der Partie sind Bert Brückmann (Gitarre, Cister und Bass), Ines Hartig-Mantel (diverse Flöten, Drehleier, Percussion, Gesang) und Ismael Redríguez Bou (Percussion). Auch das eine oder andere Borduninstrumentalstück ist dabei, was man eventuell sogar als willkommene Erholungspause zwischen den von Schmidts hoher Stimme bestimmten Liedern wahrnehmen kann. Im Großen und Ganzen ist die Performance eher ruhig und gediegen, den Texten ist gut zu folgen und mitlesen kann man sie obendrein. Dann merkt man auch, dass sie oft ernsten Inhaltes sind. So wird der Tod von Rittern und Blumen besungen; Teufel, Spitzbübin und Schlangenköchin reichen sich die Hand. Leider spiegeln sich diese dunklen Texte nicht in musikalischer Dramatik wieder, wie man sie von Doppelbock, Garmarna oder Karin Rabhansel kennt. Wie die Heidelberger Band auf ihren Namen und den des Albums kam, wird nicht verraten. Vielleicht muss man ein Konzert besuchen, um das zu erfahren. Michael A. Schmiedel
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HANS SÖLLNER Genug (Trikont)
Als Hans Söllners erste LP veröffentlicht wurde, war er 26 Jahre alt. Wer bei Genug allerdings immer noch den rotzfrechen Politiker beleidigenden, Ganja lobpreisenden bajuwarischen Rasta sucht, ist hier definitiv auf der falschen Baustelle. Mit seinen 62 Jahren ist Söllner reflektiver geworden, nachdenklicher, ohne jedoch in präsidiale Altersmilde zu verfallen. In „Rassist“ kotzt er sich den ganzen Frust angesichts rechtsradikaler Dumpfbacken von der Seele, klagt in „Untersberg II“ die wachsende Naturzerstörung an, macht sich in „McMörfi“ über depperte Gesetzeshüter lustig und gibt in „Biff Baff“ dem aktuellen bayerischen Ministerpräsidenten noch eins mit. Demgegenüber stehen stille persönliche Lieder („Lotta“, „A kloans Herz“) und Lieder voller Empathie für die, die es in unser Land verschlagen hat („Flucht“, „Macht euch schön“). Söllners Lyrik ist immer noch voller Wut und Trauer über den Zustand von Staat und Planet. Dennoch deutete er kürzlich an, dass dies definitiv sein letztes Album gewesen sei. Die Gründe dafür lägen teils im musikalischen, teils im privaten Bereich. Doch vielleicht nimmt sich der Reichenhaller ja einen Song seines Kollegen Wecker als Motto für künftige Taten: „Genug ist nicht genug“. Denn auf einen wie Söllner können und wollen wir nicht verzichten! Walter Bast
| WENZEL Wo liegt das Ende dieser Welt (Matrosenblau), mit Texten
Es ist immer wieder erstaunlich, welch herausragendes Niveau Wenzels Lieder abseits des Mainstreams haben. Das neue Album pendelt gekonnt zwischen melancholischer Poesie, zartem Liebeslied, Abschiedsstimmung und bissigen politischen Themen. Da heißt es beispielsweise: „Warum hat der eine nichts zu essen, warum schmeißt der andre so viel fort?“ Oder: „Von oben sieht ein Überwachungssatellit, was wir so tun mit unsern Stunden.“ Eine grandiose Metapher auf unsere heutige Zeit der fehlenden Utopien, wie es weitergehen soll mit dieser Welt, stellt das Shanty „Kein Land in Sicht“ dar: „Selbst der Steuermann weiß nicht, wohin wir fahrn ... warum träumen wir nicht?“ Eine fröhliche maritime Untergangsstimmung mit Schifferklavier und Ohrwurmpotential. Wenzels Band wird unterstützt von Trompete, Posaune, Fagott und Tuba, die Musik ist leicht und locker mit liedhaftem Rock und Klängen zwischen Folk und Jazz. Beliebt sind bei Wenzel vor allem diejenigen Lieder, die Sentimentalität mit Lebensfreude verbinden: „Der Wein trieb die Welt an, sich schneller zu drehn.“ Dieses Album genießt man am besten wie einen guten Wein. Es lohnt sich. Reinhard „Pfeffi“ Ständer
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