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Ausgabe 1/2019


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Mariachi – weiblich und perfekt

MARIACHI REYNA DE LOS ANGELES
Mariachi Reyna De Los Angeles
(Smithsonian Folkways Recordings)


In der Mariachi-Musik gerade dieses weiblichen Ensembles wird gejauchzt und gelacht, dass es eine pure Freude ist. Dabei hatten Frauen es in diesem Genre immer schwer, sich durchzusetzen. Erst ab den Siebzigerjahren zogen sie in die oberste Reihe des Mariachi-Musizierens ein. Wenn Frauen in Ensembles mitspielten, wurde ihnen nicht der entsprechende Respekt entgegengebracht. Kein Wunder, dass sie sich daher selbst zusammenschlossen. Vor allem in den USA gibt es inzwischen mehr Frauengruppen als in Mexiko. Daher ist das Grammy-nominierte Ensemble Mariachi Reyna de Los Angeles im Bereich der traditionellen lateinamerikanischen Musik ein echtes Kleinod. Die Truppe wurde 1994  MARIACHI REYNA DE LOS ANGELES: Mariachi Reyna De Los Angeles gegründet und zeigt auch die bei uns wenig bekannte Verbreitung der Mariachi-Musik in den USA. Sie hatte nicht nur einen enormen Einfluss als Wegbereiter und Vorbild für Frauen in dem von Männern dominierten Genre, die Gruppe vermittelt vor allem, wie kunstvoll dieser Stil überhaupt ist. Im Jahr 2011 hat die UNESCO den Mariachi entsprechend zu ihrer repräsentativen Liste der immateriellen Kultur der Menschheit hinzugefügt. Erst durch den Erfolg der Band entwickelte es sich zur Selbstverständlichkeit, dass Musikerinnen im Mariachi auch Trompete oder Bass spielten. Die vielen Trompetenspielerinnen und Geigerinnen musizieren hier perfekt synchron und schaffen die kompliziertesten Läufe. Die verwendeten Harmonien sind auf die weibliche Stimmlage ausgerichtet. Die Arrangements sind abwechslungsreich, manchmal wird man kurz leise, dann schnell wieder laut. Einige Stücke wirken fast wie ein Medley, so unterschiedlich sind ihre Teile und Tempi. Mariachi ist stark emotional und eine hohe Sangeskunst mit lang gehaltenen Tönen, glucksenden Überschlägen und perfektem Satzgesang. Selbst schuld, wer bei dieser Musik nicht in höchste Verzückung gerät. Dem Album liegt ein informatives 44-seitiges Booklet in Englisch und Spanisch bei.
Hans-Jürgen Lenhart

Legenden vom Fischotter

VLADIMIR MARTYNOV, HUUN HUUR TU
Children Of The Otter
(Jaro)


Für gewöhnlich werden die Kernthemen unseres Magazins unter U-Musik subsummiert. Von Zeit zu Zeit kommt es aber auch immer einmal zu Begegnungen mit dem E-Bereich. Stellvertretend hierfür genannt seien Shaun Daveys Suite für Uillean Pipes und Orchester (The Brendan Voyage), Ravi Shankars Konzerte für Sitar und Orchester (unter André Previn und Zubin Mehta), verschiedene Kompositionen von Goran Bregovic (u. a. Balkanica) oder einige Werke zeitgenössischer chinesischer Komponisten, bei denen der Part der Violinen von den zweisaitigen Er’hu-Geigen übernommen wurden. Der russische Komponist Vladimir Martynov (*1946), der im Westen u. a. mit seinen Kompositionen für das Kronos Quartet (The  VLADIMIR MARTYNOV, HUUN HUUR TU: Children Of The Otter Beatitudes) bekannt wurde, hat auf der Basis eines Gedichts seines Landsmanns Velimir Chlebnikov (1885-1922) das Stück „Children Of The Otter“ geschrieben, eine Suite für tuwinisches Vokal- und Instrumentalensemble, Kammerorchester, gemischten Chor und Klavier. Die Uraufführung fand 2009 im russischen Perm statt. Die Teilnehmer: Huun Huur Tu, das Kammerorchester Opus Posth unter Leitung der Geigerin Tatjana Gridenko, der Permer Chor Mlada unter Leitung von Olga Vyguzova sowie der Pianist Michail Stepanitch. Der etwas skurril anmutende Titel beruht auf dem Chlebnikov-Gedicht „Die Kinder des Fischotters“, das wiederum seinen Ursprung in einigen sibirischen Legenden hat, in denen der – vermutlich weibliche – Fischotter als die „Mutter aller Menschen“ verehrt wird. Martynov mischt in seinem Werk die „Traditionals“ mit durchweg minimalistischem Material und sorgt damit für einen hypnotischen Beat, der Ohrenzeugen der Uraufführung nicht zu Unrecht an Steve Reich oder Philip Glass denken ließ. Und doch ist Children Of The Otter keine schwere Kost. Jedenfalls nicht schwerer als – sagen wir – Atom Heart Mother von Pink Floyd. Wer sich also neugierig und unvoreingenommen auf das Werk einlässt, wird mit fast achtzig Minuten wundersamer Klangkaskaden und rasanter Stimmakrobatik belohnt.
Walter Bast

Zorn und Zärtlichkeit

KONSTANTIN WECKER
Sage Nein! – Antifaschistische Lieder 1978 bis heute
(Sturm & Klang)


Als sei die Schrift an eine Häuserwand gesprüht, jeder Vorübereilende soll hinschauen, die rot-schwarze Farbgebung verstärkt die Eindringlichkeit: „Sage Nein!“ Das aktuelle Album von Konstantin Wecker – Poet und Pianist, Liedermacher und Lebemann, Kämpfer und Künstler – gleicht einem Aufschrei gegen den wieder grassierenden Nazi-Irrsinn und gegen damit verbundene Angst und Ratlosigkeit. Wecker will ermutigen, sich einzumischen, sich eben nicht ins Bockshorn jagen zu lassen, stattdessen den Mund aufzumachen gegen rechte Gewalt, Fremdenhass und Hetze. Dabei ist Wecker bekanntermaßen alles andere als ein platter Agitator, er ist und bleibt ganz offensichtlich ein wacher Mensch voller Lebenslust und  KONSTANTIN WECKER: Sage Nein! – Antifaschistische Lieder 1978 bis heute nie versiegender Freude an der Musik. Seine Texte vermitteln auf sehr direkte, kompromisslose Weise Beobachtungen, Erlebnisse, Schlussfolgerungen. Seine Kompositionen kommen voller Zorn und Zärtlichkeit, Wut und Zuwendung daher. Sage Nein! präsentiert natürlich wieder eine aktualisierte Fassung von Weckers Kultlied „Willy“, daneben ist aber auch – quasi zum Vergleich – die ursprüngliche Version zu hören. Anrührend, die Zwiesprache zwischen Vater und Sohn, darüber, was der richtige Weg sei („Vaterland“); erschreckend, wenn die Ewiggestrigen schon wieder meinen, die Oberhand gewinnen zu können („Sturmbannführer Meier“); erhellend die Satire zum Thema Spießbürger, Kleingeister, Bigotterie („Stilles Glück“). Einige der bereits zuvor veröffentlichten Lieder zum Thema Antifaschismus wurden neu eingespielt („Empört euch“, „Ich habe Angst“ u. a.). Wecker lässt es zwischendurch auch gern mal richtig rockig krachen („Anna R. Chie“ oder die Liveversion von „Das macht mir Mut“). Herrlich die von Jo Barnikel arrangierte Version von „Bella Ciao“. „Das Leben will lebendig sein“ ist ein bisher unveröffentlichtes Lied auf dem Album; darin findet sich der Satz: „Wer mit dem Leben tanzen will, muss ungehorsam sein!“ So ist es wohl.
Kai Engelke

Seelenverwandte Spielgefährten

OMAR SOSA & YILIAN CAÑIZARES
Aguas
(MDC)


Der seit Langem außerhalb seiner Heimat Kuba, aktuell in Barcelona lebende renommierte Worldjazz-Pianist Omar Sosa ist ein sehr agiler, neugieriger Künstler mit vollem Tourplan und extrem hohem kreativem Output. Zumeist veröffentlicht er mehrere Alben jährlich, mit teils immer neuen seelenverwandten Spielgefährten wie nun der aus Havanna stammenden, seit Längerem von Lausanne aus agierenden Geigerin und Sängerin Yilian Cañizares. Für sie ist ihr achtzehn Jahre älterer Landsmann Vorbild und musikalische Orientierungshilfe. Als sie im Vorprogramm eines seiner Konzerte auftrat, war dieser umgekehrt fasziniert von ihrer besonderen Bühnenpräsenz und vor allem von der geglückten ausdrucksstarken Allianz zwischen Gesang  OMAR SOSA & YILIAN CAÑIZARES: Aguas und Spiel seiner klassisch ausgebildeten Kollegin. Es gäbe aus seiner Sicht nicht viele singende kubanische Geigerinnen. Das titelgebende, lebensessenzielle Wasser – schon zuvor Thema in beider Arbeiten – verbindet die zwei Diaspora-Kubaner u. a. auch durch ihre Nähe zur afrokubanischen Santería, ihrer starken Spiritualität überhaupt. Die manifestiert sich in dieser Aufnahme vielfach und hält die Begegnung dieser charismatischen Künstler und Menschen zusammen. Elf überwiegend kontemplative, im Duo komponierte Stücke kamen dabei heraus, eingespielt mit dem in Paris lebenden, mit viel Geschick und Behutsamkeit musizierenden kubanischen Percussionisten Inor Sotolongo. Bezüge zu den diversen ihnen nahen Orishas aus der Yoruba-Tradition werden direkt oder mittelbar hergestellt, die diversen Backgrounds und Interessen von Sosa und Cañizares klingen durch: Jazz, auch mal Echos von Tango-Melancholie. Dazwischen Stimmensamples wie die von Neruda gesprochenen Verse; die Großmutter der Geigerin, Martí rezitierend; Yoruba-Gebete des Sängers Lázaro Ros, des Übervaters der afrokubanischen Tradition. Aguas zeigt auch, dass nicht nur das Piano eine wichtige Rolle in der kubanischen (Populär-)Musik spielt, sondern z. B. auch die Geige, ohne die weltbekannte Genres wie der Cha-Cha-Cha nicht auskämen.
Katrin Wilke

Neue Shantys vom Kap der Guten Laune

DER ODENWÄLDER SHANTYCHOR
Dorscht
(Wolkenstein)


Neue Shantys vom Kap der Guten Laune

DIE BLOWBOYS
Die Blowboys
(Puls Audio)


Kaum zu glauben, dass der Odenwälder Shantychor nun schon seit gut dreißig Jahren mit dem „Ourewellerschen“ Nationalhelden Schann Scheid von Fränkisch-Crumbach aus über die sieben Weltmeere segelt. Nachdem die Sänger und Sängerinnen (jawohl, bei den Odenwäldern sind Frauen in der ansonsten Männern vorbehaltenen Domäne eines Shantychores erlaubt!) in ihrem vorigen Programm dem „Geist, der aus der Kelter kam“ nachspürten, widmen sie sich nun dem Durst. In ihrem zehnten Programm spüren sie der etymologischen Übereinstimmung der Begriffe „Dorsch“ und „Dorscht“ nach und gehen den Höhepunkten maritimer Kneipenkultur in erstaunlich spekulativer Spelunkenkunde auf den Grund. Die musikalische Auswahl ist  DER ODENWÄLDER SHANTYCHOR: Dorscht  DIE BLOWBOYS: Die Blowboys gewohnt exquisit. Es findet sich mit dem schmissigen „Lettre À Durham“ zum Beispiel ein Song der kanadischen Band Le Vent du Nord im Programm und fügt sich wie die weiteren Lieder dank der intelligent-humorvollen Moderation nahtlos in die Setliste ein. Neben dem „Alabama Song“ von Brecht und Weill etwa, dem irischen Traditional „Sally Brown“ bis hin zu einem Lennon/McCartney-Hit, der auf ourewellerisch „Wonn’d wu hi wid, laaf“ heißt. Shantys sind das nicht, aber wie immer kompetent für ein Folkensemble arrangierte und für gemischten Chor gesetzte Songs. Ein Hochgenuss, der zum dreißigjährigen Jubiläum der Band endlich mal auf einer DVD festgehalten werden sollte.
Einen Weg wie der OSC hat der junge Shantychor Die Blowboys (der sich natürlich nach dem Refrain aus dem „Hamborger Veermaster“ benennt) von der deutschen Ostseeküste erst noch vor sich. Die vierzehn Sänger und Instrumentalisten und ihre Gastmusiker glänzen in hörenswerten, unkonventionellen und mit wunderbaren Stimmen gesungenen Chorsätzen. Sie bieten eine geschickt zusammengestellte, touristenkompatible Mischung aus traditionellen Shantys („Randy Dandy O“, „Haul Away, Joe“) und publikumswirksamen Liedern à la „La Paloma“, „Dat du min Leevsten büst“ oder „Över de stillen Straten“.
Ulrich Joosten