Rezensionen der Ausgabe 5/2018
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AUGUSTIN Colors (Motor)
Manchmal kann man sein Glück kaum fassen. Zum Beispiel, wenn man seine neue Lieblings-Indiefolk-Band entdeckt und merkt, dass sie nicht aus Austin oder Sydney stammt, sondern aus dem Chiemgau. Wunderschöne Songs, mal gesungen von Gastsängerin Jana Iris, mal von Frontmann und Komponist Michael Regner, berühren direkt das Herz des Hörers. Da spielen Augustin mit Leichtigkeit Musiker wie Frank Turner oder Of Monsters and Men an die Wand, produzieren Soundtracks zu deutschen Kunstfilmen (303), leihen sich Songideen von McCartney und reformieren nebenbei noch die Irish-Folk-Szene. Die Songs sind luftig leicht, die Kompositionen intelligent und fordern gleichzeitig zum Mitsingen auf. Colors, das dritte Album der Band, enthält zwölf grundverschiedene Songs, und jeder einzelne ist dazu geeignet, persönlicher Favorit zu werden. Augustin wären Stars, kämen sie aus England oder Island. Dank Majorlabel klappt es vielleicht auch mit bayerischem Hintergrund. Kommerziell bedienen Augustin jedenfalls eine hochinteressante Klientel, zum Beispiel Besucher von Veranstaltungen wie Haldern Pop oder Reeperbahn-Festival. Drücken wir den Chiemgauern die Daumen. Chris Elstrodt
| BOBO + HERZFELD Blick in den Strom (Traumton Records), mit Texten
„Hoch auf dem gelben Wagen“. Jüngere werden das Lied oft nicht mehr kennen (und verstehen), Ältere schmettern es im Geiste vielleicht noch mit Walter Scheel mit. Als der das Lied im Westen populär machte, waren die Sängerin Christiane „Bobolina“ Hebold alias Bobo und der Musiker und Komponist Sebastian Herzfeld aus Halle/Saale noch sehr jung und weit weg. Sie präsentieren mit dem Akkordeonisten Yegor Zabélov aus Belarus heute eine ganz andere, moderne Version dieses „Volksliedes“ und mehrerer romantischer Gedichte. Es ist die dritte Produktion dieser Art der beiden (Lieder von Liebe und Tod, 2008, Liederseelen, 2013) und sie besticht wieder durch ihren völlig eigenen Ton. Bobo singt mit ihrer glockenklaren Stimme, wispert geheimnisvoll oder summt und die Musik liefert Sphärenklänge dazu, auch rhythmische Passagen, drängt sich aber nie in den Vordergrund, sondern unterstützt die Sängerin. Trotzdem muss man sich in die Texte reinhören, ein ungewohnter Stil eben. Goethe, von Eichendorff, Nikolaus Lenau, Friedrich Halm, Rilke und auch Dichter, die heute nicht mehr Allgemeingut sind, werden so neu interpretiert und vielleicht einem jüngeren Publikum wieder nähergebracht. Rainer Katlewski
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EVA CROISSANT Einfach du Sein (Eigenverlag), mit dt. Texten und Infos
Eigentlich gehört dieses Album nicht in den Folker, denn Eva Croissant, manchen vielleicht noch aus The Voice of Germany bekannt, spielt lupenreinen Pop im Stil von Bands wie Silbermond. Und dennoch, wenn man Folker-relevanten Musikerinnen wie Dota oder Alin Coen lauscht, wäre dort das Label Pop nicht ebenfalls angebracht? Der Grat zwischen Folk, Singer/Songwriter und Pop ist schmal geworden, erst recht, wenn Künstler ihre Eigenkompositionen mit akustischer Gitarre begleiten. Die Zeiten, in denen Liedermacher nur auf politischen Festivals, Straßenmusiker nur auf der Straße und Popstars in der Hitparade zu finden waren, sind vorbei. Und so sind Künstlerinnen wie Eva Croissant vielleicht Prototypen einer neuen Denkweise. Musikalisch ist es Popmusik, na und? Es sind Lieder, die von Herzen kommen, es ist genau die Art von Musik, für die die Künstlerin einsteht und die sie grundsympathisch alternativ angehaucht gestaltet. Sie präsentiert ihr Album im Baumhaus, gibt Konzerte in Wohnzimmern, unterstützt durch CD-Verkäufe ein Baumpflanzprojekt und finanziert ihre CD selbst. Das Label Folk ist durchlässig geworden und wir können Künstlern wie Eva Croissant nicht genug dafür danken. Eigentlich gehört gerade diese CD in den Folker. Chris Elstrodt
| JOYOSA Un Milagro (Eigenverlag), mit Texten u. dt. Infos
Seit 2015 gibt es Joyosa. Auf altspanisch heißt das „freudig“. Dirk Kilian, Silke Marquardt (Gesang, Percussion, Tanz) und der Percussionist Reza Samani erwecken un milagro („ein Wunder“) zum Leben. Es geht um die Musik des mittelalterlichen Al-Andalus, wo verschiedene Religionen über Jahrhunderte weitgehend friedlich zusammenlebten. Der Kultur- und Wissenschaftsaustausch funktionierte zwischen Christen, Mauren und Juden. Zu hören ist christliche Musik aus den Cantigas de Santa Maria (13. Jh.) und dem Libre Vermell de Montserrat (14. Jh.), sephardische Romanzen und Eigenkompositionen im arabisch-andalusischen Stil. Der Multiinstrumentalist Dirk Kilian spielt die Melodien und Rhythmen auf Nyckelharpa, Gaita, Schäferpfeife, Oud, Ney, Duduk, griechischer Laute und Citole. Aufgrund der dürftigen Quellenlage (Texte und nur teilweise Noten aus dem 8. bis 15. Jh.; christliche Stücke in Mensuralnotation; zum Teil nur mündliche Überlieferung) ist das Album eine gelungene Mischung aus Rekonstruktion und Interpretation. Piet Pollack
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DIRK MAASSEN Avalanche (Maassen Music)
Der preisgekrönte und im Internet millionenfach gestreamte deutsche Pianist geht neue Wege. Bislang bekannt durch seine einfühlsamen melodischen Solo-Piano-Kompositionen, wird der 48-jährige Musiker nun sinfonischer. Gemeinsam mit dem Komponisten und dem Deutschen Filmorchester Babelsberg hat er ein wunderschönes Album eingespielt. Die zehn abwechslungsreichen Stücke präsentieren nicht nur Maassens typische Art des Klavierspiels. Sie wechseln zwischen meditativen, besinnlichen Klängen, schnellen Rhythmen und Jazzelementen bis hin zu fadoartigen Sequenzen. Dabei dominiert immer das Nachdenkliche. Maassen erzählt Geschichten, die jeden betreffen und sich nicht in Worte kleiden lassen. Von seinem auf Improvisationen basierenden Spiel geht eine Sehnsucht nach tiefergehenden Antworten aus, ein Wunsch nach einer umfassenden, magischen Erfahrung. Mit seiner aktuellen Kombination aus Piano-Minimalismus und sinfonischer Orchestrierung berührt er vom ersten Ton an. Maassens Musik ist wie ein sanfter Klangregen, in dem es wie im Leben mit jedem neuen Hören etwas Neues zu entdecken gibt. Erik Prochnow
| ALEXANDER SCHEER UND BAND Gundermann – Die Musik zum Film (Buschfunk)
Regisseur Andreas Dresen ließ die Songs für seinen Spielfilm von einer Band, die lange Jahre mit Gisbert zu Knyphausen zusammenarbeitete, neu einspielen. Mit Alexander Scheer, dem Gundermann-Darsteller, am Mikrofon, unterstützt von Anna Unterberger, die im Film Gundis Frau spielt. Die Lieder, mit angenehm rauchiger Stimme vorgetragen, klingen durch ihre modernen Arrangements sowohl vertraut als auch ungewohnt. Dabei dominieren Gitarren, besonders in den herausragenden Titeln „Brigitta“ und „Brunhilde“. Was einige Gundi-Fans sicher vermissen werden, ist das Folkloristische. Es gibt weder Dudelsack noch Tin Whistles. Das fällt besonders beim beliebten „Und musst du weinen“ auf, dem hier die urwüchsige Kraft fehlt. Immerhin ist, wenn auch in nur geringem Maße, Andy Wieczorek, der Saxofonist der Seilschaft beteiligt. An den Gitarren überzeugen Gunnar Ennen und Jens Fricke, am Bass Frenzy Suhr, dazu Sebastian Deufel an Schlagzeug und Flügel. Für Freunde von Gundermanns Musik stellt das Album eine sinnvolle Ergänzung ihrer Sammlung dar. Neulingen kann man die Originalalben empfehlen, die im gleichen Verlag erschienen sind. Zudem ist ein Gundermann-Hörbuch, ebenfalls mit Alexander Scheer, bei Buschfunk geplant. Der Folker wird es nach Erscheinen vorstellen. Reinhard „Pfeffi“ Ständer
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TRADTÖCHTER Liebeslieder im Rahmen der Möglichkeiten – Neue Geigenmusik (Eigenverlag), mit Fotos u. dt. Infos
Die TradTöchter – mit großem T mitten im Wort – sind Vivien Zeller (Geige, Gesang), auch bekannt von Bands wie Malbrook oder Kwart, Ruth-Preisträgerin 2005 und 2010, sowie Ursula Suchanek (Quinton, eine Kreuzung von Violine und Viola, und Gesang), Mitglied bei Drei Liter Brandwein, Two on a Park Bench und Slightly in Tune. Das Album ist eine etwa einstündige Mischung aus neun in deutscher und skandinavischer Tradition stehenden Instrumentals und drei deutschsprachigen Liedern. Eigene Kompositionen und Traditionals halten sich in etwa die Waage. Dabei strahlen sowohl Gesang als auch Geigenspiel eine Art trotzige Frechheit aus oder auch Stärke und gesundes Selbstbewusstsein. Sie schämen sich nicht ihrer Sehnsucht nach dem Geliebten, sind aber auch bereit, ihn vor die Tür zu setzen, wenn er untreu war. So umarmen sich moderner Feminismus und traditionelle Musikkultur. Das Geigenspiel ist eher hart und etwas kratzig, gewissermaßen rustikal, was einer Volksmusik nicht schlecht anmutet. Nein, es sind keine lieblich-femininen Feenwesen, die da musizieren, sondern Frauen, die wissen, wo der Hammer hängt. Michael A. Schmiedel
| Trio ELF & Marco Lobo The Brazilian Album (Yellowbird), mit engl. Infos
Das deutsche Jazztrio Elf hat sich schon länger mit dem brasilianischen Percussionisten Marco Lobo zusammengetan und davon profitieren beide Seiten, wie auch von den fünf brasilianischen Gastsängerinnen. Die Qualität des Albums lebt aber vor allem von der Kombination klarer, betörender Melodien mit sehr passenden Jazzimprovisationen abseits von Bossa-Nova-Klischees sowie einigen dezenten Electronica-Einflüssen. Das Trio gerät weder zu einer Begleitband der Sängerinnen noch verdrängt es diese mit seinen Improvisationen. Oft haben die Stücke einen besinnlichen Anfang, dann steigt die Sängerin ein und erst in der Mitte verstärkt sich der Jazzanteil, der allerdings immer dem Stück verhaftet bleibt und nie zur Virtuositätsschau wird. Am Ende vereinen sich dann die musikalischen Linien. Bei einigen Stücken entstehen Steigerungen mit funkigen Beats oder Dub-Effekten. Percussionist Lobo sorgt für eine subliminal wirkende Atmosphäre, die die Rhythmen und Klänge der spirituellen Musik Bahias einbaut. Neben Margareth Menezes sind auf dem Album noch Virginia Rodrigues, Maria Gadú, Marlene De Castro und Jussara Silveira zu hören. Hans-Jürgen Lenhart
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BURKHARD WEGENER Es ist ein Flüstern – Burkhard Wegener singt Theodor Storm (Eigenverlag), mit Texten
Sich eines norddeutschen Dichters zu erinnern, der vor gut zweihundert Jahren geboren wurde, als der letzte Romantiker gilt, gegen Preußen ebenso wie gegen Dänemark eintrat, schon für Blut und Boden herhalten musste und dessen pädophile Neigungen sich in seinen Werken niederschlugen – also, Gedichte von Theodor Storm zu vertonen, ist schon ungewöhnlich. Dass dies kein Husumer macht, sondern ein Liedermacher aus Essen, ist noch überraschender. Die Gedichte, die Wegener ausgewählt hat, sind stimmungsvoll und von einfacher Klarheit, versetzt mit poetischen Bildern und Codes, und Wegener „tauchte sie in Melodie“. Sie haben kein zu starres Reimschema oder Versmaß, sodass sie sich gut und natürlich zu schnörkelloser Gitarrenbegleitung singen lassen. Naturbilder, Landschaften und die melancholischen Stimmungen dienen als Beschreibung der menschlichen Lebensabschnitte. Diesen Lebenskreislauf vollzieht Wegener in den Liedern nach. Es beginnt in der Nacht mit einem nicht ganz eindeutigen Flüstern, „Morgens“ wird das (noch sehr) junge Mädchen besungen, es geht über den Sommer, den Herbst auf den „Beginn des Endes“ zu. Ein Album für den eher besinnlichen Herbstabend. Rainer Katlewski
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