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Ausgabe 5/2018


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Auf überirdischem Niveau

HAZELIUS HEDIN
Jorland
hazeliushedin.com
(Gammalthea), mit engl. Infos


Kurz nach seiner Januar-Tournee in Deutschland, bei der ein Konzert von Deutschlandfunk Kultur aufgezeichnet wurde, veröffentlichte das schwedische Duo im April sein drittes, sehr umfangreiches Album Jorland (Spieldauer: 65:20). Für ihr erstes Werk Om Du Ville Människa Heta von 2011 waren die beiden bei der Manifestgala 2012 als beste Folkgruppe des Jahres ausgezeichnet worden. Als Musiker oder Produzenten sind sie neben ihren eigenen Gruppen an unzähligen Projekten anderer Musiker beteiligt. Hedin gründete 1996 das innovative Trio Bazar Blå und das Folk-Barock-Ensemble Silfver. Hazelius spielte in der Band von Sofia Karlsson und ist Mitglied der schwedischen Irish-Folk-Bands Quilty  HAZELIUS HEDIN: Jorland  und Eitre. Das Zusammenspiel von Esbjörn Hazelius (Cittern, Fiddle, Gitarre, Flöte) und Johan Hedin (Nyckelharpa, Mandoline) ist eigentlich schon auf überirdischem Niveau, wie das schwedische Musikmagazin Lira schreibt, steigert sich aber dennoch von Jahr zu Jahr, vergleichbar mit kleinen Formationen in der klassischen Musik. Zusammen mit Hazeliusʼ warmer Baritonstimme nähern sie sich dem perfekten Klang, den große Musiker anstreben. Die Bedeutung des Texts scheint dabei nicht mehr so wichtig zu sein. Bei einigen Stücken ist aber das genaue Gegenteil der Fall, wie etwa bei „Emigrantens Farväl“ über die schwedischen Emigranten Mitte des 19. Jahrhunderts oder dem „Göingasaung“, einem von Christer Lundh vertonten Gedicht von Olle Bernhoff im Dialekt der Grenzregion zwischen Småland und Skåne von 1950, als man nach einem besseren Leben strebte, sowohl materiell als auch geistig. Oder auch „Sven-Erik Lundin“, das mit einem neuen Text zu Paul Bradys „Arthur McBride“ versehen ist und Hazeliusʼ Liebe zum irischen Folk offenbart. Die Auswahl der Stücke zeigt, wie sehr das Duo mit den Traditionen verbunden ist. Auch die eigenen Kompositionen verleugnen diese nicht, und so klingt das Album mit einer altmodischen Melodie, dem „Bärentanz“ aus.
Bernd Künzer

Eine charismatische Prinzessin

VICTORIA HANNA
Victoria Hanna
(Greedy for Best Music), mit hebr. u. engl. Texten


In Jerusalem in eine orthodox-chassidische Familie geboren, der Vater ein Rabbiner aus Ägypten, die Mutter aus Persien, musste Victoria Hanna, um ihre Familie zu schützen, den Namen wechseln und benannte sich der Einfachheit halber nach ihren beiden Großmüttern. Zum einen, um den unorthodoxen Weg eines Ausstiegs aus dem beengenden Familienerbe zu versuchen. Zum anderen jedoch auch, um ihrer in die Wiege gelegten Spiritualität treu zu bleiben, nämlich religiöse Gebete und Texte, selbstverständlich in hebräischer Sprache, als Basis ihrer recht unkonventionellen Lieder zu wählen. Während ihre eigenen Eltern aus religiösen Gründen noch niemals eines der Konzerte ihrer Tochter besucht hatten (da die Singstimme einer Frau auf Männer möglicherweise verführerisch wirkt, gilt sie als  VICTORIA HANNA: Victoria Hanna „unrein“), waren die Besucher des Rudolstädter Festivals 2008 gewissermaßen in einer privilegierteren Position. Gelten die das Album einleitenden „Hoshana Aleph Bet“ sowie „Esrim U-Shtaim Otiyoth“ bereits seit einigen Jahren gewissermaßen als Geheimtipp dieser charismatischen Sängerin, so mag der Titel „Shekhakhoreth“, das fünfte, in fünf Gespräche (dibbur) und Stimmen (kol) aufgeteilte Lied der CD, als Prototyp ihres Gesamtschaffens aufgefasst werden. „Mein Verlangen ist es, eine perfekte Prinzessin zu sein: Seht mich nicht an, denn ich bin geschwärzt, gebräunt hat mich die Sonne; schwarz bin ich, doch anmutig …“, ein Zitat aus dem Hohelied, Verse 5-6 – auch wenn hier zumindest für die zweite Hälfte des Liedes die Angabe des Komponisten, namentlich des in Warschau gebürtigen Emanuel Amiran-Pougatchov (1909-1993), übersehen wurde. Es mag bezeichnend sein, dass Victoria Hanna erst nach über fünfzehn Jahren öffentlicher Auftritte ihr erstes Album herausbringt, eine nachweisbare Dokumentation sollte bis dato einfach vermieden werden. Letztendlich aber erkämpfte sie sich ihren Zugang zur Welt außerhalb der Religion, obschon die jüdisch-orthodoxe Tradition nach wie vor die Basis der Inspiration zu ihrem Schaffen bildet. Dass ihre Stimme durchweg gegenwärtig blieb, nach wie vor eigentlich etwas Verbotenes, lässt für sie den Gedanken an eine Sünde bis heute mitspielen.
Matti Goldschmidt

Stimmen aus sowjetischer Vergangenheit

YIDDISH GLORY
The Lost Songs Of World War II
(Six Degrees Records), mit russ. u. engl. Texten u. Infos


Mitten in den Wirren des Zweiten Weltkrieges entdeckte eine Gruppe von Wissenschaftlern um den Ethnomusikologen Moisei Beregovsky (1892-1961) eine Sammlung von Liedern, verfasst von jüdischen Soldaten der Roten Armee, Flüchtlingen oder Überlebenden der von den Nazis eingerichteten jüdischen Gettos in der Ukraine. Im Zuge der von Stalin initiierten antijüdischen Säuberungsaktionen um 1950 wurden die Arbeiten allerdings konfisziert und unmarkiert in der Wernadskyj-Nationalbibliothek in Kiew hinterlegt, während die Wissenschaftler im Gulag „verschwanden“. Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der Neunziger wurden die Unterlagen wiederentdeckt und archiviert. Darauf stieß etwa eine Dekade später, eher zufällig, die in Toronto beheimatete Professorin für  YIDDISH GLORY: The Lost Songs Of World War II jiddische Sprache, Anna Shternshis, und führte sie einer wissenschaftlich Behandlung zu, indem sie die brüchig gewordenen, teils handschriftlichen, teils getippten Dokumente konservierte. Bei den Texten handelt es sich meist um Augenzeugenberichte aus erster Hand von Gewaltverbrechen der Deutschen an den Juden. Es geht um den Kampf gegen den Faschismus, und sie sprechen nicht nur von reiner Verzweiflung, sondern auch über Hoffnung, Widerstand oder Rache. Der Musiker Psoi Galaktionowitsch Korolenko analysierte schließlich die Texte, um zusammen mit dem Violinisten des Trios Loyko, Sergey Erdenko, die passenden Melodien zu finden. Mit einer Anzahl von weiteren klassisch ausgebildeten Musikern wie Artur Gorbenko (p, v), Mikhail Savichev (g), Alexander Sevastion (acc), Shalom Bard (cl) und David Buchbinder (tr) sowie den Sängerinnen Sophie Milman und Sasha Lurje konnte nach drei Jahren intensiver Arbeit das vorliegende Album veröffentlich werden. Wenn eine 28-jährige Schneiderin an ihren Ehemann an der Front schreibt: „Bring sie alle um, bis der Letzte tot ist. Nicht ein einziger Deutscher soll zurückkehren. Erst dann werden wir wieder frei leben können.“ – dann hört die Öffentlichkeit zum ersten Mal die Stimmen der sowjetischen Juden (parallel zu einem umfangreichen und vorbildlichen Beilageblatt), die letztlich auch durch die Schergen unter Hitler und Stalin nicht zum Schweigen gebracht werden konnten.
Matti Goldschmidt