Rezensionen der Ausgabe 4/2018
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FREDMAN Woikngsichta – Wolkengesichter Schriftkunst.de/fredman (Eigenverlag) 12 Tracks, 40:44 , mit dt. Infos
Der Tegernheimer Liedermacher und Sänger oder – wie er sich nennt – Klangpoet sowie Musikpädagoge Manfred Lill alias Fredmann bietet auch auf seine, vierten Album eine Mischung teils auf Oberpfälzisch, teils auf Standarddeutsch zur Gitarre und teils zum Akkordeon gesungener Lieder, denen die frankofonen Vorbilder deutlich anzuhören sind, auch wenn das „Vagantenlied“ melodisch an das irische „The Star Of The County Down“ erinnert. Dabei wird er von Maria Wild auf dem Krummhorn, bei einigen anderen Liedern auf dem Hackbrett oder mit Gesang begleitet. Er thematisiert das menschliche Leben in seiner Vielfalt und Buntheit, aber auch, was die Freude am Leben verdirbt, wie Angst, Neid und Ausländerfeindlichkeit. Dann doch lieber das Interesse aneinander, miteinander zu sein und die Vergänglichkeit des Daseins nicht alleine aushalten zu müssen. Es ist eine zärtliche Liebe zum Leben, die da durchscheint, und dabei keine Schönfärberei, sondern das Leid im Blick und aushaltend. Schön wäre ein Beiheft, um die Texte mitlesen zu können. Michael A. Schmiedel
| THE GREEN APPLE SEA Directions greenapplesea.bandcamp.com (K&F Records/ Broken Silence) 11 Tracks, 40:42 , mit engl. Texten
Viertes Album der Nürnberger Gruppe um den Songwriter Stefan Prange. Der Chef wollte eigentlich gar keine Musik mehr machen. Doch dann setzten sich seine guten Songideen doch über alle Widerstände hinweg und fruchteten auf einer alten Höfner-Gitarre und engagiertem Bandboden. So entstand nun, acht Jahre nach dem Debüt Northern Sky/Southern Sky ein rundum angenehm hörbares Album. Wüsste man es nicht besser, hielte man es für das Werk einer amerikanischen Retro-Indieband, die den Folk liebt. Dabei wirkt hier nichts anbiedernd oder abgeguckt. Elf ganz unterschiedliche Songs sind es, jeder für sich stimmig und intensiv, unterstützt durch eine Band, die teilweise aus Mitgliedern anderer toller deutscher Amerikana-Bands wie Missouri oder Smokestack Lightninʼ besteht, sowie durch den Gesang von Lena Dobler. Die englischen Texte sind einigermaßen ungewöhnliche und tiefsinnige Betrachtungen der Welt des talentierten Songwriters. Imke Staats
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DIE GRENZGÄNGER Die wilden Lieder des jungen Marx die-grenzgänger.de (Feinste Musikkonserven/Broken Silenc) 14 Tracks, 47:54, , mit Texten
Zweihundert Jahre alt wäre der Herr in diesem Jahr geworden, seine blauen Bände zieren noch manches Bücherregal, werden gelegentlich noch gelesen und diskutiert, doch die hohe Zeit seiner Popularität scheint vorbei zu sein. Aber als Popstar könnte es jetzt noch etwas werden, denn man kann was Neues vom alten Marx hören, nämlich Gedichte, die er als junger Mann geschrieben hat. Im Vormärz entstanden, spiegeln seine Texte schon etwas von den sich zuspitzenden Konflikten und seinem aufsässigen Geist. Für den heutigen Sprachgebrauch sind sie zwar etwas sperrig, aber die Grenzgänger haben sich dieser Jugendgedichte angenommen und sie höchst originell und sensibel auf moderne Weise in Lieder umgesetzt. Ein Liebeslied an seine Jenny von Westphalen eröffnet den Reigen, weiter geht es mit der Verspottung des deutschen Publikums im Biedermeier, der Musiker, der teuflisch spielt, wird besungen, die Zerrissenheit und die widersprüchlichen und aufbegehrenden jugendlichen Empfindungen werden beschrieben. Musikalisch haben Michael Zachcial und Felix Kroll das sehr breit und abwechslungsreich umgesetzt. Folk, Chanson und Rap, von Cello und Akkordeon unterstützt, und zum Abschluss gibt es noch ein proletarisch-musikalisches Medley als Geburtstagsständchen. Rainer Katlewski
| IGNAZ NETZER & WERNER ACKER Saitenzauber ignaznetzer.de werner-acker.de (Catmusic Production) 13 Tracks, 56:43 , mit dt. Infos
Der wunderbare Klang zweier Akustikgitarren und einer Stimme ist auf dem Livealbum des Bluesduos aus Schwaben zu hören. An einem unüblichen Ort, mitten in einem Möbelhaus, präsentieren Netzer und Acker dreizehn Titel von Blind Lemon Jefferson, Brownie McGhee, Fred McDowell und Lead Belly, aber auch traditionelles Liedgut und zwei Eigenkompositionen sind zu hören. Mit warmen jazzigen Klängen brilliert der ausgezeichnete Saitenspieler Werner Acker, rhythmisch und witzig geht es auf eine Bluesreise mit Ignaz Netzer, der mit rauchiger und tiefer Stimme den Ton angibt und mit der Mundharmonika für Abwechslung sorgt. Die beiden Vollblutmusiker bilden ein perfektes Team und können auch beim Klassiker „Summertime“ und bei Balladen wie „Send Me Someone To Love“ voll überzeugen. Für künftige Produktionen ist allerdings zu wünschen, dass das Design der Verpackung einem Grafiker anvertraut wird. Annie Sziegoleit
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JOBARTEH KUNDA Teriya jobarteh-kunda.de (Aimland Records ARJK 73912) 11 Tracks, 51:59 , mit engl. Infos
Puristen mögen Probleme damit haben, wenn deutsche Musiker wie der in München aufgewachsene „weiße Griot“ Tormenta Jobarteh in eine völlig andere Kultur eintauchen, sich über viele Jahre hin handwerkliche Fertigkeiten (u. a. das Erlernen der Kora) aneignen und sich auch mental auf „fremdartige“ Musiktraditionen einlassen. Mag die oft vielbeschworene „Authentizität“ fehlen, so ist es dem Bandleader sehr wohl gelungen, in rund zwanzig Jahren mit über tausend Konzerten und diversen Tonträgern im besten Sinne Weltmusik auf hohem Niveau zu produzieren, die auch international bestehen kann. Zum runden Bandjubiläum legen Jobarteh nebst Tochter Yasmina (voc, perc) und den langjährigen Mitstreitern Humphrey Cairo (dr, b), Felix Occhionero (g, b) und Gerhard Wagner (sax, fl) ein viertes Studioalbum vor, das abwechslungsreich instrumentiert und arrangiert ist, auf kongeniale Weise Musik der Mandinge, Afrobeat, Reggae, Calypso und Latin zusammenführt. Als Gäste wirken u. a. Roman Bunka (oud) und Sir Lancelot Scott (steel pan) mit, der für das Karibikflair sorgt. Die Songinhalte sind vielfältig, auch kritisch wie in „White Bubu“, eine Abrechnung mit dem gambischen Diktator Jammeh. Roland Schmitt
| ORANGE Zen Zero orangevibes.de (36 Music CD 36076/Broken Silence) 11 Tracks, 78:57
Zugegeben, ich weiß nicht, ob es in Ulan Bator Drei-Tage-Nonstop-Raves oder liebesparadenähnliche Umzüge gibt, aber wenn die fünf Musiker Tuwiner wären, dann wären sie dort Megastars! Definitiv. Doch auch hierzulande sind Rainer von Vielen (voc, electronics), Stefan Wöhrle (conga, perc, synth), Wolfgang Wahl (djembe, perc.fx), Marcus Wichmann (didgeridoo, perc.fx) und Jürgen Schlachter (dr, sounddesign) mit ihrem neuen Album auf klarem Kurs in Richtung Szenestars. Wie beim Blick auf die Instrumente zu erkennen, dominieren Schlagwerke und Elektronik, die eine perfekte Basis für von Vielens Khöömii-Gesang bilden, jenen aus kehligen Bordunen gebildeten Obertongesang, der so typisch für die Musik Tuwas ist. Die Polyrhythmik aus analogem Schlagwerk und elektronischen FX-Percussionspedalen, verbunden mit Didgeridoo und Gesang, erzeugen beim Hören eine mitreißende, fast hypnotische Grundstimmung. Lediglich bei „Nimm dich mit“ wird’s eine Spur besinnlicher. Fanta 4s And.Ypsilon ergänzt das Team, und von Vielens deutscher Khöömii-Textgesang klingt plötzlich wie ein verschnupfter Till Lindemann. Doch – kein Missverständnis, Orange machen alles richtig und Zen Zero ist ein grandioses Werk. Walter Bast
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RASGARASGA Hafen Fleur rasgarasga.de (Fuego 2824/Jaro & Zebralution) 12 Tracks, 47:24 , mit dt., engl., franz., span. Texten u. Infos
Man weiß gar nicht, wohin man zuerst hören soll. Das dritte Album von RasgaRasga aus Köln ist ein Feuerwerk musikalischer Einfälle. Angeführt von der ausdrucksstarken Stimme Franziska Schusters und einer immer wieder kraftvollen Brassbegleitung, eröffnet jedes der zwölf Lieder eine völlig neue Welt. Das unterstreichen nicht nur tiefsinnige Texte über die Herausforderungen des Lebens in Deutsch, Englisch, Französisch oder Spanisch. Auch die weiteren instrumentalen Arrangements mit Akkordeon, Violine, Trompete, Gitarre, Banjo sowie Schlagzeug demonstrieren eine Musik jenseits aller Grenzen. Der Neustart der sechs Musiker 2016 scheint eine Initialzündung gewesen zu sein. Denn obwohl sich alle bereits seit der Schulzeit kennen und seit 2007 als Band auftreten, entfalten sie auf Hafen Fleur ein großes Potenzial des Worldbeats voller Dynamik und Emotionen. Mit ihren anspruchsvollen Kompositionen verbreiten sie nicht nur eine ausgelassene Stimmung, sondern nehmen den Hörer mit auf eine Reise durch unterschiedlichste Klangkulturen, die die Fantasie beleben und durchaus hitverdächtig sind. Von RasgaRasga wird man bestimmt noch hören. Erik Prochnow
| SCHLAGSAITE Vom Mond schlagsaite.de (Bonn Boom Music BBM044) 13 Tracks, 43:23 , mit Texten
Die Könige der Straßenmusik legen mit Vom Mond ihr mittlerweile viertes Album vor. Die Zutaten sind die gleichen wie bei den Vorgängern, aber die Rezeptur wurde verfeinert. So klingt der Mix aus Gypsy Swing und Akustikfolk noch charmanter. Teils herrlich altmodisch in der Art der Siebzigerjahre-Liedermacher („Nur kurz vor die Tür“), teils in modernem Reggae-Groove („Schon morgen“) verbinden die großen Kleinkünstler mit spielerischer Leichtigkeit die verschiedensten Musikstile zu einem großen Ganzen. Mit „Ich war nicht dabei“ klingen Schlagsaite wie Element of Crime auf Speed, bei „Am Meer“ vermutet man einen unveröffentlichten Hannes-Wader-Song. Dass bei aller Varianz jedes Stück nach Schlagsaite klingt, unverwechselbar und stilsicher, macht das Genie der Band aus. Hört man Vom Mond, stellt man sich Schlagsaite beim Konzert in der Fußgängerzone vor, ein Vorbeigehen ist unmöglich, hypnotisiert bleibt man stehen oder, noch wahrscheinlicher, fängt an zu wippen und zu tanzen und alle dringenden Termine werden auf einmal weniger wichtig. Schlagsaite ist das Paradebeispiel einer Band, für die eine Zeitschrift wie der Folker einst gegründet wurde. Chris Elstrodt
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SHEEVÓN Thirtyfive Live sheevon.com (Errigal Records) 13 Tracks, 59:40 , mit dt. Infos
Wir rätselten in der Redaktion, ob Sheevón aus Duisburg wohl die älteste existierende deutsche Irish-Folk-Band sei, kamen aber zu keinem endgültigen Schluss. Viele sind es nicht, die diesen Job über 35 Jahre machen, durch die Aufs und Abs der Beliebtheit von Folk generell und Irish Folk im Besondern hindurch. Elf Tonträger sind es jetzt. Sie sind ihrem etwas rockigen, aber zugleich auch gediegenen Sound treu geblieben. Interessant klingt so etwas wie ein Xylofon in „Pastures Of Plenty“, das in der Besetzungsliste nicht erwähnt ist: Eva Silvia Fechner (lead voc), Conny Lesón (v), Eva Pauline Krause (fl, keys), Bernd Herrmann (b), Claud de Crau (lead voc, g), Harald Jüngst (bodhrán, cajon, handpan, keys) sowie als Gäste Hans-Gerd de Crau (p) und Dave Tchorz (sax). Auch die Trommeln in „Toss The Feathers“ werden nicht erwähnt. Die Jigs, Reels und dergleichen schnellen Stücke kommen recht zackig daher, während die ruhigeren und die Lieder sehr weit und sphärisch klingen, ähnlich mancher Filmmusik aus den Siebzigern, Achtzigern. Elf der Aufnahmen entstanden live beim Geburtstagskonzert am 6. April 2017 in der Klinikkultur in Duisburg-Buchholz, zwei im Studio. Michael A. Schmiedel
| MALTE VIEF & HEAVY CLASSIC ENSEMBLE Kammer heavyclassic.de (Eigenverlag, Housemaster Records) 14 Tracks, 39:59 , mit Infos
Wow, wer bzw. was ist das denn? Mit schönstem Ungestüm brettert einem da ein klassisch anmutendes Kammerensemble entgegen. Das, was so groß klingt, ist eigentlich ganz klein – Gitarre, Mandoline, Cello. Ein Trio, das in manchen Momenten wie ein ganzes Orchester klingt. Breitwandig cinemaskopisch, dann plötzlich fokussiert rockig. Dem zutiefst leidenschaftlichen emotionalen Gestus der Musik kann man sich einfach nicht entziehen. Das zweiteilige „Nocturne“, bestehend aus den Sätzen „Eis“ und „Trauer“, scheint nicht von dieser Welt, beginnend mit schlichten absteigenden Linien, die bisweilen an die introspektive Kunst eines Arvo Pärt erinnern. Bremen, Hamburg und Dresden sind die Stationen des studierten Gitarristen und Komponisten Malte Vief, der den Begriff „Heavy Classic“ für seine kraftvolle Melange aus Folklore und Klassik auf hohem Energielevel geprägt hat. Im Begleittext spricht der Musiker offen von sehr persönlichen Erfahrungen, Familiengründung und Trennung. In der Musik des Ensembles, dem Jochen Roß (mand) und Matthias Hübner (cello) angehören, scheinen allerdings in erster Linie Schönheit und Freude bewahrt. Und diese Erfahrung möchte man einem großen Zuhörerkreis sehr ans Herz legen. Rolf Beydemüller
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KATJA WERKER Magnolia katja-werker.com (Eigenverlag) 11 Tracks, 45:12 , mit Texten u. Infos
Nach einem weiteren Abend, der nach Tauschkonzert, Superstar und ESC mit schlechter Laune endete, möchte man rufen: „Kann nicht endlich jemand Katja Werker verpflichten?“ Oder könnte man zumindest jeden Produzenten nötigen, zwei Alben dieser Künstlerin zu hören, die neueste zum Beispiel, Magnolia? Noch deutlicher kann man nicht zeigen, wie intelligente, gut hörbare Popmusik klingen muss. Ein Album mit elf Hits, und für keinen einzigen muss man sich schämen. Im Gegenteil, man möchte sich zwanzig Alben auf Vorrat anschaffen, um als geschmackssicherer Musikliebhaber passende Weihnachtsgeschenke für jede Zielgruppe greifbar zu haben. Katja Werker ist ein Wunder. Musikalisch irgendwo zwischen Chanson, Americana und Schlager angesiedelt, kommt sie bei Hippies genauso gut an wie bei Punks, dank akustischer Instrumentierung und heftigem Geigeneinsatz auch bei Folkies beliebiger Couleur. „Nur den Moment“ klingt wie Edo Zanki zu seinen besten Zeiten. Bei der Ballade „Nur dir allein“ beschleicht den Hörer das Gefühl, der Song wäre wirklich für ihn persönlich geschrieben. „Zorn in meinem Kopf“ würde sogar auf einem Peter-Gabriel-Album passend klingen. Magnolia hinterlässt glückliche Musiker und Hörer. Danke, Katja. Chris Elstrodt
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