Rezensionen der Ausgabe 2/2018
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Cinesounds
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ACOUSTIC RAMBLERS Männer, Möwen und Milieu acousticramblers.de (Eigenverlag) 9 Tracks, 34:11
Bei den ersten Tönen vermutet man noch ein typisches Selfmade-Album. Akustischer Folk aus Dortmund, engagierte eigene Texte, sympathisch, oft gehört, so der Trugschluss. Im Verlauf der CD aber ertappt man sich dabei, wie die distanzierte Sichtweise einer Verbrüderung mit den Musikern weicht und zuletzt in einer Liebeserklärung endet. Acoustic Ramblers sind so, wie Folk heute sein sollte: musikalisch ausgereifter akustischer Folk mit einem Hang zum Skiffle, eine raue Stimme, die Hannes Wader glücklich gemacht hätte, und zeitlose Songs in bester Liedermachertradition zum Zuhören und Mitsingen. Gut, mancher Reim rumpelt etwas, aber so sind sie nun mal im Ruhrgebiet. Stimmig thematisiert das Album die Sehnsucht nach dem Norden. An die See wollen schließlich meistens Menschen, die dort nicht wohnen. Und so treffen sich zwei Fernfahrer in der Lieblingsfrittenbude oder der Kneipe im Viertel, hören die Acoustic Ramblers und fragen sich: „Sollen wir nicht einfach losfahren, bis uns eine steife Brise umweht?“ Lieder für die Arbeiterklasse, ungeeignet für intellektuelle Wortklauber, aber eine Wohltat für Menschen mit offenem Herzen. Eben doch ein typisches Selfmade-Album – eins, das man hören sollte. Chris Elstrodt
| STEVE BAKER Perfect Getaway stevebaker.de (Timezone TZ1473) 14 Tracks, 60:08 , mit engl. Texten u. Infos
In erster Linie bekannt ist der Mundharmonikaspieler Steve Baker durch seine Zusammenarbeit mit Abi Wallenstein, dem „Urgestein“ der Hamburger Musikszene, und mit Martin Röttger, dritter im Bunde der Band Blues Culture. Aber auch als Fachbuchautor, Leiter diverser Harpworkshops und natürlich Sideman einer ganzen Reihe weiterer Musiker hat er sich im Laufe seiner musikalischen Karriere einen zu Recht hervorragenden Ruf erspielt. Stilistisch eher im Blues verortet, ist sein Harpspiel durch einen singenden, lyrischen Ausdruck geprägt. Diese schönen, melodischen Linien ziehen sich dann auch durch das ganze Album. Baker feiert hier ein wirklich grandioses Debüt als Komponist, Arrangeur und Sänger. Natürlich kann jemand mit seiner musikalischen Vita auf ebenso hochkarätige Unterstützung zählen, und so liefern hier der Gitarrist Kai Strauss, Christian Rannenberg am Klavier, Alex Lex am Schlagzeug und Thomas Brodbeck am Bass, ein immer wieder durch Backgroundgesang zusätzlich befeuertes Prachtexemplar an handwerklich exzellenter Musik nach dem anderen ab. Country, Blues, Rock ’n' Roll, Pop – alles perfekt arrangiert, mit viel Herzblut geschrieben und beseelt vorgetragen. Achim Hennes
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HOT ’N’ NASTY Dirt hot-n-nasty.de (Sonic Revolution/Soulfood BM17C2282) 15 Tracks, 58:47 , mit engl. Texten u. Infos
Sie wurden 2009 nicht nur als beste Rhythm-and-Blues-Band, sondern auch für das beste Rhythm-and-Blues-Album ausgezeichnet. Auf ihrer neuen, der dritten Scheibe präsentieren Hot 'n' Nasty wieder satten Bluesrock und Delta Blues. Der Dortmunder Frontmann Malte Triebsch brilliert mit verschiedenen akustischen und elektrischen Gitarren, auch seine Musikerkollegen Robert Collins am Gesang, Jacob Müller am Bass und Dominique Ehlert am Schlagzeug überzeugen. Mit viel Gefühl interpretieren sie die „schmutzigen“ Titel „Take A Ride“ und „Daylight“, die der Produktion den Titel Dirt geben, aber auch langsamere Stücke wie „It’s Only Money“ und „Almost Like You’re Here“. Der Gesamtsound ist wunderbar warm und trotzdem druckvoll. Hier wird mit Herzblut gespielt, und es passt einfach alles zusammen. Als Gastmusiker hat die Band den Keyboarder Sascha Stiehler dabei, der sich vorbildlich einfügt. Auch das Grafikdesign von Jean-Karim König überzeugt. Dieses Album ist ohne Einschränkung zu empfehlen. Annie Sziegoleit
| ANNETT KUHR Sommerlandtraum annettkuhr.de (Annett Kuhr, Stimme & Musik) 13 Tracks, 46:34
Auf ihrem aktuellen Album nimmt Annett Kuhr den Hörer mit auf eine poetisch-musikalische Reise. Die Künstlerin hat diese mit erfrischend wachen, offenen Sinnen konzipiert. Das Unterwegssein beginnt mit einem Traum von den einfachen Dingen. Ein sonniger Bach, eine kleine Holzhütte, ein Tisch, ein Stuhl, Stift und Papier, vielleicht ein paar Blumen. Dann erwacht sie richtig, die Sehnsucht, „fort mit der Zeit zu schreiten“. Amsterdam ist das nächste Ziel. Es regnet, es ist windig. Es wird zu viel geredet. Zwischendurch eingestreute Gedanken von Christof Stählin, dem verehrten Lehrmeister der Künstlerin. Ein weiterer Regenspaziergang. Dann Hiddensee im Spätsommer, abends am Strand. Erinnerungen an einen Kindheitssommer, als es noch Bienen und Glühwürmchen gab. Eine Wanderung durchs Moor über einen hölzernen Plankenweg, als Metapher eines vorbestimmten Lebensweges. Und immer wieder Träume, Schiffe, Boote, Schlauchboote in wogenden Wellen, im Sturm. Die Sehnsucht nach sicherer Nähe. Abschließend singt Annett Kuhr a cappella ein Schlaflied von Stählin. Ein letztes Bild: ein kleiner Zirkuswagen auf einer sonnigen Wiese unter einem Baum. Sie werden dringend benötigt, die positiven Träume. Kai Engelke
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LAUBE Sanfte Rebellen laube-musik.de (BSC Music) 14 Tracks, 63:43 , mit Fotos, Infos, standarddt. u. bair. Texten
Kann man vierzig Jahre lang Musik machen und erst dann ein Album herausbringen? Wahrscheinlich liegt die Antwort im Refrain des dritten Liedes: „Mir ham wirklich alles, bloß mir ham koa Zeit.“ Nun wurde es aber höchste Zeit, denn die ist reif. In Hohenschäftlarn, zwischen München und Starnberger See, ist das Trio aus Andreas Becker (Gitarren, Gesang), Christine Mayer-Lauingen (Gitarren, Flöte, Gesang) und Dominic Mayer-Lauingen (Bass, Gesang) daheim, welches mit seinem Debüt ein Meisterwerk mit unaufdringlicher, aber eindringlicher, sehr melodischer und poetischer Musik schuf. Auf Standarddeutsch und Bairisch erzählen sie selbstgeschriebene, nachdenkliche, liebevolle Geschichten über das Leben in all seiner Unvollkommenheit. Im Titellied geht es zum Beispiel um einen Mann, der kein Führer, kein Kämpfer ist, sondern einfach sein Leben ruhig und in Frieden leben will, aber gerade dadurch zum Rebell in einer Zeit des Konkurrenzkampfes und Wettbewerbs wird. In einem anderen Lied schlägt der Sänger das Angebot einer Fee aus, seine Lebensuhr zurückzudrehen, sodass er noch mal von vorn anfangen könnte, aber nicht aus Lebensverdruss, sondern weil ihm das, was er durch die Jahrzehnte geworden ist, dann verloren ginge. Eine magisch-philosophische Scheibe. Michael A. Schmiedel
| THOMAS LINDER Mei beschtes Häs thomaslinder.eu (Tonteam Record) 12 Tracks, 50:07 , mit Fotos, standarddt. Infos u. schwäb. Texten
Thomas Linder ist Schnapsbrenner, Zimmermann, Maurer, Bauer, Maler, Dichter, Musiker und bewohnt einen Bauernhof bei Amtzell, nördlich vom Bodensee im westlichen Allgäu. Er ist auch Frontmann der Band Brekkie’s Inn, deren neues Album im „Kurzschluss“ dieser Ausgabe rezensiert ist und deren Mitglieder Moin Bothe (Akkordeon), Andieh Merk (Schlagzeug, Percussion, Saxofon, Tin Whistle), Uwe Rodi (Keyboards), Micha Wagner (E-Gitarre), Petr Hemmer (Geige) und Claudia Bertele (Gesang) auch hier mit von der Partie sind. Linder singt die Lieder vor allem in westallgäuisch-schwäbischer Mundart, spielt aber auch Gitarren, Cister, Klavier, Harfe und Bass und hat nun mit diesem vier Alben unter seinem Namen, drei mit Brekkie’s Inn und eines mit der Band Safran veröffentlicht. Die Musik dieser CD klingt nach Zirkus-, Jahrmarkts- und Straßenmusik, zugleich traumhaft schwebend und bodenständig. Die Texte handeln von recht skurrilen Gestalten, von denen eine der Teufel zu sein scheint, andere Feen sind, dann aber auch Menschen, die sich allesamt durch eine gehörige Portion unkonventionellen Eigensinns auszeichnen, so wie Linder wohl auch selbst: „Lauf halt môl anders rum, sei nit so dumm.“ Michael A. Schmiedel
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MELANIE MAU & MARTIN SCHNELLA The Oblivion Tales melaniemaumartinschnella.bandcamp.com (Eigenverlag) 11 Tracks, 67:24
Liebhaber des sinfonischen Folkrocks der Siebziger finden in The Oblivion Tales einen Geheimtipp. Das Duo Mau/Schnella ist in Folkkreisen noch unbekannt. Die Progressive-Rock-Szene kennt das Duo aus vielen Projekten, zum Beispiel von den Ausnahmemetallern A Flaming Row. Einen ersten Folkausflug unternahm das Duo mit dem Livealbum Gray Matters und dessen unfassbar schönen akustischen Versionen von Pop- und Rockklassikern. Nun veröffentlichen Sängerin Melanie Mau und Gitarrist Martin Schnella erstmals Eigenkompositionen und verzaubern erneut. Vom herrlich altmodischen Cover bis zu den liebevollen Kompositionen ist The Oblivion Tales eine Hommage an die große Zeit der Konzeptalben. Den Folkanteil unterstreicht Gastmusiker Jens Kommnick, der „norddeutsche Kelte“, an irischen Flöten und Dudelsack. Die irischen Elemente sorgen bei aller Reminiszenz an die großen Folkrockalben für etwas Eigenständiges und Ungehörtes. Ebenfalls zu Gast übrigens Musiker von Spock's Beard. Als Höhepunkt – und nicht ohne Risiko – integriert das Duo zwei deutschsprachige Titel in der Art vertonter Balladen in das Album. Der Klang des vollständig in Eigenregie produzierten Albums begeistert auch audiophile Hörer. Chris Elstrodt
| REEL BACH CONSORT Bach, give us a Tune! reel-bach-consort.de (Eigenverlag 2017) 12 Tracks, 58:39 , mit ausführl. augenzwinkernden Konzeptinfos
Folkurgestein Tom Kannmacher (Uilleann Pipes u. v. a. Instrumente) macht seit weit über vierzig Jahren die deutsche Folkszene unsicher und hat dabei immer wieder horizontüberschreitende, skurrile und ungewöhnliche Impulse beigesteuert. Jetzt also die Fusion von irischer Musik mit Johann Sebastian Bach. In unnachahmlicher Art erscheinen vertraute Barockmelodien durch Instrumentierung mit zwei Uilleann Pipes, Fiddle und Tin Whistles in völlig neuem Licht. Bachs kunstvoll verwobene Stimmführung transzendiert unerwartet, aber stimmig, in pulsierende irische Tunes und deckt überraschende melodische Verwandtschaften auf. Dazu liefern Cembalo, Kontrabass, Harfe und Bodhrán ein sattes Fundament sowie authentische Konzertsaalatmosphäre. Der Tupfen auf dem i sind einige eingestreute Vokalbeiträge, die gekonnt mit deutschen und irischen Text- und Melodieelementen jonglieren. Wohlgemerkt, hier spielt keine hochglanzpolierte Formation à la Lunasa, sondern die Bonner Irish-Folk-Szene inklusive ihrer musikalischen „Youngster“, die dank der musikpädagogischen Arbeit von Kannmacher und Fiddlerin Sabrina Palm zu diesem charmanten, hochspannenden Programm zusammengeführt wurden. Fazit: großartiges Album. Die Arie aus der Orchestersuite Nr. 3, präsentiert mit Pipes und Orgel, schafft einen erhabenen Abschluss. Johannes Schiefner
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LENNART SCHILGEN Engelszungenbrecher lennartschilgen.de (Tongue Twist Records) 19 Tracks, 75:44 , mit Texten
Ein Debütalbum, das Freude bereitet, wird von einem jungen Berliner Texter, Musiker und Entertainer vorgestellt, der einen unwiderstehlichen, mit schrägen Einfällen und musikalischer Raffinesse gepaarten Lausbubencharme besitzt. Gitarre und Klavier, Kalauer und gnadenlose Reime, abwegige Ideen und überraschende Pointen, Sinniges und Unsinniges, da planscht einer genüsslich im Kakao, durch den er sein Publikum zieht. Überraschend auch die Vielzahl seiner Themen. Versagergeschichten und ein bisschen Revolutionsattitüde kommen zu Gehör, der Mops von Ernst Jandl wird veräppelt, ein Song zur nächsten Fußball-WM versucht, Mitmachlieder für das erlauchte Publikum werden probiert und die – vergeigte – Liebe darf natürlich auch nicht fehlen. Blues, Rock ’n' Roll und Heavy Metal kommen zu zweifelhaften Ehren, Gedichte werden präsentiert. Seine größte Leidenschaft jedoch scheint es zu sein, den Tag zu verschlafen. Diesem unschuldigen Zeitvertreib widmet er gleich zwei seiner Lieder. Zum Abschied stänkert der multitalentierte Witzbold noch über Rauchen beziehungsweise Pupsen. So kann man auch mit Loserthemen erfolgreich werden. Aus der Sago-Zelle entwachsen manchmal schon lustige Früchtchen. Rainer Katlewski
| MARKUS SEGSCHNEIDER Earth Tones markus-segschneider.de (Acoustic Music Records/Rough Trade) 14 Tracks, 47:07
Die häufig geäußerte Sorge, reine Instrumentalalben seien auf Dauer langweilig, ist zumindest im Falle des Kölner Steelstringgitarristen völlig unbegründet. Die Vielfalt der musikalischen Themen, die meisterliche Spieltechnik und die akustische Perfektion der Aufnahme lassen nicht einen einzigen Wunsch übrig. Wichtiger ist neben diesen äußeren Faktoren allerdings etwas, das sich zwar erfahren, aber kaum beschreiben lässt. In Ermangelung besserer Begriffe gelingt eine Annäherung vielleicht über das Wort „beseelt“. Ein Musiker in nächstem Kontakt mit sich und seinem Instrument. Schnell und schön spielen können viele, uns ins Innere der Musik blicken lassen nur wenige. Das ist völlig genreunabhängig. Markus Segschneider ist in erster Linie Interpret seiner eigenen Werke. Umso erstaunlicher, wenn plötzlich und unvermutet ein klassischer Popsong wie Gilbert O'Sullivans „Claire“ auftaucht und sich lässig in den Reigen zeitloser Werke einreiht. Das mittlerweile fünfte Soloalbum Segschneiders demonstriert anschaulich, wie faszinierend und scheinbar unerschöpflich der Klangkosmos der akustischen Gitarre ist. Rolf Beydemüller
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