Rezensionen der Ausgabe 6/2017
Auswahl nach Heft-Nr:
Besondere Deutschland Europa Welt Kurzrezensionen Weitere Rezensionen Online-Rezensionen
Gelistet
Plattenprojekt
Bücher DVDs Cinesounds
|
|
|
---|
CAROLIN NO You & I carolin.no (Fuego 2770) 11 Tracks, 40:17
Auch nach elf Jahren und elf Alben ist es schier unmöglich, dieses Ausnahmeduo mit Worten zu beschreiben. Jeder, der Carolin No einmal erlebt hat, verliebt sich unweigerlich in diese beiden Musiker. Das ist zwar sachlich vermutlich richtig, hilft aber auch nur bedingt. Der Versuch, Carolin Nos Musik zu umreißen, klingt vielleicht so: Das neueste Album wurde ausschließlich akustisch eingespielt. Die samtweiche Stimme von Sängerin Carolin Obieglo wird treffsicher von Ehemann und Mitmusiker Andreas begleitet. Das Album startet mit starken Americana-Stücken, um dann, wie auf dem 2016er-Album Ehrlich gesagt, einen Ausflug in die Kultur deutscher Liedermacher zu wagen. Ob spanisch, deutsch oder englisch, die Songs sind allesamt hochkarätig, die auf leise Töne ausgerichteten Arrangements könnten stimmungsvoller nicht sein. Das Album ist voller Überraschungen und unerwarteter Wendungen, gehalten von einer sanften sympathischen Grundstimmung. Soweit zur musikalischen Beschreibung. Die eigentliche Wahrheit ist jedoch: Anhören. Verlieben. Chris Elstrodt
| DIE GRENZGÄNGER Lieder eines Lebendigen: Georg Herwegh – Poet und Rebell folksong.de (Eigenverlag) 14 Tracks, 56:13 , mit Fotos, Gemälden, dt. Infos u. Texten
Die Grenzgänger aus Bremen sind dafür bekannt, historische Themen zu behandeln, indem sie altbekannte und vergessene Lieder in neuen, frischen Arrangements zum Besten geben und so eine Brücke zur aktuellen Gesellschaft schlagen. Georg Herwegh (1817-1875) ist der Autor der auf ihrem achten Album gesammelten Lieder. Sie sind Aufschreie gegen die despotischen Zustände deutscher Politik zwischen Wiener Kongress und Kaiserreich mit der 1848er-Revolution in ihrer Mitte: Ausbeutung von Arbeitern, Verhaftungen politischer Gegner, Unterdrückung der Pressefreiheit und Kriege gegen die Nachbarn. Hier und da wahrscheinlich vom Bandchef Michael Zachcial in die Herwegh'schen Texte eingefügte Verweise auf heutige „Fernsehsender und Blätter“, die „täglich das Wetter“ bringen, oder auf „Berlin an der Spree“, wo „in dem hohen Haus“ „Lobbyisten“ ein- und ausgehen, zeigen deutlich, dass das 19. Jahrhundert inzwischen zwar Geschichte, der Kampf für Demokratie, Gerechtigkeit, Freiheit, Mitmenschlichkeit aber nach wie vor aktuell ist. Und dass wir uns ihrer keineswegs sicher sein dürfen, sondern es gute protestantische Tugend ist, kein „guter Bürger“ zu werden, sondern immer weiter zu protestieren, denn „der Rhein, der Rhein könnt freier sein“. Michael A. Schmiedel
|
|
---|
KLAUS HOFFMANN Glaube Liebe Hoffmann klaus-hoffmann.com (Stille-Musik/INDIGO) CD 1: 23 Tracks, 62:40; CD 2: 17 Tracks, 51:05; CD 3: 10 Tracks, 34:19; DVD, 149
Im letzten Jahr feierte Klaus Hoffman seinen 65. Geburtstag und sein vierzigjähriges Bühnenjubiläum. War die Tour dazu noch mit „Leise Zeichen“ betitelt, so wurde sie gekrönt mit einem fulminanten Konzert im Berliner Friedrichstadtpalast. Ein Heimspiel, gewiss, in einem großen Haus, wo stürmischer Applaus laute Zeichen setzte. Dieses Konzert ist in einer umfangreichen Produktion mit CDs und einer DVD dokumentiert, was die Fans sehr erfreuen wird. Mit über dreißig Liedern lässt er seine Karriere Revue passieren, ein Gastauftritt von Reinhard Mey bei drei Liedern bildet einen emotionalen Höhepunkt. Mit sympathischen, aber auch ironisch eitlen Ansagen und Erklärungen führt er sein dankbares Publikum durch den Abend. Ein volles Programm über zweieinhalb Stunden, das keine Wünsche offenlässt. Rainer Katlewski
| JOHANNES KIRCHBERG Johannes R. Becher – Einmal frei. Und einmal glücklich sein johannes-kirchberg.de (Dermenschistgut Musik/Feiyr) 16 Tracks, 40:47
Kann man sich diesem kommunistischen Dichter und Politiker ohne Vorurteile, rein menschlich nähern? Wird man mit diesem Ansatz eigentlich dem eigenen Anspruch des Dichters gerecht? Und was sagen einem heute die Gedichte des vor fast sechzig Jahren Verstorbenen? Wie kann man einem heutigen Publikum das umfangreiche Werk nahebringen? Johannes Kirchberg hat aus den Gedichten Lieder gemacht. Er hat seine Auswahl aus Hunderten, die Becher hinterlassen hat, selbst vertont und einen sehr aufwendigen klassischen Ansatz gewählt. Das Streichquartett Canea begleitet ihn dabei eindrucksvoll. Sein Gesang verleiht den Texten eine gewisse Frische und Unbeschwertheit. Ausgewählt hat er Liebesgedichte, Fragendes zur Zeit, Reflexionen über sich selbst, Antikriegsgedichte und Heimatgedichte. Becher hat in seinem großen Œuvre viel Agitatorisches, viel tagespolitisch Getriebenes und auch Kitschiges hinterlassen. Diese Zwiespälte trieben ihn gleichermaßen an, wie sie seine künstlerische Wahrhaftigkeit beeinträchtigten. Hier vermisst man Informationen über Zeit und Kontext der Gedichte. Es ist ein wohlmeinendes literarisches Programm geworden, das einen umstrittenen, gleichwohl fast vergessenen Dichter wieder vorstellt. Die Beschäftigung mit Becher führt einen tief in die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts. Rainer Katlewski
|
|
---|
MANFRED KUPP Manni's kleine Welt manniskleinewelt.com (Eigenverlag) 10 plus 2 Tracks, 44:58 , mit Fotos, Gemälden u. dt. Infos
Was ist Heimat? Ist es die Gegend, in der man hängen blieb, obwohl man eigentlich wegwollte? Manfred Kupp, hunsrück-moselfränkischer Liedermacher und Ex-Mitglied der Hunsrücker Mundartband Mouldahaaf, fand seine neue Heimat im Westerwald, immer noch im Moselfränkischen, und fühlt sich dort doch sprachlich in der Fremde. Neun der zwölf Lieder dieses Albums, das er zusammen mit vier weiteren musizierenden und zwei sprechenden Menschen sowie mehreren gackernden Hühnern aufnahm, sind denn auch im Hunsrücker Platt verfasst, drei auf Standarddeutsch. Zwei der Texte sind von Irene Busch. Die Themen sind aus dem Alltag gegriffen, wie bei „Klassentreffen“ oder im „Roggen-Roll“, nehmen medial geschaffene Heimatgefühle auf die Schippe, wie im „Schabbach-Blues“, oder sind gesellschaftskritisch wie in „Engel singen anders“. Dieses Lied ist zugleich von einer fast mystischen Tiefe und behandelt den Umgang mit Kindern, die man für unsern Wohlstand zur Arbeit zwingt oder zu Soldaten macht. Mannis kleine oder eine Welt befindet sich somit zwischen der auch sprachlich kleinen Heimat und globaler Verantwortung. Schön wäre es, wenn der Klang der CD etwas klarer wäre und man die Texte auch mitlesen könnte. Michael A. Schmiedel
| MAX PROSA Keiner kämpft für mehr maxprosa.de (Columbia/Sony) Promo-CD, 11 Tracks, 39:49
Lange hat er sich Zeit gelassen. Vielleicht zu lange? Sicher, auch die neuen Lieder Max Prosas haben textlich wie musikalisch Potenzial und lassen den „alten“ Prosa immer wieder durchscheinen. Hört man sie sich in Akustikversionen im Netz an, bekommt man ein Gefühl dafür, was daraus hätte werden können, und die Stärken ihres Schöpfers werden sichtbar, der mit eindringlichem Gesang und Leidenschaft weiter seine Botschaft von der Sehnsucht des Dichters nach Freiheit und Unabhängigkeit verkündet. Aber hat sich Prosa mit der Anbindung an ein Majorlabel nicht bereits in eine Form der Abhängigkeit begeben? Sein Bekenntnis „Glücklich mit nichts“ aus dem Opener verliert schnell an Glaubwürdigkeit angesichts teilweise überproduzierter Versionen der Lieder auf dem Album mit Elementen, die stärker auf Radio- und Charttauglichkeit angelegt sind als auf künstlerische Gesichtspunkte. Das Album schwankt zwischen Singer/Songwriter-Indiefolk, den er kann, und massenkompatiblem Deutschpop, der den Sänger einer Beliebigkeit anheimgibt, die ihn stellenweise kaum unterscheidbar macht von Kollegen wie Joris oder Andreas Bourani. Offenbar mit Absicht, denn der Waschzettel erzählt vom „vorläufigen Höhepunkt einer akribisch betriebenen künstlerischen Suche“. Schade. Stefan Backes
|
|
---|
CHRISTIAN RANNENBERG Old School Blues Piano Stylings christian.rannenberg.de (Acoustic Music Records 319.1570.2/Rough Trade) 18 Tracks, 71:38 , mit engl. Infos
Der 61-jährige Bluespianist Christian Rannenberg aus Solingen ist in den Top Ten der deutschen Bluesszene anzusiedeln. Er hat mit vielen hervorragenden Musikern und Formationen gespielt, wie etwa dem US-Saxofonisten Gary Wiggins und der inzwischen verstorbenen Sängerin Jeanne Caroll oder der Blues Company. Auf seiner neuen Produktion bei Acoustic Music Records – seine letzte Aufnahme dort liegt fünfzehn Jahre zurück – ist bei dem Titel „Rent Man Blues“ auch wieder eine Gastsängerin dabei, nämlich die in Osnabrück lebende Amerikanerin Angela Brown. Unter den Titeln sind zehn Eigenkompositionen. Anlass zu besonderer Freude gibt das letzte Stück auf dem auch optisch gelungenen Album im schönen Digipack-Design, „God Bless The Child“ von Billie Holiday. Annie Sziegoleit
| U.T.A. Vitamin D uta-holst-ziegeler.de (Sound Exit Records UHZ002-0717) 12 Tracks, 49:09 , mit Texten
Oftmals überbieten sich Liedermacher in ihrem Wortwitz. Sprachliches Geschraube simuliert Verstand und bringt den intellektuell gebildeten Hörer ins Entzücken ob des eigenen Verständnisses. Nicht so U.T.A. Die Künstlerin verwendet in ihren Liedtexten sehr einfache Worte. So einfach, dass man beim schnellen Hören denkt: Das kann ich auch, Straßenkunst für Naive. Dann aber schlagen die Textzeilen unerbittlich zu und berühren das Herz. Aus leichter Überheblichkeit wird erst Erstaunen und dann schiere Begeisterung. Man schämt sich ein wenig, weil man eben doch nicht besser ist als die ganzen Besserwisser, die man eigentlich verachtet. Und dann lauscht man den Worten von U.T.A. wieder und wieder. In jedem Lied erkennt man sich selbst. Jeder von uns ist der Verlierer Otto – eigentlich Otto der Große. Jeder von uns sucht unter dem Bett nach Gespenstern. Bei „Angeber“ erwischt die Liedermacherin den Hörer kalt. Wer ist hier der Urteilende und wer der Verurteilte? Musikalisch traut sich U.T.A. ähnlich viel zu wie textlich. Ob als Reggae nach Hausmacherart, Kindermusik oder Wohnzimmerrap, die große Kunst liegt in den kleinen Gesten. Einfach wunderbar. Chris Elstrodt
|
|
---|
ANNA MARIA ZINKE & DIE BAND IM AUFBAU Verwahrung bandimaufbau.com (Prosodia) 11 Tracks, 53:48 , mit Texten
Sängerin Anna Maria Zinke beschreibt das Debüt ihrer Band so: „Warum man an der CD Gefallen finden kann, kann ganz unterschiedliche Gründe haben.“ Klingt einfach, aber so leicht macht es dem Hörer Die Band im Aufbau nicht. Geschickt baut die Formation aus Halle eine Erwartung auf, um dann zielsicher einen anderen Weg einzuschlagen. Bereits beim Opener erwartet man tiefgründige Texte. Stattdessen wird das wundervolle Gitarrenspiel von einigen Satzfragmenten unterstrichen und erzeugt so statt einer „Botschaft“ eher ein Gefühl, welches zum Betrachten einer Landschaft einlädt. Bei „Karussell“ ist es umgekehrt, ein nahegehender Text wird in einer unsingbaren Gesangsmelodie vorgetragen, absolut ungeeignet für das Lagerfeuer und gerade deswegen herzerwärmend. Dem Wunsch des Hörers nach einem neuen Lieblingslied entzieht sich die Band wieder und wieder. Die Kompositionen sowie die Arrangements sind von überragender Qualität und passen eher zu jahrzehntelang eingespielten Profimusikern als zu einem Debütalbum. Das Album hinterlässt den Eindruck, das hier ein sehr wertvolles Stück Musik geschaffen wurde, doch die Liebe nach dem ersten Hören bleibt aus. Das hat Konsequenzen. Verwahrung landet immer wieder im CD-Spieler, bis sie letztlich doch zur großen Liebe wird. Chris Elstrodt
|
hö
|