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Ausgabe 3/2017


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 LIGHT IN BABYLON: Yeni Dunya
LIGHT IN BABYLON
Yeni Dunya
lightinbabylon.com
(Eigenlabel)
10 Tracks, 39:31


Wie es der Name der Istanbuler Band vermuten lässt, entfacht sie ein kulturelles Feuerwerk. Allen voran die charismatische und kraftvolle Sängerin Michal Elia Kamal, die auch für die türkischen und hebräischen Texte verantwortlich zeichnet. Die Israelin mit iranischen Wurzeln bildet seit 2009 gemeinsam mit dem exzellenten französischen Gitarristen Julien Demarque und dem türkischen Santurvirtuosen Metehan Çiftçi den Kern des Ensembles, das sich der Verschmelzung verschiedenster ethnischer Musikstile verschrieben hat. Auf ihrem aktuellen Album, das auf Türkisch „Neue Welt“ betitelt ist, präsentieren sie sieben eigene Kompositionen, die von der türkischen, der sephardischen und der europäischen Tradition inspiriert sind. Dazu covern sie in eigenen Arrangements zwei türkische Folksongs. Krönender Abschluss des energievollen Albums ist jedoch ihre eigenwillige Interpretation des John-Lennon-Klassikers „Imagine“. Wer hätte gedacht, dass der Song auch mit einem türkischen Beat und arabischer Gesangsführung gut klingt? Begleitet wird das Light-In-Babylon-Trio auf seinem aktuellen Werk vom schottischen Percussionisten Stuart Dickson, dem Bassisten Jack Buttler und dem türkischen Klarinettisten Ceyhun Kaya.
Erik Prochnow
 META AND THE CORNERSTONES: Hira
META AND THE CORNERSTONES
Hira
metaandthecornerstones.com
(Baco Records/Indigo)
Promo-CD, 14 Tracks, 70:07


Die Zukunft der Reggaemusik ist international. Den Beweis dafür liefert der für Texte, Musik sowie die gesamte Produktion verantwortliche Meta Dia mit seinem neuen Album Hira gleich mehrfach. Nach einem über anderthalbjährigen Fundraisingprozess und Aufnahmen in den Niederlanden, Jamaika, Paris und New York landete die Produktion schließlich in Peter Gabriels Real World Studios in England. Zum authentischen Reggae trug eine illustre Schar von Musikern bei. Unter anderem Dean Fraser und Rupert McKenzie aus Jamaika sowie Fixi, Rico Gaultier, Stanislas Steiner, Simon Roger und Mato Cirade aus Frankreich und Beuz Thiombane aus dem Senegal, daneben Musiker aus Algerien, Japan, Suriname, Curacao und den Niederlanden. Für zwei Titel konnte Meta Dia die spanische Sängerin Concha Buika gewinnen. Es wird in Englisch, Arabisch, Fulani und Wolof gesungen. Zu hören sind neben Rootsreggae Einflüsse von Bossa Nova, orientalischem Groove, marokkanischem Gnawa, klassischem Jazz, Flamenco und afrikanischem Rock. Die Musik vereint eine tiefe Spiritualität über alle kulturellen und religiösen Grenzen hinweg. Der senegalesische Musiker Meta Dia verbindet mit seiner Musik eine universelle Botschaft von Liebe und Frieden. Besonders widmet er sich den Beziehungen der Menschen untereinander und ihrem Glauben in der heutigen Gesellschaft. So heißt es im Titel „Zion Stereo“: „Salam (Peace) is our doctrine, our cornerstone.“
Christoph Schumacher

Afrika
 ORCHESTRA BAOBAB: Tribute To Ndiouga Dieng
ORCHESTRA BAOBAB
Tribute To Ndiouga Dieng
orchestrabaobab.com
(World Circuit Records WCD 092/Indigo)
Promo-CD, 10 Tracks, 42:44


Sehr viele von den Originalmitgliedern sind beim aktuellen Orchestra Baobab nicht mehr dabei. Das kann man auch kaum erwarten, gehen doch die Anfänge dieses Orchesters auf das Jahr 1970 zurück, als es sich aus den Trümmern der Star-Band formierte. Nach mehreren längeren Schaffenspausen und zuletzt zehn Jahren Ruhe ist Tribute To Ndiouga Dieng eine Art Neuanfang, denn Gründungsmitglied und Sänger Ndiouga Dieng verstarb im vergangenen November. Und mit ihm verschwindet im Grunde die Epoche, in der diese Band groß wurde. Auch Originalgitarrist und Gründungsmitglied Barthelemey Attisso steht derzeit nicht mehr auf der Besetzungsliste. Als erfolgreicher Anwalt hat er einfach wenig Zeit für die Musik. Seine perlenden Gitarrenläufe prägten früher den Klang der Band. Auf Tribute To Ndiouga Dieng hat die Kora diese Funktion übernommen. Neu hinzugekommen ist auch das Saxofon. Obwohl beides im Vordergrund steht, hat sich am Sound der Band wenig verändert. Rumba mit afrokubanischem Swing erklingt auf diesem Album, wie dies seit beinahe fünfzig Jahren der Fall ist. Orchestra Baobab machen im Grunde vollkommen unzeitgemäße Musik, was als Vor-, vielleicht auch als Nachteil gesehen werden kann. Baobab zieht einfach seine Runden, wie ein Satellit im Weltall seine Umlaufbahnen zieht.
Michael Freerix



Nordamerika
 ERIC BIBB: Migration Blues
ERIC BIBB
Migration Blues
ericbibb.com
(Dixi FrogDFGCD8795/H’Art)
15 Tracks, 48:59 , mit engl., franz. u. dt. Texten u. Infos


Mit seiner neuen Produktion Migration Blues wolle er unseren Verstand und unser Herz für die Notlage der Flüchtlinge öffnen, schreibt Eric Bibb, der amerikanische Groß- und Altmeister des akustischen Folkblues, im 32 Seiten starken Booklet. Der großartige Singer/Songwriter und Gitarrist bildet hier ein Trio mit JJ Milteau, der einfühlsam die Mundharmonika spielt, und Michael Jerome Browne, der verschiedene sechs- und zwölfsaitige Gitarren sowie Banjo und Mandoline aufs Schönste zum Klingen bringt. Die Kompositionen des Weltbürgers Bibb haben enorme und geradezu süchtig machende Kraft. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und weist auf Ungerechtigkeiten und Vorurteile gegenüber anderen Kulturen hin. „Wir alle“, sagt er, „stammen von Menschen ab, die irgendwann einmal auswandern mussten.“ Das trifft genau den Punkt. Bei zwei Liedern dieser vom ersten Ton an überzeugenden Produktion ist Olle Linder an Schlagzeug und Bass mit dabei, bei „Praying For Shore“ singt Big Daddy Wilson, bei „Morning Train“ seine Frau (ebenfalls Musikerin) Ulrika Bibb. Durch das wunderschöne und aufwendige Digipack wird das Ganze perfektioniert. Ein Muss im CD-Regal jedes Liebhabers der Bluesmusik.
Annie Sziegoleit
 PIETA BROWN: Postcards
PIETA BROWN
Postcards
pietabrown.com
(Lustre Records LUS 001)
10 Tracks, 40:20 , mit Infos


Viele Namen geben sich auf dem neuen Album von Pieta Brown ein Stelldichein, unter anderem sind Calexico, Mike Lewis, David Mansfield, Mason Jennings, Mark Knopfler, David Lindley, Eric Heywood und The Pines auf dem Cover als Gastmusiker angeführt. Diese Menge an versierten Musikern könnte zu einer gewissen Gesichtslosigkeit der Songs führen, doch das ist nicht der Fall. Gesang und Musikerpräsenz Browns stehen ganz klar im Vordergrund der zehn Songs von Postcards. Dies ist insgesamt sicher in seiner Ausgewogenheit und Vielfältigkeit dem Gitarristen und Produzenten dieses Albums, Bo Ramsey, zu verdanken. Mit Pieta Brown legte die Musikerin 2002 ihr Debütalbum vor. Mit 29 Jahren hatte sie als Tochter eines Musikers damals bereits einige Runden im Musikgeschäft gedreht und eine Menge Songs geschrieben. Seither hat sich die Qualität ihrer Lieder, die Folk mit Blues eigensinnig miteinander mischen, eher verbessert. Vielleicht ist sie bei allem keine wandlungsfähige Sängerin, weshalb man auf die Idee kam, viele befreundete Musiker mit hinzuzuziehen, doch bleibt alles in einem überschaubaren Rahmen. Ganz im Gegenteil, die Stärke der Musikerin Pieta Brown tritt auf diese Weise ganz klar in den Vordergrund.
Michael Freerix

 COLIN HAY: Fierce Mercy
COLIN HAY
Fierce Mercy
colinhay.com
(Compass Records 7 4680 2)
13 Tracks, 51:53 , mit engl. Texten u. Infos


Colin Hay, die Stimme von Men At Work, mit seinem neuen Werk. Die Stimme, um es vorwegzunehmen, hat kein bisschen Rost angesetzt und ist ein starkes Argument für dieses Album. Außerdem gibt es wunderschön arrangierte, echt eingespielte Streichersätze. Die Stücke, größtenteils zusammen mit Michael Georgiades geschrieben, können nicht mithalten, das muss man leider sagen. Eines toll, zwei, drei bleiben hängen, der Rest verläuft sich im Mediokren. Der Großteil des Albums wurde in Hays eigenem Studio in L. A. aufgenommen, die Streicher und einige zusätzliche Spuren auf Initiative von Garry West von Hays Label Compass Records in Nashville. Trotz dieses Herausholens aus der eigenen „Komfortzone“, wie Hay sagt, leiden die Arrangements unter Betulichkeit und Blutarmut – da wäre mehr drin gewesen. So hat das Ganze zwar ein unaufdringliches Countryflair, das aber keine Akzente setzt und zudem wenig ambitioniert wirkt. Anders als zum Beispiel dem Fischer-Z-Veteranen John Watts, der wie Hay seit dem kommerziellen Höhepunkt in den Achtzigern weiter regelmäßig Soloalben veröffentlicht wie auch jetzt gerade wieder, scheint es Colin Hay um nicht mehr viel zu gehen. Muss es auch nicht, aber schade ist es trotzdem.
Dirk Trageser
 HAYSEED DIXIE: Free Your Mind … And Your Grass Will Follow
HAYSEED DIXIE
Free Your Mind … And Your Grass Will Follow
hayseed-dixie.com
(Hayseed Dixie Records HDCDP2017/Cargo Records)
Promo-CD, 13 Tracks, 46:30


Die selbsternannten Erfinder des Genres „Rockgrass“ sind wieder da und präsentieren auf ihrem mittlerweile fünfzehnten Studioalbum das, was sie am besten können: mehr oder weniger bekannte Stücke aus Rock, Pop und Soul in ein Bluegrassgewand kleiden und glaubhaft vortragen. Wer Hayseed Dixie lediglich für eine Truppe hält, die einen wilden Soundtrack zu grenzenlosen Biergelagen liefert, tut dem Quartett aus Nashville unrecht. Tatsächlich sind sie sehr gute Musiker, die Geschmack beweisen und Ideenreichtum, wenn sie Songs in ihre Welt herüberholen. Und diese Welt leuchtet bunt, reicht von Metal bis Reggae. Eine Menge Soulnummern sind diesmal ins Programm gelangt, etwa Marvin Gayes „What’s Going On“ und „When The World Gets Small“ von den O’Jays sowie die Temptations-Nummer „Ball Of Confusion“. Zum musikalischen Kosmos der Bluegrasser gehören aber ebenso Elvis Costello, Michael Jackson und Lynyrd Skynyrd, von denen sie „The Ballad Of Curtis Loew“ interpretieren. Möglicherweise hat ihr intensives Touren durch Deutschland dazu geführt, dass auch ein hiesiger Song ins Repertoire gerutscht ist, „Vom selben Stern“ von Ich + Ich nämlich. Wunderbar, wie das alles funktioniert.
Volker Dick

 POOR NAMELESS BOY : Bravery
POOR NAMELESS BOY
Bravery
poornamelessboy.com
(Dan Can & Chronograph Records/Rough Trade CR-051D)
10 Tracks, 39:58 , mit engl. Texten u. Infos


Der aus einer Musikerfamilie stammende Singer/Songwriter und Gitarrist Joel Henderson aus Kanada komponiert und spielt Folk und Country mit Roots- und Jazzanleihen. Mit seiner dritten Veröffentlichung gelingt ihm der Sprung an die Spitze der traditionellen Geschichtenerzähler. Überzeugend präsentiert er Lieder über das Leben, die Liebe und deren Unbeständigkeit in unserer schnelllebigen Zeit. Zu kleinen Perlen werden die Stücke durch Hendersons Melancholie. Titel wie „Saturn“ und „Bravery“ setzen ruhige Akzente mit Hoffnung und Mut. Bei „River And Trees“ werden leicht rockige Grooves eingesetzt. Unterstützt wird der junge Künstler, der seinen Weg gehen und sicher auch in Europa zum Zug kommen wird, von Thomas St. Onge (Gitarre), Brad Prosko (Bass), Carmelle Pretzlaw (Violine), Kyle Halverson (Schlagzeug) und bei zwei Stücken von Tenille Arts, Denise Valle und Chris Henderson mit Backgroundgesang. Eine insgesamt stimmige Produktion.
Annie Sziegoleit



Lateinamerika
 BABY DO BRASIL: Baby Sucessos – A Menina Ainda Dança
BABY DO BRASIL
Baby Sucessos – A Menina Ainda Dança
(Coqueiro Verde CV20445)
CD plus DVD, 13 Tracks, 78:53


Baby Consuelo alias Baby do Brasil ist in Brasilien eine Popikone, optisch mit Nina Hagen vergleichbar, musikalisch eher der MPB und dem Mainstreampop zuzurechnen. Sie gehörte den Novos Baianos an, einer der wichtigsten brasilianischen Rockgruppen und Hippiekommune. Aus ihr gingen einflussreiche Musiker wie Dadi oder Pepeu Gomes hervor. Baby do Brasil war in den Achtzigern am erfolgreichsten, bekam sechs Kinder und widmete sich nach 1998 nur noch einer evangelikalen Sekte. Zu ihrem sechzigsten Geburtstag gönnte sie 2014 ihren Fans eine Wiederauferstehung, ließ ihren Sohn Pedro Baby (E-Gitarre) eine tolle Band mit vielen Bläsern zusammenstellen und gab in Rio ein Konzert, das auf DVD und CD mitgeschnitten wurde. Das war natürlich ein besonderes Ereignis, bei dem es sich selbst Caetano Veloso nicht nehmen ließ, als Gast aufzutreten. Musikalisch holt Baby alles aus ihren Hits heraus. Mal geht es Richtung Rock, die Bläser klingen durchaus funkig, aber sie zeigt auch, dass sie mal Samba gespielt hat oder wie eine Jazzsängerin scatten kann. Die Kompositionen sind eher durchschnittlich, wirken aber gerade durch die fetzigen Arrangements mitreißend. Und Babys punkiges Outfit ist ein Hingucker.
Hans-Jürgen Lenhart



Asien
 DIVERSE: Lost In China
DIVERSE
Lost In China
worldmusic.net
(Riverboat Records TUGCD1098/Harmonia Mundi)
Promo-CD, 15 Tracks, 53:21


Zugegeben, Sampler fristen in diesem Magazin oft ein Schattendasein in den Rubriken „Kurzschluss“ oder „Gelistet“, sind sie doch zumeist Infoträger für das Programm eines Plattenlabels. Von Zeit zu Zeit erscheinen jedoch klug und engagiert zusammengestellte Kompilationen, bei denen sich Informations- und Erkenntnisgehalt bestens ergänzen. Dem Briten Sam Debell ist hier ein solches Werk gelungen, einerseits Labelpromo, andererseits kompetenter Überblick über die chinesische Folkrockszene der Gegenwart. Als Percussionist der enorm populären Folkrockband Shanren aus der Provinz Yunnan ist er bestens vernetzt, und so stellt er hier zwölf Bands und Interpreten vor, die ihre auf traditionellen Klangmustern und Instrumenten basierende Musik mit Einsprengseln aus westlicher Rockgeschichte kombinieren, was zu komplett neuen, aber dennoch seltsam vertrauten Ergebnissen führt. Ein charmantes Beispiel dafür ist der Song „Ma Ni Gari Ge“ des ehemaligen Hanggai-Sängers Wu Junde, in dem immer wieder Jethro-Tull-artige Flötenschnipsel auftauchen. Oder „Good Girl“ von South City Second Brother, dessen Riffs mal nach „Centerfold“ der J. Geils Band und mal nach „Satellite“ der Hooters klingen. Ein großer Spaß.
Walter Bast



Australien/Ozeanien
 CARUS THOMPSON: Island
CARUS THOMPSON
Island
carusthompson.com
(Mind’s Eye Records CAR012/MGM Distribution)
10 Tracks, 37:00 , mit Texten u. Infos


Auch nach einer Studiopause von sechs Jahren versteht es der australische Singer/Songwriter weiterhin, seine Geschichten über die Außenseiter der Gesellschaft in eingängigen Folkpop zu kleiden. Flossen zuvor Erfahrungen des ständigen Unterwegsseins in die Lieder ein, scheint Thompsons Musik nun die Veränderung zu spiegeln, die das Leben als zweifacher Familienvater mit sich bringt – „Change, like bittersweet summer rain“ singt er entsprechend in „Trains And Submarines“. Musikalisch äußert sich das in einer etwas glatteren Produktion, und den markanten rauen Gesangsstil, den er gerne einsetzte, um Erfahrungen der Gebrochenheit wiederzugeben, hört man nur noch gelegentlich, zum Beispiel, wenn er in „Beach Fires“ davon erzählt, wie Drogen Menschen das Leben zur Hölle machen, oder in „Go There With You“ mit Demut die Geborgenheit besingt, die Liebe bringen kann. Mag das Ganze musikalisch etwas einförmiger daherkommen, seine Texte greifen weiter Themen von gesellschaftlicher Relevanz auf, und Thompson behält die Missachteten, Abgehängten, Zurückgelassenen im Blick. So auch, wenn er in „Postcode“ eindringlich das Phänomen der Gentrifizierung thematisiert. Und es bleibt dabei: Seine Lieder gewinnen mit mehrmaligem Hören.
Stefan Backes