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Ausgabe 3/2017


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EUROPA

ÍMAR
Afterlight
imarband.com
(Big Mann Records BMANN002)
10 Tracks, 39:42


Diese fünf Jungs werden als absolut heiße Newcomer aus Schottland gehandelt, was nicht so ganz stimmt, denn die Herren haben musikalisch durchaus einiges an Hintergrund vorzuweisen. Sie spielen in Bands wie Mànran (siehe eigene Rezension in diesem Heft), Talisk, Barrule oder Rura, von daher wäre der Begriff Supergruppe auch nicht so ganz falsch. Totaler Quatsch, würden Ímar sagen, wir sind nur Instrumentalisten, die musikalischen Spaß miteinander haben. Oh ja, aber was für einen Spaß! Selten wurden Konzertina (Mohsen Amini), Bodhrán und Gitarre (beides Adam Brown), Fiddle (Tomás Callister), Flöte, Whistle und Uilleann Pipes (Ryan Murphy) sowie Bouzouki (Adam Rhodes) mit  ÍMAR: Afterlight einem solchen Tempo und solch einer Präzision gespielt und von Rhodes kongenial aufgenommen und gemixt. Und nicht nur wissen Ímar genau, wie man die jeweiligen Instrumente virtuos bedient, sie haben auch ein untrügliches Gespür dafür, welche Melodien am besten klingen. Der Großteil der Tunes stammt daher von diversen Gruppenmitgliedern. Während manche Highspeed-Folkbands klingen, als ginge es darum, krampfhaft die Schallmauer zu durchbrechen, hat man dieses Gefühl bei Ímar nie. Hier sind Musiker am Werk, die sich an den Tunes schlicht berauschen, die manche Stücke bewusst behutsamer beginnen, nur um dann zwei bis drei Minuten später voller Wolllust zwei bis drei Gänge höher zu schalten. Wie es scheint, haben die Ímar-Musiker nur ein einziges Manko: das fehlende Gesangstalent. Man kann eben nicht alles haben, und daher versuchen sie sich erst gar nicht an Songs. Dieses erste Album wird nur noch von Ímar live übertroffen, wo man mit eigenen ungläubig staunenden Augen verfolgen kann, wie musikalische Ekstase aussieht. Allein zu beobachten, welche Tonfolgen mit welchem körperlichen Einsatz ein Mohsen Amini aus einer kleinen Konzertina zaubert, ist grandios und erinnert an Hochleistungssport. Hören, sehen, staunen!
Mike Kamp

INTERNATIONAL

THE DISORIENTALISTS
Who Was Essad Bey?
oriente.de/de/the-disorientalists
(Oriente Music)
18 Tracks, 50:04 , mit Infos u. Texten


Wer war nun Essad Bey? Marina Frenk (Gesang, akustische Gitarre, Piano), Yuriy Gurzhy (Gesang, akustische und E-Gitarren, Bass) und Daniel Kahn (Gesang, Akkordeon, akustische und E-Gitarren, Piano, Baglamas, Tzouras, Ukulele, Bird Whistle), die sich als Trio unter dem Namen The Disorientalists formierten, geben in ihren achtzehn Liedbeiträgen durchaus eine Antwort, selbst wenn Erkanntes wiederum neue Fragen aufwerfen soll. Essa Bey wurde im Oktober 1905 in Kiew mit dem Namen Abraam Leybusovich Nussimbaum geboren. Die jüdische Familie wanderte 1918 nach Baku aus, erreichte aufgrund von Pogromen 1920 Istanbul. In den zwölf Jahren, in denen Nussimbaum in Berlin lebte (1921-1933), zwischenzeitlich zum Islam konvertiert, war er vor allem schriftstellerisch aktiv. So veröffentlichte er etwa 1929 in deutscher Sprache seinen Roman Öl und Blut  THE DISORIENTALISTS: Who Was Essad Bey? im Orient. Für die Zeitschrift Die literarische Welt schrieb er, nun unter dem Pseudonym Essad Bey (später, allerdings umstrittenerweise, auch als Kurban Said), weit über einhundert Beiträge. Irgendwie jedoch schien Bey im Nirwana des russisch-ostjüdisch-deutschen Kulturlebens der Zwischenkriegszeit verloren gegangen zu sein. Mit Unterstützung des Berliner Gorki-Theaters wollte man sich seiner wieder erinnern, wobei hier wahrlich ein internationales Projekt zustande kam. Der aus der Ukraine gebürtige Gurzhy ist unter anderem Mitgründer der Russendisko und der Klezmer-Cossover-Formation Rotfront. Frenk stammt ursprünglich aus Chi?inau in Moldawien und ist hauptsächlich als Schauspielerin aktiv. Kahn wurde in Detroit geboren und ist mit The Painted Bird auch über Deutschland hinaus längst eine Institution. Auf dem Album ergänzt durch Hampus Melin am Schlagzeug beschreiben die drei auf burleske Art und gleich dreisprachig – auf Deutsch, Englisch und Russisch – das in biografische Stationen aufgeteilte Leben eines heute fast in Vergessenheit geratenen Juden. Und was liegt bei den Themen Theater und Berlin der Zwanzigerjahre näher, als die Musik über eine reale, mitunter dennoch fiktiv anmutende Persönlichkeit („A Yid or a Russian will never pass as a Prussian“) versus einen persischen Prinzen, für den sich Bey unter anderem angeblich seiner Ehegattin gegenüber ausgab, in den Stil eines Kabaretts einzubinden. Man schließe die Augen, und flugs hat man die Bilder leibhaftig vor sich.
Matti Goldschmidt