Rezensionen der Ausgabe 2/2017
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ÖSTERREICH
| VESSELSKY/KÜHN Wauns amoi so aufaungt küve.com (Donauwalzer Records) 10 Tracks, 33:58 , mit Fotos u. dt. Infos
„Ka Wöltrekord, ka Himmelfoahrt, ka Chevrolet, ka Haute volée, ka Fuaderneid, ka Schodenfreid, ka Überdruss, ka Wöltverdruss – I will net besser sei, i will nua sei, i will net größer sei, i will nua sei, i will net schöner sei, i will nua sei, i will net gscheiter sei, I will nua sei.“ Was sich hier in einem der Lieder ausdrückt, zieht sich durch das ganze Album, eine Selbstbescheidung, eine Absage an Konkurrenzdenken, an Neid und Gier. Dagegen der Wunsch, sich zurückzuziehen, dazubleiben, keine zu großen Schuhe anzuziehen und stattdessen den Flüchtling in sich selbst zu entdecken. Diese philosophischen Betrachtungen vollziehen sich im Duett zwischen Wolfgang Kühn – wenig mit Melodie, eher im Sprechgesang, mit flüsternder, hauchender Stimme, als gelte es, ein Geheimnis zu bewahren – und Irmie Vesselsky – mit einer glockenklaren, feinen Stimme in zarten, schönen Melodien, und dabei beide großenteils im Dialekt des niederösterreichischen Waldviertels, Vesselskys Part aber auch mal auf Englisch. Gerade in diesen zweisprachigen Liedern treffen sich das Regionale und das Globale, was eine gewisse Spannung aufbaut, sich aber als zwei Seiten derselben Medaille erweist. So sollte moderne Volksmusik sein! Das kleine Waldviertel oder die große Erde, beides gehört untrennbar zusammen, Heimatlosigkeit gibt es in einem selbst, und der Versuch, eine Heimat im eigenen Keller zu finden, wirkt wie ein aberwitziger Versuch, der in die Irre geht. Der Gesang wird begleitet von Piano, Orgel, Synthesizer, die Vesselsky spielt, dazu ergänzen Juergen Berger Bass und Trompete und David Hebenstreit Violine und anderes mit zarten Ein- und Zwischenspielen, meist eher zurückhaltend, aber auch mal die Stimmung steigernd. Das Besondere dieses Albums ist dabei vor allem die Kontrastharmonie der so unterschiedlichen Stimmen und Gesangstechniken und der beiden Sprachen sowie eine tiefe, verträumte, auch mal albtraumhafte Poesie, die dem Leben in kritischer Liebe begegnet. „Freeze this moment! Auch die Wachau hat a moa gnua.“ Michael A. Schmiedel
| INTERNATIONAL I
| CONTRAVIENTO Para Mis Amigos contraviento.de (Soundatelier/Eigenvertrieb) Promo-CD, 18 Tracks, 65:01 , mit dt. u. span. Texten u. Infos
Das deutsch-chilenische Duo Contraviento wirkt auf den ersten Blick wie eine Inkarnation dessen, was in den späten Sechzigern an Weltmusik populär war – politische Liedermacher aus Lateinamerika und ein bisschen Irish Folk dazu. Die Reihe der Komponisten, deren Songs hier intoniert werden, reicht von Victor Jara bis Atahualpa Yupanqui, aber auch Eric Bogle oder Paul Simon sind im Repertoire. Wem das zu angestaubt klingt, der sollte wissen, dass das Genre Weltmusik bei uns damals mit genau solcher Musik seinen Anfang nahm. Außerdem kommt es immer darauf an, wie man derartige Musik aufbereitet. Und da muss man der Sängerin Isabel Lipthay (Chile) und dem Gitarristen Martin Firgau (Deutschland) bescheinigen, dass sie ihre Lieder mit viel Liebe arrangiert haben. Vor allem aber klingt hier nichts übertrieben pathetisch wie so manches aus dieser Zeit, eher angenehm intim, besinnlich und auch abwechslungsreich. Manche Stücke sind mit Gastmusikern eingespielt, was dem Album zugutekommt, weil Percussion, Maultrommel oder Piano auflockern. Gesungen wird auf Spanisch, Deutsch und Englisch, und als Überraschung ertönt Beethovens „Ode an die Freude“. Das Duo möchte damit darauf hinweisen, dass die 1970 entstandene spanischsprachige Version von Miguel Rios während der chilenischen Diktatur bei Demonstrationen gesungen wurde. Schillers Worte „Alle Menschen werden Brüder“ wurden damals noch mit Tränengas bekämpft. Das Album wirkt wie ein akustisches Erinnerungsalbum an die Zeit der Friedensbewegung und der ins Exil getriebenen lateinamerikanischen Künstler. Mit der Zeit – der Chile-Putsch ist über vierzig Jahre her – könnten solche Lieder aber auch auf dem Dachboden der Geschichte landen. Gut, dass sich Musiker wie Contraviento mit einem engagierten Booklet und einem Betulichkeit vermeidenden Stil bemühen, dass der Geist von Musikern wie zum Beispiel ihres Vorbilds Mercedes Sosa in Erinnerung bleibt. Insofern nicht nur etwas für Folker-Freunde der ersten Stunde. Hans-Jürgen Lenhart
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INTERNATIONAL II
| VOICES OF ASHKENAZ Voices Of Ashkenaz ashkenaz.eu (CPL Music 014) 14 Tracks, 70:18 , mit Infos u. Texten
Nicht für alle ist aus dem Begriff „Ashkenaz“ zu entnehmen, dass es sich hier überwiegend um Lieder des osteuropäischen Judentums handeln soll. Wurde zwar noch im Mittelalter unter Ashkenaz eine geografische Region im heutigen Westen Deutschlands verstanden, insbesondere das Rheinland sowie das Städtedreieck Speyer, Worms und Mainz, so wanderten die meisten der mittelhochdeutsch sprechenden Juden infolge von Pogromen während der Kreuzzüge und der Pest in das nordöstliche Europa, hauptsächlich in die Gebiete des heutigen Litauens, Polens, Weißrusslands sowie der Ukraine aus. Noch im zwanzigsten Jahrhundert sprachen etwa zehn Millionen Menschen das sich dort über die Jahrhunderte entwickelnde (Ost-)Jiddisch. Die hier vorliegenden vierzehn Lieder weisen eine verblüffende Verwandtschaft zu deutschen Texten und Melodien auf, als ob es zumindest auf musikalisch-kultureller Basis seit vielen Jahrhunderten bereits ein durch Juden getragenes vereintes Europa gäbe. Aber auch die Texte ähneln sich inhaltlich, wie etwa am Beispiel „Nem araoys a ber fun vald“ („Hol’ einen Bären aus dem Wald“) zu erkennen ist. Unterrichte diesen Bären in der Schreibkunst. Schaffst du das, so gehörst du mir. Dass Deutschen wie Juden das Tanzen eigen ist, kommt unter anderem in „Raynlender & Rheinländer“ zur Geltung, in dem eine Frau und ein Mann die Qualitäten des jeweils anderen zwar diskutieren, es letztlich aber auf nichts anderes als den Tanz hinausläuft. Für die musikalische Umsetzung dieser Lieder sorgt ein Who’s who der deutsch-amerikanischen Klezmerszene: Michael Alpert (voc, v), Alan Bern (acc), Thomas Fritze (b, g, perc), Sveta Kundish (voc), Andreas Schmitges (g, voc), Deborah Strauss (acc, v), Till Uhlmann (hurdy-gurdy) und Vivien Zeller (v). Mit einer derartigen Besetzung kann eigentlich nichts mehr schiefgehen – dem Freund des traditionellen Volksliedes ist ein Hörgenuss garantiert. Mit dem umfangreichen Beiheft können die Texte auf Deutsch, Englisch und Jiddisch (in lateinischen Buchstaben) mitverfolgt werden. Matti Goldschmidt
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