Rezensionen der Ausgabe 5/2016
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DEUTSCHLAND
| BOXGALOPP Baddsch! Bäng! Bumm! antistadl.de/boxgalopp (Tradx Records/Antistadl) 16 Tracks, 42:25 , mit dt. Infos
LAMBERTZ – SAAM – RICHTER Bier gewinnt! antistadl.de/lambertz-saam-richter (Tradx Records/Antistadl) 15 Tracks, 43:57 , mit fränk. Texten und dt. Infos
Die nachhaltige Kontaminierung süddeutscher Volksmusik mit Musikantenstadl und Schlimmerem ist in den letzten sieben Jahrzehnten hinlänglich konstatiert worden – zuletzt auch im „Sexy-Kerwa“-Artikel in Folker 04.16, der aber vor allem berechtigte Entwarnung gab. Auf welchem Niveau die Szene inzwischen auch in die globalisierte Öffentlichkeit der lokalen Bühnen aus drängt, mag man aktuell anhand der vorliegenden Veröffentlichungen einiger auch in „Sexy Kerwa“ bereits besonders erwähnter Protagonisten nachvollziehen. Eine Klasse für sich sind Boxgalopp aus Bamberg, die als Hausband ihres Labels Antistadl zu vollkommener Meisterschaft und Souveränität gereift sind – wie Baddsch! Bäng! Bumm!, veröffentlicht bereits im Dezember 2014 – mit makelloser Kohärenz zeigt. Restlos flüssig und federleicht tänzelt das Quartett mit dem Kerninstrumentarium Klarinette, Geige, Dudelsack, Akkordeon und Kontrabass und gelegentlichen Zusatzakzenten durch sein Repertoire – eine Mischung überlieferter fränkischer und bayrischer Volkstänze und Lieder, mit eigenen Anknüpfungen an die Tradition aus der Feder ihres Akkordeonisten David Saams. Ohne auch nur eine Spur überkommener Tümelei holen Boxgalopp ihre lokalen Traditionen in die Gegenwart – jeglicher Gedanke an unvereinbare Lager, Volksmusik hie, internationale Charts da, verpufft ansatzlos. Eine Art Quadratur des Kreises, die in einer Hinsicht sogar noch getoppt wird von dem Bravourstück, das Saam jetzt mit seiner Veröffentlichung mit Christoph Lambertz und Andreas Richter gelungen ist. Bier gewinnt! – musikalisch Baddsch! Bäng! Bumm! nicht ganz, aber fast ebenbürtig – fügt dem Boxgalopp-Volltreffer auf gleichem Terrain noch eine Heldentat hinzu, von der man hierzulande noch kaum je gehört hat: ein komplettes Album über das bayrische Grundnahrungsmittel, praktisch ohne jede Witzischkeit mit dem Holzhammer! So natürlich, wie Bier trinken im Süden – und Norden, Osten und Westen – tatsächlich ist. Und ebenso berauschend. Und ohne Kater. Christian Beck
| INTERNATIONAL
| DIVERSE Refugees For Refugees – Amerli muziekpublique.be (muziekpublique, 07/Discovery Records) 14 Tracks, 61:21 , mit engl., franz. und flämischen Infos und Texten
Ein Musikprojekt, dass Hoffnung verbreitet auf allen Ebenen. In Zeiten, in denen sich in Europa die einstige Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen zunehmend in Feindseligkeit verkehrt, setzt die gemeinnützige Brüsseler Kulturinitiative Muziekpublique ein Zeichen. Und was für ein hochklassiges! Auf dem Album Amerli versammelt die Stiftung, die Konzertveranstalter, Label und Workshopanbieter in einem ist, achtzehn in Belgien im Exil lebende hochtalentierte Musiker aus Afghanistan, Irak, Pakistan, Syrien und Tibet. Die exzellent ausgebildeten und virtuosen Vertreter ihrer heimatlichen musikalischen Kulturen wollen mit ihrem Benefizprojekt den Flüchtlingen in Belgien helfen, ein neues Leben aufzubauen. Dazu schlagen die Musiker Brücken zwischen ihren eigenen Traditionen, verbinden klassische mit modernen Elementen, in eigenen Kompositionen und traditionellen Liedern. So bringen sie ihre eigenen Erfahrungen als Emigranten zum Ausdruck, wie der pakistanische Sarod-Könner Asad Qizibash in „Carava“ oder der irakische IS-Flüchtling und Ud-Spezialist Hussein Rassim in „Jiran“. Sie feiern den Neubeginn, wie der syrische Gitarrist Bassel Khalil in „Spring“, erinnern an das in Schutt und Asche liegende große musikalische Erbe Aleppos, oder sie verehren die Natur, etwa in Form des Mount Everest im tibetischen Volkslied „Chomolungma“. Wie ein roter Faden durchzieht das gesamte Album jedoch die Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben und gemeinsames Wachsen der unterschiedlichen Kulturen. Stellvertretend dafür steht die Titelkomposition Amerli. Hussein Rassim erinnert hier an den erfolgreichen Kampf der irakischen Stadt, der vor allem von 10 bis 15-jährigen Jungen geführt wurde, gegen den IS. Was es jedoch heißt, kulturelle Vielfalt in Kreativität und Harmonie zu verbinden, demonstriert das letzte Lied des Albums „All Sentinent Beings“ des tibetischen Sängers und Multiinstrumentalisten Norbu Tsering. Dem Zauber seiner Komposition über ein berühmtes buddhistisches Gebet, in dem er alle Sprachen der an dem Projekt beteiligten Künstler vereint, kann sich kaum jemand entziehen. Erik Prochnow
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SPANIEN/NORDAMERIKA
| Fermin Muguruza NOLA? – Irun Meets New Orleans muguruzafm.eus (Talka Records Talka33-34 CD/DVD ZC 561) 10 Tracks, CD 44:00, DVD 67:07 , mit Texten bzw. Untertiteln in Baskisch, Katalanisch, Spanisch (nur UT), Französisch und Englisch
Beim baskischen Ska-Punker Fermin Muguruza wird straighter, gitarrenlastiger Punk in swingenden, bläserlastigen New Orleans Jazz verwandelt. Muguruza ist der Inbegriff des linksorientierten Globalisierungsgegners, musikalisch dagegen sehr global. In New Orleans/ Louisianna (NOLA) spielte er mit der historischen Preservation Hall Jazz Band seine Stücke neu ein. Gleichzeitig drehte er dazu einen Dokumentarfilm, der die Musikproduktion in die Situation der Stadt nach dem Hurrikan Katrina einbindet. Dazu lässt er vor allem die Musiker sprechen. Die Aufnahmen entstanden in der Preservation Hall in French Quartier, dem einzigen Ort, wo in den Fünfzigern Schwarze und Weiße ungehindert miteinander jammen konnten. Der recht eintönige Punk Muguruzas bekommt bei der Begegnung einen gehörigen Kick, die NOLA-Musiker dagegen beweisen, dass sie wirklich alles spielen können. Die größere Leistung Muguruzas ist aber der Film. Klar wird bei den Musiker-Interviews: Nach Katrina kam als nächste Katastrophe die Vertreibung der sozial Schwachen, die oft von den Versicherungen im Stich gelassen wurden. Damit einher ging eine Gefährdung der typischen Kultur von New Orleans. Die Musiker kehrten aber als Erste zurück und erhielten so den Charakter der Stadt. Mit ihnen wurden der Mardi Gras und die Second Line-Streetparades reanimiert, bei denen die Bevölkerung den Kapellen tanzend hinterherzieht. Doch inzwischen wird genau das von der neuen Schicht zugezogener Wohlhabender als bloße Lärmbelästigung empfunden. Der Posaunist Mark Bingham nennt auch die zunehmende Aggressivität der Polizei und erwähnt, dass dies mit der lukrativen Privatisierung amerikanischer Gefängnisse zu tun hat. Trotzdem lieben die Musiker ihre Stadt über alles. CD und DVD stecken in einem kunstvoll gestalteten Buch mit Songtexten, Fotos, Partituren und Illustrationen zu den Songs – fast zu edel für einen Punk. Wer New Orleans heute verstehen will, sollte diesen Film gesehen haben. Hans-Jürgen Lenhart
| NORDAMERIKA
| JOAN BAEZ 75th Birthday Celebration joanbaez.com (DoCD & DVD, Razor & Tie JB00001, JB00002, JB00003, In-Akustik) 11 Tracks, 48:20/10 Tracks, 51:36/DVD 103:23
Zu ihrem 75. Geburtstags hat Joan Baez, Grande Dame und Ikone des American Folksongs, sich und ihren Fans ein Jubiläumskonzert der besonderen Art gegönnt. Dazu lud Frau Baez im Januar dieses Jahres eine Riege hochkarätiger Musikerinnen und Musiker in das einmalige Ambiente des altehrwürdigen New Yorker Beacon Theaters ein. Nicht, dass sie es nötig hätte. Die Handvoll Songs, die sie solo singt, zeigen (vor allem auf der Konzert-DVD), dass sie es mit ihrer warmherzigen, in Würde gereiften Stimme und umwerfender Bühnenpräsenz mühelos auch alleine schafft, ein Auditorium zu bezaubern. Sie erreicht die schwindelerregenden Höhen noch, wenn’s sein muss, auch wenn sie inzwischen eher in einer Mezzosopranlage und gefühlt einen Ganzton tiefer singt. Das Besondere des Konzertes sind jedoch nicht die Solostücke, sondern die traumhaft schönen Gesangsduette und -terzette mit Weggefährten, die ihre lange Karriere Revue passieren lassen. Und wenn eine Joan Baez zur Unterstützung für ihr Geburtstagskonzert ruft – wer könnte da widerstehen? Außer ihrem früheren musikalischen und Lebenspartner Bob Dylan ist eine ganze Starriege dem Aufruf gefolgt. Nachdem Frau Baez mit „God is God“, einem „neueren“ Song von Steve Earle, und dem Phil-Ochs-Klassiker „There But For Fortune“ den Abend solo eröffnet hat, tritt als erster ihrer Gäste Fingerpickinglegende David Bromberg auf die Bühne. Er unterstützt Baez an der zweiten Gitarre bei einer wunderbaren Version des Elizabeth-Cotton-Songs „Freight Train“. Im Verlauf des Abends spannen Joan Baez und ihre Gäste einen Bogen über ihre fünfzigjährige Karriere. David Crosby, Mary Chapin Carpenter, Emmylou Harris, Jackson Browne, Judy Collins, die Indigo Girls, Damien Rice, Richard Thompson und der chilenische Multiinstrumentalist Nano Stern, Mavis Staples und Paul Simon (der seinen Gesangseinsatz zu „The Boxer“ fast versemmelt) geben sich die Ehre. Das emotionsgeladene und vom Publikum mit langen stehenden Beifallsbekundungen gefeierte Konzert endet mit einem ihrer größten Erfolge, „The Night They Drove Old Dixie Down“. Passender als mit der Zugabe „Forever Young“ könnte das denkwürdige Konzert nicht ausklingen. Joan Baez ist eine zeitlose Künstlerin, die sich und ihren Fans ein zeitlos schönes Folkalbum zum Geburtstag geschenkt hat. Ulrich Joosten
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