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Ausgabe 4/2016


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DEUTSCHLAND

THE HOODIE CROWS
On The Wing
hoodiecrows.com
(Eigenverlag)
10+2 Tracks, 50:03 , mit engl. Texten, dt. Infos u. Fotos


Für Folkmusiker reicht es eigentlich, alte, bekannte Texte und Melodien zu Gehör zu bringen, sie müssen nicht unbedingt immer neue und eigene schreiben, singen und spielen. Und so darf es auch gar kein Manko sein, wenn ein Album mit solch altbekanntem Material einem Folkmusikjournalisten vorliegt, erst recht nicht, wenn dieses so dargebracht ist wie im vorliegenden Fall. Schon der Opener, ein Set aus dem Lied „Hot Asphalt“ und „Cooley’s Reel“, beide schon so oft gehört, reißt den Rezensenten in seinen Bann. Ein hartes Banjo, eine angehauchte Flöte, eine markante Stimme, ein treibendes Gitarrenriff, immer wieder die Flöte in kurzen Stößen dazwischen. Dann eine zweite, etwas weichere Stimme im Hintergrund und sodann plötzlich der  THE HOODIE CROWS: On The Wing Reel, vor allem mit wilden Flöten und Banjo als Melodie- und Gitarren als Akkordinstrumenten, anschließend nahtlos wieder in das Lied übergehend. Besagte weichere, zugleich tiefere und etwas hauchende Stimme singt anschließend das zweite Lied „The Road To Nowhere“, diesmal kein Traditional, sondern, wie auch noch andere, vom Eigentümer der Stimme geschrieben. Ja, da haben sich zwei gefunden, Sebastian Barwinek und Johannes Single, ein Hesse und ein Schwabe. Ersterer bekannt durch Bands wie Green Highland, Heiter bis Folkig und Fánái, Zweiterer durch The McMontos. Beide also trotz jungen Alters alte Hasen der deutschen Irish-&-Scottish-Folk-Szene, die sich mit ihren unterschiedlichen Stimmen und ihrem virtuosen, mal rockig treibenden, mal zart-filigranen Spiel auf diversen Saiteninstrumenten vorzüglich ergänzen und unterstützen. Und doch sind diese Scheibe und der volle Bandsound nicht ihr Werk alleine. Als Gastmusiker und -musikerinnen sind Michi Bohi und Christina Hummel mit zusätzlichen Stimmen, Steffen Gabriel auf besagten Flöten, die er selbst baut, und Jürgen Zimmer mit Klavier, Keyboard, Percussion und Bass dabei, und alle zusammen schufen dieses besondere Album, das in seinen komplexen Arrangements, seinen vielen Zwischentönen und Mehrstimmig- und -schichtigkeiten dem Rezensenten durch die Gänsehaut tief in die Eingeweide geht.
Michael A. Schmiedel

SÜDAFRIKA

DEREK GRIPPER
Libraries On Fire
Promo-CD
9 Tracks
45:14
(New Cape Records, derekgripper.com)


„Wenn in Afrika ein alter Mann stirbt, dann brennt eine Bibliothek.“ Dieser Satz des malischen Schriftstellers Amadou Hampâté Bâ stand Pate für den Titel dieses in jeder Hinsicht einzigartigen Albums. Derek Gripper, Musiker aus Südafrika, ist seit 2009 damit beschäftigt, das Spiel der einundzwanzigsaitigen westafrikanischen Harfe auf sein Instrument zu übertragen, die sechssaitige klassische Gitarre. Undenkbar? Fassungslos lauscht man diesem unter einfachsten Bedingungen an einem Nachmittag eingespielten Werk. Da ersteht die Musik eines Toumani Diabaté oder Ballaké Sissoko in ihrer ganzen Farbigkeit und Pracht auf. Und beim Prozess der Kondensierung auf wenige Saiten scheint wie durch ein Wunder nichts verloren  DEREK GRIPPER: Libraries On Fire gegangen zu sein. Die Musik der Mandé wird, wie in vielen Kulturen weltweit, mündlich weitergegeben. Erst durch Aufnahmen ist so etwas wie eine „digitale Partitur“ entstanden. Gripper liest diese Scores aus und schafft derart mitreißende, lebendige Interpretationen der Werke malischer Koramusik, dass man mitunter vergisst, dass es sich um eine schlichte Nylonsaitengitarre handelt. Sein Ziel ist es, diese Musik dem westlichen Hörer und auch Musiker zugänglich zu machen. Neben den Transkriptionen einzelner Stücke bietet Gripper auch Unterricht via Skype an, denn, so viel ist schnell klar, einfach so nachspielen lässt sich das nicht. Grippers unglaublich dynamische Spieltechnik und die bestechende Leichtigkeit im Umgang mit den polyrhythmisch äußerst vertrackten musikalischen Originalen ist betörend. Dies ist bereits sein zweites Album mit malischer Koramusik nach One Night On Earth: Music From The Strings Of Mali von 2012. Gripper ist ein rastlos Forschender und Reisender in Sachen Gitarre, immer im Begriff, seinem Instrument Musik zu erschließen, die weit über den klassischen Horizont hinausgeht. Das Album schließt mit „Alfa Yaya/Anna Magdalena“, einer Widmung an die zweite Gattin des großen Johann Sebastain Bach. Musiker wie Derek Gripper sind ein Glücksfall in einer an Talenten reichen Welt.
Rolf Beydemüller

INTERNATIONAL

LAS HERMANAS CARONNI
Navega Mundos
lashermanascaronni.com
(Les Grands Fleuves/Broken Silence)
12 Tracks, 42:44


Musiker aus multinationalen Familien, die zudem in verschiedenen Ländern lebten, präsentieren sich auffallend oft als musikalisch unkonventionell. So auch die Musikerinnen der beiden folgenden Alben, die zudem noch das in der Weltmusik seltene Cello verbindet. Las Hermanas Caronni sind in Argentinien verwurzelte Zwillinge, die aber in Frankreich eine klassische Ausbildung erfuhren. Gianna Caronni  LAS HERMANAS CARONNI: Navega Mundos spielt Klarinette, ihre Schwester Laura Cello und Violine, beide singen zudem. Ihrer Lebensgeschichte entsprechend bewegt sich ihre Musik zwischen besinnlicher Klassik, argentinischer Folklore und Anklängen an das französische Chanson. In „La Melodie Des Choses“ erweisen sie sich als Meisterinnen der Stille. Musik, die in langsamen Schritten an einem Strand entlangzuschreiten scheint, Rauschen und Möwengeschrei inbegriffen. Die schnelleren Nummern entstammen der argentinischen Musik des Chamamé. Sie singen nicht nur auf Englisch, Spanisch und Französisch, da klingt mal Klezmer an oder gar ein Stück der Doors. Insgesamt sorgt gerade die Reduktion des Instrumentariums für eine intensive, ergreifende Atmosphäre.
Hans-Jürgen Lenhart

INTERNATIONAL

LEYLA McCALLA
A Day For The Hunter, A Day For The Prey
leylamccalla.com
(Jazz Village SP JV 9570116/PIAS, Rough Trade)
12 Tracks, 39:03


Genauso ungewöhnlich wirkt die ebenfalls Cello spielende Sängerin Leyla McCalla. Ihre Familie stammt aus Haiti, geboren wurde sie in New York, einen Teil der Jugend verbrachte sie in Ghana. Auch hier prägte der Lebenslauf die Musik. Da mischen sich haitianische Melodien mit Cajun, Gypsy Swing und Protestsong. Es  LEYLA McCALLA: A Day For The Hunter, A Day For The Prey entsteht ein eigenwilliger Kosmos, der irgendwo zwischen New Orleans und Haiti liegt, französische, kreolische und amerikanische Traditionen aufgreifend. Die von ihr gespielten Instrumente Cello, Tenorbanjo und Gitarre sorgen dafür, dass ihre Musik unverbraucht klingt. Der oft sehnsüchtige Gesang, der in der Intonation manchmal gar an Amy Winehouse erinnert, prägt den Charakter der Songs. Gerade ihr „Salangadou“, mit gezupftem Cello, hat eine fast sakrale Atmosphäre. Diese Art Folk braucht keine eindeutigen Wurzeln oder elektronischen Gimmicks, um innovativ zu wirken.
Hans-Jürgen Lenhart