Rezensionen der Ausgabe 2/2016
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GREN BARTLEY Magnificent Creatures grenbartley.com (Fellside Recordings FECD268) 11 Tracks, 43:53 , mit engl. Texten
Das dritte Album des englischen Singer/Songwriters und Gitarristen beginnt dramatisch und mit vollem Einsatz der Instrumente, ähnlich wie die gerade Rechte eines Boxers zur Eröffnung. Man schüttelt sich leicht benommen. Dann kommt ziemlich schnell ein wunderbares, zurückgenommenes Stück wie „Angels Fade“, und schon ist wieder klar, wo Bartleys Stärke liegt. Einschmeichelnde Melodien mit seiner ganz speziellen Stimme vorgetragen, unterstützt vom einfühlsamen Gesang von Julia Disney (Piano, Violine) und Sarah Smout (Cello), plus Lydia Glanville, die die Percussion mit großer Kraft ebenso wie mit zarter Hand spielen kann, und fertig ist Bartelys einzigartige Band. Bei den meisten Stücken sind im Studio noch Jim Sutton (Bass) und Matt Marks (Akkordeon) dabei. Langsam wird klar, wie Bartley und seine drei Damen arbeiten: Er schreibt und singt alle Songs, Glanville erarbeitet eigenständig die Percussion, und Disney und Smout kümmern sich um die Streicherarrangements. All das kommt dann abwechslungsreich zusammen, mal laut und ungestüm, mal vertrackt und manchmal als leiser Ohrwurm. Klingt eigentlich immer wie Bartley & Co., und ein größeres Kompliment kann man einem Künstler nicht machen. Mike Kamp
| THE BROTHERS NAZAROFF The Happy Prince hamburgklezmerband.com (Smithsonian Folkways SFW CD 40571, Galileo MC) 14 Tracks, 47:09
Nur wenig weiß man über Nathan „Prince“ Nazaroff (die Anführungszeichen gelten als Teil des Namens), der 1914 aus „Mitteleuropa“ in die USA kam und vierzig Jahre später bei Folkways das Album Jewish Freilach Songs herausbrachte. Vor etwa vier Jahren wurde dieses Album von Moses Asch neu als 30-cm-LP aufgelegt (FW 6809). Genug für den Wahlberliner Daniel Kahn (voc, acc), zusammen mit Michael Alpert (g, voc; Brave Old World), Bob Cohen (mand, voc; Di Naye Kapelye) sowie Kahns Painted-Bird-Kollegen Jake Shulman-Ment (viol) und Hampus Melin (dr), das gesamte Album als Brothers Nazaroff neu einzuspielen. So entsprechen gezielt die ersten neun Stücke genau der Reihenfolge des Originalalbums des „Prinzen“, Lieder, die den Zuhörer in die jiddische Welt von einst versetzen, mit Texten auf Jiddisch, Russisch oder auch Englisch. Lieder und Weisen, die auch in der neuen Welt bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts ein integraler Bestandteil osteuropäisch-jüdischen Lebens waren und letztlich einen Teil der Basis für das Klezmer-Revival ab etwa 1970 bildeten. Ein umfangreiches Begleitheft mit aufklärenden Essays und Liedtexten macht das gesamte Album zu einem Muss für Klezmer-Aficionados. Matti Goldschmidt
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CARA Yet We Sing cara-music.com (Artes CD ARCD 4050) 13 Tracks, 55:37 , mit ausführlichen Infos
Wieviel Power steckt in diesem fünften Streich der erfolgreichen deutschen Irish-Trad-Band um Ausnahmefiddlerin Gudrun Walther und Gitarrist Jürgen Treyz! Nach dem deutlich folkpoporientierten Album Horizon jetzt die Rückbesinnung auf die Kernkompetenz der Band, sound- und arrangiertechnisch exzellente, virtuos dargebotene traditionelle Musik aus Irland und Schottland. Lebendig traditionell heißt auch, sehr geglückte genretreue Neukompositionen, gutes Songwriting sowie Textvertonungen, die auch schwere Lebensthemen emotional und treffsicher aufgreifen. Hendrik Morgenbrodt (der „Neue“) – Shootingstar der hiesigen Uilleann-Pipes-Szene – lässt mit seinem rasanten, höchst beeindruckenden und empathischen Dudelsackspiel aufhorchen. Jürgen Treyz’ Liebe zur Dobro bekommt ihren Raum in einigen fast nach American Newgrass klingenden Tracks. Eine mutige Bearbeitung des legendären „Little Musgrave“ steht neben furiosen Reels wie etwa „Torrid Romance“ von Liz Carroll. Kim Edgars feine Stimme und ihre pointierten, dicht und trotzdem transparent mit der Gitarrenbegleitung und Rolf Wagels Bodhrán verwobenen Pianolinien vollenden diese wirklich wunderschöne Produktion. Oft anhören, es tauchen immer neue Zaubereien auf! Johannes Schiefner
| CARROUSEL L’Euphorie carrousel-musique.com (Jazzhaus Records/In-akustik) 13 Tracks, 41:10 , Booklet mit frz. Texten
Carrousel ist ein Folkpopduo aus der frankofonen Schweiz. Sophie Burande und Léonard Gogniat spielen eigene Songs. Folkpop heißt hier eher folkiger Pop als poppiger Folk. Die Songs würden als Straßenmusik sicher großartig funktionieren, zwei Stimmen, akustische Gitarre, dazu Einwürfe von Akkordeon oder Melodica. Bei ihrem dritten Album haben sie sich nun aber erstmals mit einem Produzenten zusammengetan. Und das war eine gute Idee. Jean-Louis Piérot hat den Sound des Albums so geschliffen, dass man sich jeden zweiten Song als Sommerhit vorstellen kann (und auch wünscht). Dem melancholischen Track „Le Virage“ hat er zum Beispiel eine sanft dahingestreichelte Funkgitarre zugemischt. Wunderbar. Burande und Gogniat leben im Schweizer Jura, Burande kommt aber ursprünglich aus der Auvergne. Kennengelernt haben sie sich über ihre gemeinsame Liebe zum Akkordeon. Schnell liebten sie sich dann aber auch gegenseitig. Und hoffentlich werden jetzt ganz viele ihr neues Album lieben. Christian Rath
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STEVE CRAWFORD & SABRINA PALM In Balance crawfordpalm.de (Eigenverlag) 11 Tracks, 50:37 , mit dt. Infos
Das Debütalbum der in Bonn lebenden Geigerin Sabrina Palm und des schottischen Sängers/Gitarristen Steve Crawford verlässt sich, fernab jeglicher im Studio addierten Produktionseffekte, auf das interpretatorische Können der Instrumentalisten und die musikimmanenten Stärken des Repertoires irischer und schottischer Tanzmusik. Der Fokus der gemeinsamen Arbeit liegt, wie auch der Albumtitel dokumentiert, auf musikalischem Gleichgewicht und Rhythmus – beides grundlegende Eigenschaften der ursprünglich als Tanzbegleitung eingesetzten Folkmusik beider nationalen Traditionen. So interpretieren Palm und Crawford die Reels, Jigs, und den schottischen Strathspey auf im besten Sinn konservative Weise, stellen die Melodie in den Vordergrund und statten sie mit sparsamen Arrangements aus, in denen die Gitarre die Geigenstimme harmonisiert und gleichzeitig Rhythmusinstrument ist. Die Auswahl der Tunes und Lieder ist bestechend. Hier reihen sich beliebte irische Traditionals an Eigenkompositionen von Palm und befreundeten Musikern (etwa von Fiddlemeisterin Liz Carroll oder von Mitgliedern der Band Gráda) und mischen sich mit Fundstücken einer schottischen Liedersammlung aus dem 19. Jahrhundert. Auch Crawfords Song „Hope Remains“ bereichert dieses in allen Belangen gelungene Album. Judith Wiemers
| DUO BOTTASSO Crescendo duobottasso.com (Eigenverlag/Galileo) 9 Tracks, 48:58
FILIPPO GAMBETTA Otto Baffi filippogambetta.com (Eigenverlag) 12 Tracks, 38:11
OI DIPNOI Bastrika narrator.hu (NarRator Records NRR143) 15 Tracks, 60:43
Wahre Weltreisen auf dem Organetto, dem diatonischen Akkordeon, versprechen drei neue Alben aus Italien. Otto Baffi, der Titel des neuen Werks von Filippo Gambetta, spielt eigentlich auf „Otto Bassi“, die acht Bässe seines Knopfakkordeons an. Die „ff“ der Schutzhülle stehen sowohl für „fortissimo“ als auch für „Bässe“. Lustvoll spielerisch führt die Reise des Genuesen von süditalienischen Tarantellen über die Auvergne bis zu einem brasilianischen Forro. Der Ligurer macht mit dem Organetto Tanzmusik, der er oft jazzige Skalen einwebt. Der okzitanische Teil des Piemonts beruft sich gerne auf die keltischen Wurzeln seiner Kultur, so auch das Duo Bottasso. Die Brüder Simone Bottasso (Organetto, Flöte, Saxofon) und Nicolò Bottasso (Violine) machen ebenfalls einen Abstecher nach Frankreich und Brasilien. Ihre Musik bewegt sich packend zwischen Folk, ernster Neuer Musik und Jazz. Für besondere Akzente sorgen die Aushängeschilder der sardischen Musikszene, die Sängerin Elena Ledda und der Saitenvirtuose Mauro Palmas. Dipnoi sind Lungenfische, lebende Fossilien. Die drei Sizilianer blasen frische Luft in die Lunge ihres Organetto und den Dudelsack und bewahren ihre Tradition vor einem Fossilisieren. Der Bass und eine akzentuiert eingesetzte Percussion geben dem in Ungarn aufgenommenen Album einen archaischen und auch experimentellen Touch. Die ungarischen Gäste sorgen mit Laute, Zither, Gesang und Blasinstrumenten für überraschende Akzente. Martin Steiner
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PIERS FACCINI & VINCENT SEGAL Songs Of Time Lost piersfaccini.com (No Format #24/Naïve/Indigo) Promo-CD, 13 Tracks, 40:42
„Esci Sole“ sangen die neapolitanischen Wäscherinnen einst frühmorgens, wenn die Sonne aufging. Achthundert Jahre alt soll das mystische Lied sein. Ein passender Auftakt für eine Rückblende auf die fünfundzwanzigjährige musikalische Freundschaft des englisch-italienischen Sängers und Gitarristen Piers Faccini mit dem französischen Cellisten Vincent Segal. Wenn Piers Faccini englisch singt, erinnert seine ruhige, warme Stimme an Nick Drake oder den frühen Bert Jansch. Vincent Segal setzt sein Cello nicht selten pizzicato als Leadgitarre oder Bass ein. Über allen Liedern schweben eine sanfte Melancholie und verhaltene Freude. Die Songauswahl reicht von Eigenkompositionen bis zu „Make Me A Pallet On Your Floor“ von Mississippi John Hurt oder „Quicksilver Daydreams Of Maria“ von Townes Van Zandt. Neapolitanisch und Kreolisch gesungene Lieder bereichern den Klangkosmos des Duos. Die Zeit, in der die Stücke entstanden, mag verloren sein, doch deren Interpretation auf dem Album ist zeitlos schön. Die Kollegen von Songlines wählten Songs Of Time Lost zu einer der schönsten CDs des Jahres 2014. Höchste Zeit also für den Folker, das kleine Juwel vor dem Vergessen zu bewahren. Martin Steiner
| FLOATSTONE Skipping Over Damaged Area floatstone.be (Eigenverlag FLTSTN 2015-001/Hemifrån) Promo-CD, 12 Tracks, 47:12
Hinter Floatstone verbirgt sich der Belgier Brick de Bois, über den ansonsten nicht sehr viel herauszufinden ist. Skipping Over Damaged Area ist sein zweites Album, bei dem seine schnittig gespielte akustische Gitarre im Mittelpunkt steht. Unter den zwölf Titeln fallen zwei Coverversionen auf, Songs von Ani Di Franco und Joni Mitchell. Das gibt die Richtung vor, in die sich de Bois bewegt. Folk von der Basis her, mit jazzigem Gefühl. Die Stimme von Brick de Bois ist nicht allzu einprägsam, etwas brüchig obendrein. Durch sein rhythmisches, kräftiges Gitarrenspiel macht er diese Schwäche jedoch wett. Gelegentlich erklingen im Hintergrund auch Schlagzeug und Percussion, die Akzente setzen, doch nie in den Vordergrund gemischt werden. Die Musik von Floatstone ist ohne Affekte und ohne Effekthascherei. Obendrein ist dieses Album aus recycelten Materialien hergestellt. Purer geht es eigentlich kaum. Michael Freerix
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BEPPE GAMBETTA & TONY McMANUS Round Trip beppegambetta.com tonymcmanus.com (Borealis Records) 11 Tracks, 48:32
Die beiden Steelstring-Großmeister treffen nicht zum ersten Mal aufeinander. Als Men of Steel waren sie bereits 2003/2004, ergänzt durch Dan Crary und Don Ross, auf Tour. Flatpicking versus Fingerstyle – so dicht, wie die Gitarrenlinien hier verflochten sind, ist kaum mehr auszumachen, wer das Plektrum führt und wer die fingereigenen Nägel. Glücklicherweise verfügen der Mann aus Genua und der heute in Kanada lebende Schotte neben einem Höchstmaß an Virtuosität über die entsprechende Musikalität, um die „Rundreise“ zu einem vollendeten Genuss werden zu lassen. Und das sicherlich nicht nur für Gitarristen, denn Gambetta entpuppt sich als souveräner Sänger, etwa in „Valzer Per Un Amore“, einem ganz zauberhaften Walzer aus der Feder von Fabrizio De André. McManus wechselt schon mal zur 36-saitigen „Pikasso“-Gitarre, einem voluminös klingenden Instrument der kanadischen Gitarrenbauerin Linda Manzer, das Pat Metheny vor Jahren erstmals einem staunenden Publikum präsentierte. Der Round Trip führt musikalisch durch Italien, Schottland, den Nahen Osten und den Wilden Westen. Wann haben sich Musiker je um Grenzen geschert? Rolf Beydemüller
| PEPE LUIS CARMONA HABICHUELA La Vida Llega facebook.com/pepeluis.carmonahabichuela (Nuevos Medios NM 15928/Galileo MC) 9 Tracks, 30:39 , mit span. Infos u. Texten
Nun, wo das Madrider Pionierlabel des Nuevo Flamenco nach dem Tod seines Chefs die Arbeit wieder aufnimmt, tritt auch ein früher Protagonist dieser musikalischen Modernisierungsbewegung wieder ans Licht. Der Cantaor trägt schon viel Flamencoschwergewicht und -geschichte im Namen. Der Sohn des Gitarristen Luis Habichuela kommt aus dem gleichen in Andalusien verwurzelten Clan wie die Brüder der revolutionären Madrider Flamenco-Fusion-Band Ketama, deren jüngere „Filiale“ La Barbería del Sur war. Nach der Erfahrung mit dieser von ihm mitgegründeten Band begab sich der Gitano auf eigene Wege und legt nun, siebzehn Jahre nach seinem Solodebüt, ein zweites Album vor. Man fühlt sich ein wenig in die Anfangszeiten jener Flamenco-Bilderstürmer versetzt. Der Mann verlässt sich auf sein von der Pike auf gelerntes Handwerk, versucht dabei offenbar nicht, das Rad der Geschichte großartig weiterzudrehen. Was nicht schlimm ist, denn dieser insbesondere ab den Achtzigern durch Jazz, Funk, Latin u. v. a. verjüngte Flamenco klingt für unsere Ohren ungebrochen frisch und zeitgemäß. Und wer von all dem nichts weiß, bekommt mit dem Album und seinen prominenten Mitwirkenden allemal einen guten Einblick in den zeitgenössischen, urbanen Flamenco. Katrin Wilke
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LUKE JACKSON This Family Tree lukepauljackson.com (First Take Records FTCD001) 7 Tracks, 28:48 , mit engl. Texten
Ist das eine kurze CD oder doch eher eine lange EP? Egal, Luke Jackson aus Canterbury, England, ist nicht mehr der Überraschungsteenager vergangener Jahre, das ist der Lauf der Dinge. Die Zeiten ändern sich und mit ihnen sich ihr Sound. Jackson hat jetzt eine feste Miniband, Andy Sharps (Bass, Begleitgesang) und Connor Downs (Percussion, Begleitgesang), und da Jacksons Gitarre nun häufig eine elektrische ist, hat das Album einen bluesigen bis dezent rockigen Klang. Das passt gut zu Jacksons Songs, die nie besonders leichtfüßig und optimistisch daherkommen. Caitlin säuft ihr junges Leben schön, die Brüder Joey und Jack entkommen ihrem kaputten Hintergrund nicht, und der andere Joey ist auch nicht glücklich darüber, dass seine Tochter unabhängig wird. Solche wenig erbaulichen Themen interpretiert Jackson mit seiner kräftigen und modulationsfähigen Stimme so intensiv, dass das Lied und sein Schöpfer immer im Zentrum stehen. Und live bringt er das notfalls auch mutterseelenallein ebenso überzeugend rüber. Älter ist Luke Jackson geworden, aber auch besser, er ist einfach saugut – und er hat noch unendlich viel Potenzial! Mike Kamp
| KAPELA MALISZÓW Mazurka niepojete – Inconceivable Mazurkas kapelamaliszow.com (Karrot Kommando KK79/Polskie Radio) 16 Tracks, 57:36 , mit poln. u. engl. Infos
Das Debütalbum der Kapela Maliszów ist ein Familienprojekt, und es ist ein Album voller polnischer Tanzmusik. Die von Familienvater Jan Malisz und Sohn Kacper selbst geschriebenen Mazurkas, Polkas, Polonaisen und Furtoks spiegeln alte polnische Folktraditionen, werden jedoch durch die junge Musikgeneration neu und aufregend interpretiert. „Als ich meinen Kindern die Oboreks aus der Region Pogórze beibrachte, waren sie unbeschriebene Blätter. Sie begannen die Musik auf ihre eigene Art zu spielen“, so Malisz. Es entstanden fröhlich-deftige Tänze im Mazurkastil, in sich kreisende Melodien voller Rhythmusverschiebungen, filigrane Geigenweisen mit pulsierender Akkordeonbegleitung und wehmütige Lieder zur Drehleier, die ihrerseits teilweise traditionellem Repertoire entnommen sind oder eigens komponiert wurden. Das virtuose Geigenspiel Kacpers wird bisweilen lautstark von seinen Mitspielern – wie bei einem deftigen Tanzvergnügen – angefeuert, und die klare Bruststimme von Tochter Zuzanna Malisz verleiht den ernsten Balladen besondere Strahlkraft. Die jugendliche Energie, Leidenschaft und ausgelassene Freude am Musizieren, gepaart mit der Potenz der Eigenkompositionen, machen dieses Album so stark. Judith Wiemers
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ANNE-MARI KIVIMÄKI Lakkautettu Kylä – A Closed Down Village annemarikivimaki.fi (Kihtinäjärvi Records K3JCD007) 12 Tracks, 46:54
Das ist buchstäblich Kino für die Ohren! Dieses komplexe Werk der Finnin ist Teil ihrer Doktorarbeit an der Sibelius-Akademie und behandelt Auflösung und Geschichte des karelischen Dorfes Suistamo während des Zweiten Weltkriegs. Heute gehört es zu Russland. Grundlage für diese vielschichtige Arbeit aus Kompositionen, Traditionals und gesprochenen Originalaufnahmen (auf Finnisch) ist eine Fotoausstellung über dieses Dorf. Als Inspiration dienten die Aufzeichnungen des karelischen Erzählers und Akkordeonisten Ilja Kotikallio (gest. 1961). Die Kompositionen erschaffen durch ihre dramatische Kraft die Bilder neu, sind eine hörbare Entsprechung des Sichtbaren und der Erlebnisse der Bewohner. Dabei kommen finnlandtypische Instrumente wie diverse Arten der archaischen Kantele und das Akkordeon ebenso wie die Stimmen der Musiker zum Einsatz. Beeindruckende künstlerische Umsetzung von Geschichte. Imke Staats
| ANNBJØRG LIEN Drifting Like A Bird annbjorglien.com (Heilo, HCD 7292) 9 Tracks, 34:54 , mit engl. u. norw. Texten
Bei der norwegischen Meistergeigerin ist es leicht zu vergessen, dass sie auch eine hervorragende Sängerin ist. Auf dem neuen Album zeigt sie, wie wunderbar sie beides verbinden kann. Mit zwei Ausnahmen hat sie alle Lieder selbst geschrieben, einmal benutzt sie eine traditionelle Melodie, einmal griff Kollege Niels Christian Geelmuyden zur Feder. Es geht langsam los, irgendwie traurig, ist schließlich auch ein Walzer, „Sailor’s Waltz“. Es geht um Abschied, klar. Sie singt einige Male auf Englisch (und da klingt sie, auch durch die von Roger Tallroth gelieferte Bouzouki-Begleitung, wie eine norwegische Anne Briggs). Das Englische geht mit dem Walzer los, aber diese Sprache liegt ihr nicht so ganz, ihr Gesang klingt unsicher und sehr zurückhaltend. Es wird gleich ganz anders, wenn sie dann auf Norwegisch loslegen kann. „Verrückte und Normale“ heißt ein Lied, das irgendwie Mut macht im alltäglichen Wahnsinn. „Shetland Bus“ heißt ein anderes, das den norwegischen Seeleuten gewidmet ist, die im Zweiten Weltkrieg norwegische Widerstandsleute und sonstige von den deutschen Besatzern gesuchte Menschen nach Shetland brachten. Der Abzählreim „Elle Melle“ klingt durch einen neuen Rhythmus und im Duett mit Cathy Jordan wie hebridisches Puirt a’bhéil. Ein sehr variiertes Album also, und durch und durch ein Hörgenuss. Gabriele Haefs
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RUNRIG The Story runrig.co.uk (Sony Music) Promo-CD, 11 Tracks, 48:26
Schwer vorstellbar, aber das ist offiziell das letzte Album der schottischen Folkrocker. Halt, nicht so ganz, denn die Betonung liegt auf Studioalbum, womit uns die Jungs wohl sagen wollen, Runrig hat noch nicht fertig! Der selbst gewählte Abschied auf Raten kommt für die Fans nicht völlig überraschend, schließlich ließen Runrig seit dem letzten Studioalbum neun Jahre ins Land gehen. Da liegen die Gründe quasi auf der Hand. Und wie gestaltet sich der Schlusspunkt einer großartigen, über vierzigjährigen Karriere, erstmals produziert vom jüngsten Gruppenmitglied Brian Hurren? Beim ersten Hören: Da hat sich jemand zu viele Gedanken gemacht, das ist überproduziert. Aber jedes weitere Abspielen der Songs legt eine weitere Schicht frei, man arbeitet sich sozusagen zum Kern der, natürlich überwiegend von den Macdonald-Brüdern geschriebenen, Lieder vor, und dann ist erneut alles da, was Runrig ausmacht, eingängige Songs voller Nostalgie, Drama und Pathos, englisch, gälisch und immer schottisch, mit Chor und Prague Philharmonic Orchestra, technisch topaktuell. Ein Track wie „The Place Where The Rivers Run“ fasst die vierzig Jahre als Rückblick auf den Anfang wunderbar zusammen. Was für eine Reise! Mike Kamp
| SIROCCO Amirim siroccomusic.org (Sirocco Music) 7 Tracks, 36:14 , mit engl. Texten u. Infos
Wer dieses Album hört und die Texte liest, wird zu allerletzt an Schweden denken. Doch von genau dort stammt dieses Ensemble, das ein beeindruckendes Debüt vorlegt. Wie der Wüstenwind Sirocco, der über das Mittelmeer nach Spanien weht, trägt die Formation seit 2009 traditionelle orientalische Musik in zeitgenössischer Form in die Welt. In ihrem Repertoire genauso wie als Band vereinen die vier Musiker mehrere musikalische Kulturen. Inspiriert durch die Zeit des mittelalterlichen Andalusiens, in der Juden, Araber und Christen friedlich miteinander lebten, interpretiert Sirocco traditionelle arabische und jüdische Lieder in Ladino oder Jiddisch auf höchstem Niveau. Die vier studierten Musiker Sofia Berg-Böhm (klassischer arabischer Gesang), Patrik Bonnet (Flamenco Gitarre), Robin Cochrane (westafrikanische Percussion) und Jonas Bleckman (Cello) verzieren ihre Arrangements allerdings mit zahlreichen weiteren Einflüssen wie skandinavischem Folk, Flamenco oder südamerikanischen Klängen. Auch wenn der hebräische Titel des Albums „Baumwipfel“ oder „Höhen“ bedeutet, ist die schwedische Formation noch längst nicht auf ihrem Gipfel angelangt. Erik Prochnow
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VILMA TIMONEN QUARTETT Drops vilmatimonen.com (Bafes’s Factory) 9 Tracks, 43:05 , mit engl. Infos
Vilma Timonen dürfte in Deutschland keine Unbekannte mehr sein, da sie bereits 2005 als Solistin und 2013 mit ihrer Band auf Einladung der Deutsch-finnischen Gesellschaft hier getourt ist. Timonen ist Dozentin an der Sibelius-Akademie, unter anderem für Global Music. Ihr Quartett wurde 2009 in Finnland für Forward in der Kategorie „Bestes Ethnoalbum“ ausgezeichnet. Timonen hat die elektrische Kantele als Ensembleinstrument etabliert. Sie offenbart einen erheblich größeren Variantenreichtum als das traditionelle Folkinstrument mit wenigen Saiten. Die Kompositionen und Liedtexte auf diesem inzwischen dritten Album stammen fast alle aus der Feder Timonens und sind von Jazz und Folk geprägt. Der außergewöhnliche Klang wird bestimmt von der makellosen mädchenhaften Stimme der Sängerin und der Kantele. Timonen beschreibt diese Musik als einen niemals endenden Fluss, wo die Geschichten seit dem Beginn der Zeit als Worte und Melodien fließen. Das ist bei den Texten, die man im Internet auf Finnisch und Englisch findet, gut nachvollziehbar. Es geht immer wieder um die ewigen Themen von Sehnsucht und Verlust. Ein Mädchen, das den Wind nach ihrem Liebsten fragt, die Mondgöttin, die flüchtige Geschenke verteilt. Bernd Künzer
| HERMAN VAN VEEN Fallen oder Springen hermanvanveen.com (Universal Music Group 00602547681539) Promo CD, 14 Tracks, 42:01
Wenn ich nach Hause in das kleine holsteinische Städtchen komme, nehme ich meist den Weg über die Hermannstraße. Als ich hier zum ersten Mal durchfuhr, kam mir ein Lied in den Sinn: „Herman, ruft ein Mann …“, und später: „… alles, was ich hab, ist ein Name nur, den hab ich von einem andern.“ Ein frühes Herman-van-Veen-Lied also. Ein Philosoph erzählt aus der Sicht eines Clowns, mal voller Lebensfreude, mal voller Melancholie. So gesehen ist er sich über die Jahrzehnte treu geblieben. Auf seinem neuen Album Fallen oder Springen geht er allerdings noch ein Stückchen weiter, ein Stückchen tiefer. Hier singt ein Herman, der im Herbst seines Lebens steht – na komm, sagen wir im Spätsommer. Es sind tolle Texte auf dem Album, teils mit dem Hermanschen Schmunzeln, aber auch ohne, denn es sind sehr ernste Themen dabei. Und es gelingen ihm und seinen Mitstreitern wunderbare Melodien. Bei einigen Stücken sagt man: Genau, so muss es klingen! Aber (verflixtes Wort) bei einigen (wenigen) Stücken wirken die Arrangements seltsam unfertig. Als fehlten noch zwei, drei Spuren. Vielleicht komme ich dem Geheimnis noch auf die Spur. Bis dahin verneige ich mich vor einem ganz Großen. Jörg Ermisch
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VÄRTTINÄ Viena varttina.com (Westpark) 12 Tracks, 47:05 , mit finn. u. engl. Texten
Värttinä ist die bekannteste Folkband Finnlands, Viena ist ihr dreizehntes Album. Von der Urbesetzung aus dem Jahr 1983 ist nur noch Sängerin Mari Kasinen dabei. Derzeit besteht die Band aus sechs Mitgliedern, drei Sängerinnen und drei Instrumentalisten. Viena enthält keine Ohrwürmer, aber gewinnt mit jedem Hören. Das neue Album ist bodenständiger als die meisten Bandveröffentlichungen der letzten zwanzig Jahre. Värttinä machen wieder Folkmusik im engeren Sinn, wobei der technisch starke und ausgefeilt arrangierte Gesang im Vordergrund steht. Verankert ist Värttinä wie immer in der Folkmusik Kareliens, einer grenzüberschreitenden Region in Ostfinnland und Nordwestrussland. Inspiriert hat die Band diesmal eine Reise nach Weißkarelien, das ist der nördliche Teil der russischen Republik Karelien. In dieser teilweise noch vormodernen Gegend trafen sie auch alte Musiker, deren Erbe sie sich nun umso mehr verpflichtet sehen. Zudem pflegen sie bereits ihr eigenes Erbe. Als letztes Stück auf dem aktuellen Album haben sie „Oi Dai“ neu aufgenommen, das Titelstück jener Scheibe, mit der Värttinä 1991 europaweit bekannt wurde. Etwas schwermütiger klingt es heute, aber es geht ja auch um Heimweh. Christian Rath
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