Rezensionen der Ausgabe 5/2015
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CHECKPOINT 303 The Iqrit Files checkpoint303.com (Kirkelig Kulturverksted, Indigo) 13 Tracks, 45:28 , arab. u. engl. Texte
Das Kollektiv Checkpoint 303 setzt mit seiner Klangcollage The Iqrit Files ein Mahnmal, erinnert an eine Tragödie aus Jahre 1948, bei der das palästinensische Dorf Iqrit im Verlauf des arabisch-israelischen Krieges zerstört wurde und seine Bewohner flüchteten. Ein schwieriges Unterfangen, zum einen, weil die Musik ohne ausführliche Informationen zu den Hintergründen wie ein experimenteller DJ-Remix anmuten kann, zum anderen, weil die Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern bis heute nicht beendet wurden. Das Besondere an diesem musikalischen Mahnmal: In seiner Vielstimmigkeit, den Worten, Gesängen und Klängen wiederholen sich rhythmisch die allgegenwärtige Bedrohung, der Verlust der Heimat und das Fehlen einer lebenswürdigen Zukunft, das Hörbild wird zum Aufschrei nach Menschlichkeit und Frieden. Hinsichtlich dieses Tenors ein Mahnen, das nicht oft genug erfolgen kann und hier auf klingende Weise zugleich aufwühlt und einnehmend wie bewegend berührt. So zitiert „My Homeland“ die Melodie des bekannten Volksliedes „Üsküdara“, das so viele Kulturen ihr eigen nennen. Wird das Lied gesungen, sind Text und Inhalt immer verschieden, die Melodie aber ist weltweit immer dieselbe. Stefan Sell
| MAJA & DAVID CPH-Café-YUL majandavid.com (GO’ Danish Folk Music GO0615) 11 Tracks, 44:51 , mit engl. Infos?
Maja Kjær Jacobsen ist Masterabsolventin der dänischen Musikakademie. Sie begann mit vierzehn, Geige zu spielen und später auch die Hardangerfiedel. Sie komponiert und ist Mitglied des Trios Fru Skagerrak und eines Trios mit ihrem eigenen Namen. Sie hat sich intensiv mit der traditionellen Musik ihrer Heimatregion, Zentral-Jütland, beschäftigt und plant hierüber ein Buch zu veröffentlichen. Der Komponist und Fiddler David Boulanger kommt aus Québec und ist unter anderem Mitglied der legendären Folkband La Bottine Souriante. Das dänisch-kanadische Duo spielt seit 2012 zusammen und hat in kurzer Zeit mit ihrem phänomenalen Zusammenspiel die Zuhörer fasziniert und die Bühnen erobert. Gleich nach dem Erfolg ihres noch über Crowdfunding finanzierten Debüts Nord (2013) produzierten sie das vorliegende Album. Auch bei diesem stehen die Fiddles im Mittelpunkt, wobei die Melodiestimme meist von Jacobsen gespielt wird, während Boulanger eine unglaublich schöne Begleitung auf den tiefen Saiten erklingen lässt. Daneben gibt es mehrere Gesangseinlagen und natürlich das frankokanadische Foot Tapping. Das gesamt Werk ist eine Mischung aus traditionellen Melodien und Eigenkompositionen der beiden Musiker. Die Texte sind auf der Website des Duos zu finden. Bernd Künzer
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NOA Love Medicine noasmusic.com (MW-Records MWCD 1027) 12 Tracks, 43:25 , mit engl. Infos u. engl., hebr., span. Texten
Vor über fünfundzwanzig Jahren traten Achinoam Nini, so der Name, unter dem Noa in Israel bekannt ist, und Gil Dor, Komponist, Gitarrist und Produzent, ein erstes Mal gemeinsam in der Öffentlichkeit auf. 1991 erschien Noas erstes Album. Ein knappes Vierteljahrhundert später ist es nun bereits das vierzehnte sein. Wie von Beginn an, konzentriert sich das Repertoire Noas auf zwei Märkte, zum einen auf Israel, wo ein Erfolg im Wesentlichen nur mit Liedern in hebräischer Sprache möglich ist. Zum anderen ist die in New York aufgewachsene und fließend englisch sprechende Sängerin auf dem außerisraelischen Markt aktiv, darunter vor allem in den USA, Deutschland und Spanien. So gehört das vorliegend Album eindeutig zu Letzterem, ist doch nur eines der dreizehn Lieder, „Schalom“, in hebräischer Sprache. Weitere neun Liedtexte stammen von Noa selbst, allesamt in Englisch, während die Musik zum Großteil gemeinsam von ihr und Dor komponiert wurde. Gewagt, aber trotzdem gelungen, ist die Coverversion von „Eternal Flame“, ein weltweiter Nummer-eins-Hit der Bangles aus dem Jahr 1989. Herausragend vielleicht „You“, das Noa im Duett mit dem spanischen Liedermacher Joaquin Sabina singt. Matti Goldschmidt
| SOLODEGUITAR Covered With Love/Reprises Par Amour solodeguitar.com (Acoustic Music Records, Rough Trade) 15 Tracks, 49:36 , Bonus: 50 Fotos
In Montepellier mit dem wunderbaren Namen Solo Razafindrakoto geboren, wuchs Solorazaf in seiner Heimat Madagaskar auf und kehrte mit zweiundzwanzig nach Frankreich zurück. Er wurde schon bald zu einem gefragten Sideman. Fünfzehn Jahre ist er in der Miriam Makeba Band. Kein Wunder, dass ihm auf seinem außergewöhnlichen Coveralbum mit „Pata, Pata“ eine der liebevollsten Hommagen an Makeba gelungen ist. Sein Scatgesang weht wie ein Windhauch, sein perkussives Spiel perlt wie Regentropfentrommeln und sein kunstvoll jazzig, immer afrikanisch verwurzeltes Spiel auf den Saiten seiner einzigartig dreieckigen Gitarre bezirzt vom ersten Ton an. Solorazaf spielt so locker leicht, als spiele er eine Triangel, die alles Umkreisende mit ihren Eckpunkten berührt und ihre unfassbar polyfon-rhythmischen Klänge aus dem schallenden Innenkreis in die Welt entlässt. Fast die Hälfte der Stücke sind von Jimi Hendrix, sommerlich heiter, sanft berührend variiert. Ferner Marvin Gayes „What’s Going On“ und eine fantastisch leichtfüßige Version des meistgecoverten Beatles-Stücks „Yesterday“. Flirrend-flirtend, beglückend faszinierend dreht und dreht sie sich: das Gitarrenalbum des Jahres! Es wird uns diesen heißen Sommer in Herbst und Winter hinüberretten. Stefan Sell
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VIBRATANGISSIMO Voyage À Buenos Aires – Live vibratangissimo.de (Big-Tone-Records, BTR 0615) 11 Tracks, 76:54 , mit engl., dt. Infos u. vielen Fotos
Im Rahmen des zwanzigjährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft im November 2014 macht die Berliner Kulturverwaltung ihrer argentinischen Partnerin ein besonderes Geschenk, indem sie als musikalischen Gruß ein modernes Tangoquartett aus Berlin nach Buenos Aires schickt, mit Musikern, deren Lebensläufe sich wie ein Konzentrat der Geschichte des letzten Jahrhunderts lesen. Juan Lucas Aisemberg (Bratsche) wurde 1967 als Kind argentinischer Eltern in Budapest geboren, wuchs in Italien auf, studierte in Rom, Gstaad (Schweiz) und Berlin. Tuyêt Pham (Piano) wurde in Paris als Kind vietnamesischer Eltern geboren und kam zum Studium nach Berlin. Oli Bott (Vibrafon) und Arnulf Ballhorn (Bass) sind Deutsche mit allerdings nicht minder abenteuerlichen Entwicklungswegen. Das Album der vier klassisch ausgebildeten Musiker (plus César Nigro an der Gitarre auf Track 6) ist ein Livemitschnitt zweier Konzerte im Anschluss an die Reise in der Kunstfabrik Schlot in Berlin. Zu hören sind Titel von Alberto Ginastera, Astor Piazzolla, Ariel Ramírez, Horacio Salgán und Oli Bott, arrangiert von Juan Lucas Aisemberg. Zu hören ist auch die hohe Musikalität in Arrangement und Ausführung, die spieltechnische Perfektion, der Anspruch. Zu spüren ist aber auch die Distanz zum lebendigen Tango als Tanz. Cathrin Alisch
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FATAU KEITA & THE NAAWUNI BIE BAND Selina fataukeita.com (copam nma 805) 9 Tracks, 49:24 , mit engl. Infos
Das in Accra ansässige Goethe-Institut hat Wort gehalten und nach dem Album Tu Na Me Nsa der Ghana Bigshots eine weitere junge Band mit einem CD-Projekt gefördert. Diesmal steht der Gitarrist, Sänger und Songschreiber Fatau Keita im Fokus. Der ist gerade mal achtundzwanzig Jahre jung, stammt aus Tamale im Norden Ghanas, singt seine Songs inbrünstig mit einer ungewöhnlich rauen und reifen Stimme, dass einem die Spucke wegbleibt. Die Basis bildet erwartungsgemäß der Highlife, doch wird der durch Rock- und Funkelemente angereichert. Keita nennt als seine Vorbilder unter anderem Salif Keita, Fela Kuti, Angélique Kidjo und Osibisa. Die Texte sind in verschiedenen Sprachen abgefasst wie Dagbani, Hausa, Twi, drehen sich um Liebe und Harmonie und gegenseitige Achtung. Der Opener „Africa“ preist die Kulturen des Kontinents, geißelt aber auch die angebliche Neigung, Konflikte kriegerisch „zu lösen“. Fatau Keitas 2012 gegründete Begleitgruppe (zu Deutsch „Kinder-Gottes-Band“) setzt sich zum Teil aus noch jüngeren Musikern und Sängerinnen zusammen. Bemerkenswert wie bestens diese Truppe aufeinander eingespielt ist. Der eingängige und gut tanzbare Musikmix ist aus einem Guss, professionell (vom Künstler selbst) produziert. Alle Achtung! Roland Schmitt
| MOH! KOUYATÉ Loundo (Un Jour) mohkouyate.com (Folison811) 14 Tracks, 60:40 , mit franz. Infos
Das (neue) Ausrufezeichen hinter dem Spitznamen (den er seiner Oma verdankt) signalisiert eindrücklich: Jetzt komm’ ich! Moh(ammed) aka Mamadou Kouyaté wurde 1977 in Guinea in eine traditionelle Griotfamilie geboren. Sein weiterer Weg war klar vorgezeichnet: aufzuwachsen mit den Geschichten seines Klans, mit den Musiktraditionen seiner Familie und seiner Heimat. Klar, dass bei seinem Debütalbum auch einige Verwandte mit ihm Boot sind: Abdoulayé Koyaté an der Kora, Sekou Kouyaté an der (zweiten) Gitarre. Die Leadgitarre behält er (wie auch den Gesang) natürlich sich selbst vor. Sein Können auf derselben konnte Moh! auch schon mehrfach unter Beweis stellen, unter anderem bei Sessions für Fatoumata Diawara und mit US-Bluesman Corey Harris. Beeinflusst haben ihn einheimische Bands wie Bembeya Jazz, aber er hörte auch B. B. King, George Benson oder Jimi Hendrix. Entsprechend bedient sich Moh! Kouyaté bei Stilrichtungen aller Art: melodiösem Afropop, traditioneller Mandinge-Musik, Blues, Funk, Rock. In seinen nachdenklichen Texten preist er die Familienbande, verneigt sich vor seiner Mutter, beschwört den gegenseitigen Respekt unter den Menschen. In „Yarré“ fordert er eine bessere Politik für die Völker Guineas. Roland Schmitt
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SOUAD MASSI El Mutakallimûn wrasserecords.com (Wrasse Records WRASS330) 10 Titel, 40:08
Die aus Algerien stammende Sängerin meldet sich nach fünf Jahren mit einem neuen Soloalbum zurück. Für El Mutakallimûn hat sie tief in der kulturellen Schatzkiste gegraben und arabische Gedichte interpretiert – eine poetische Reise, die den Hörer bis ins sechste Jahrhundert zurückführt. Als „Genies, die Wunder hinterlassen haben“ bezeichnet Souad Massi die Dichter und überträgt ihre Begeisterung auf die Musik: Begleitet von tanzbarem Reggae, stürmischen Jazzrhythmen und westlichen Balladen, singt sie lyrische Melodien. Sie möchte das westliche Bild des arabischen Raums entzerren – die Texte liberaler Geistesgrößen sollen dazu motivieren, sich mit der arabischen Kultur auseinanderzusetzen. Fernab von politischen Grabenkämpfen möchte Massi zu einem musikalischen Austausch anregen. Das gelingt bei getragenen Songs wie „Saaiche“ ausgesprochen gut. Vor allem das Gitarrenspiel von Jean-Francois Kellner beeindruckt. Auf poppigeren Stücken, wie dem bläserdurchsetzten „Lastou Adri“ wirkt die Kombination aus arabischer Lyrik und westlichem Klang jedoch etwas gestellt. Allein für das ambitionierte Konzept des Albums verdient die Sängerin aber Anerkennung. René Gröger
| HINDI ZAHRA Homeland hindi-zahra.com (Parlophone 0825646136889) 11 Titel, 49:21
Wüstenrock meets Psychedelic – mit diesem Stilmix beginnt die französisch-marokkanische Sängerin. Doch zu behaupten, dass der Opener „To The Forces“ exemplarisch für den Sound ihres zweiten Albums steht, wäre glatt gelogen. Mit jedem neuen Titel wechselt Hindi Zahra die Genres, verweist auf andere Einflüsse und zieht den Hörer in eine eigene, sich ständig verändernde Klangwelt. Mal erinnert sie an Norah Jones, dann ist schemenhaft Jazzqueen Billie Holiday auszumachen, dann weicht dieses Bild prompt trippigen Szenen à la Portishead. Auf Homeland spiegelt sich die Umtriebigkeit der Sängerin wider: Zwei Jahre lang war sie weltweit auf Tour, bevor sie sich nach Marrakesch zurückzog, um die neuen Eindrücke zu verarbeiten. Aus dieser intensiven Introspektion heraus entstanden die Lieder. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass Zahra sie trotz verschiedenster Klänge im Inneren zusammenhält. Ihre Stimme schafft Brücken und verbindet die Songs über Genregrenzen hinweg. Ein brillantes Album, dass den Begriff „Weltmusik“ sprengt und gleichzeitig selbst definiert. René Gröger
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SAMANTHA CRAIN Under Branch & Thorn & Tree samanthacrain.com (Full Time Hobby FTH236CDP/Rough Trade) Promo-CD, 10 Tracks, 37:43
„Gefährliche Strömung“ würde wohl auf dem Warnschild stehen, denn unter der glatten Oberfläche, brodelt es gewaltig auf diesem Album. Die Stücke sind zurückhaltend, aber eindringlich arrangiert, und die akustischer Gitarre steht dabei im Zentrum einer bodenständigen, perlenden Produktion. Das ganze Album wurde in nur zehn Tagen komplett analog aufgenommen, Gitarre und Gesang waren meistens schon nach dem ersten oder zweiten Take im Kasten, erzählt Samantha Crain. Mit dem letzten Album Kid Face hat sie ihre Stimme und ihr Thema gefunden. Crain sieht sich als Protestsängerin, nicht im Sinne einer Joan Baez, sondern mit den Mitteln der feinen Beobachterin ihrer Umgebung, ihre Texte sind geschrieben aus der Perspektive der 99 Prozent, die sich mit dem alltäglichen Leben herumschlagen müssen und die, wenn man zuhört, ihren Protest ebenso bestimmt äußern. Gesanglich lotet sie in den zehn Stücken die Möglichkeiten der Brechung und Phrasierung aus, um die Nuancen der Texte freizulegen, und sie hat den Mut, dessen es bedarf, um derart frei und offen zu singen. Wie gesagt, der Sog liegt unter der Oberfläche, und in diesem Fall darf man sich ruhig einmal mitreißen lassen. Dirk Trageser
| VINCENT CROSS A Town Called Normal vincentcross.com (Eigenverlag/Hemifran) 12 Tracks, 35:53 , mit engl. Texten u. Infos
Folk, Indiepop, Americana mit einer dominierenden Bluegrassnote, so könnte man das dritte Album des in Dublin geborenen, in Australien aufgewachsenen und heute in New York lebenden Vincent Cross beschreiben. Wunderbare Stücke mit hohem Wiedererkennungswert, die auch alleine mit Gitarre und Gesang bestehen können, hier aber – vornehmlich mit Kontrabass, Mandoline, Schlagzeug und einem klangprägenden Banjo – verfeinert werden. Der Gesang, ausdrucksstark und markant, hat das für Bluegrass typisch Näselnde und wird meist von einer hohen zweiten Stimme begleitet. Trotzdem klingt die Produktion weniger rootsmäßig als zum Beispiel bei der Old Crow Medicine Show, die in ähnlichem Fahrwasser schwimmen. Der Klang ist ungemein warm und dicht und bleibt doch leicht und geschmeidig. Die Arrangements sind kleine Kunstwerke, die erst nach und nach ihre Besonderheiten offenbaren. Dies ist vor allem dem quicklebendigen Bass von Max Johnson und dem Banjo von Bennet Sullivan zu verdanken, die bei den meisten Stücken mitspielen und viel zum ohnehin hohen Standard beitragen. Dirk Trageser
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FRAZEY FORD Indian Ocean frazeyford.com (Nettwerk Records 067003103428/Soulfood) 11 Tracks, 47:00
Mit einem Riff auf ihrer akustischen Gitarre beginnt das ehemalige Mitglied des Folktrios The Be Good Tanyas ihr zweites Soloalbum, doch was dann kommt, entfernt sich weit von dem, was Ford seit gut zwanzig Jahren an Musik macht. Sie hat sich auf Indian Ocean mit Soullegenden wie den Brüdern Teenie und Leroy Hodges zusammengetan, um den Soul im Folk zu suchen – oder den Folk mit Soul zu tränken. Rauchig ist die Stimme der Kanadierin, was ihren Songs einen besonderen Charme verleiht. Historisch war das Aufnahmestudio von Indian Ocean: die Royal Studios in Memphis, in denen schon Al Green Hits wie „Let’s Stay Together“ aufnahm, bevor er sich dem Gospel zuwandte und Prediger wurde. Die Musik von Ford hingegen hat nichts Predigerhaftes, sie ist mit ihrer Mischung aus Soul, Folk und Gospel ein offenes Angebot an die Sinne und modern jenseits von modisch. Ford erkundet neues Terrain, indem sie sich tief vor der US-amerikanischen Musikgeschichte verneigt und als Weiße vom Gefühl her grundschwarze Songs schreibt. Ihr Blues widmet sich dabei voll und ganz der Liebe und der Sehnsucht. Michael Freerix
| GIANT SAND Heartbreak Pass howegelb.com (New West Records NW6319/ADA/Warner) 15 Tracks, 49:29 , mit engl. Texten u. Infos
Nach der Giant-Giant-Sand-Inkarnation von 2012 nennt Howe Gelb sein Bandprojekt nun wieder Giant Sand. Rund dreißig Alben hat er mit seinem Alt.-Country-Aushängeschild seit 1985 veröffentlicht, neben rund dreißig weiteren mit anderen Projekten. Gemeinsam ist allen ihr ewiges Oszillieren über die gesamte stilistische Palette zeitgenössischer Rock-Americana. So auch auf Heartbreak Pass nun wieder, zu dem neben der aktuellen Bandbesetzung auch zahlreiche Weggefährten der letzten dreißig Jahre beitrugen, von Winston Watson über John Parish bis zu Gelbs Tochter Talula. Echtes Leben in punktuellen Vignetten; keine zwei Stücke, die dem Album einen kohärenten Stil verleihen würden – aber zusammen entsteht wieder unverwechselbar Giant Sand. Hier heftiger, da sanfter; hier schlichter, da üppiger; hier Rock, da nahezu Kunstlied; hier wie ein Wiegenlied, da reinster Noise. Gebündelt werden die heterogenen Kräfte von der selbstbewussten Zerbrechlichkeit, die Howe Gelb eignet. Seinem nahezu vollständigen Verzicht auf große Gesten. Und der charakteristischen Anmutung von Größe und Weisheit, die Gelbs und Giant Sands Werken gerade durch diesen Verzicht erwächst – mit um so mehr Substanz und Nachhaltigkeit. Christian Beck
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HEATHER NOVA The Way It Feels heathernova.com (Embassy of Music BMD-1172302/Warner) 12 Tracks, 58:38 , mit engl. Texten u. Infos
Bereits seit den 1990er-Jahren ist Heather Nova in der Szene von Rock, Alternative und Folk ein Begriff. Gekonnt wie keine andere Künstlerin hat sie es geschafft, klassische Instrumente wie das Cello im Rockbereich zu etablieren. Nachdem ihr Debütalbum weltweit Erfolg verzeichnen konnte, riss die Erfolgsstory nicht ab. Ihr neues Album, das im Mai dieses Jahres erschienen ist, verbreitet wieder die typische Popfolk-Atmosphäre, für die Nova bekannt ist. Natürlich hat sie wieder all ihre Songs selbst geschrieben, sodass ein Album voller Emotion, ein wenig Melancholie und jeder Menge Authentizität entstanden ist. Heather Nova hat die Platte explizit als Album entwickelt, das die Hörer mit auf eine Reise nehmen möchte. Es werden Geschichten erzählt, die das Innere der Sängerin offenbaren und den Zuhörer gefangen nehmen. The Way It Feels sorgt für stimmungsvolle Stunden, Minuten oder auch nur Momente, in denen nichts verlangt oder gefordert wird und sich doch ganz viel im Inneren abspielt. Claudia Niedermeier
| MANDOLIN ORANGE Such Jubilee mandolinorange.com (Yep Roc Records YEP-2417/Cargo Records) Promo-CD, 10 Tracks, 36:09
Es gibt Alben, die packen einen vom ersten Ton an, und es gibt solche, deren Wirkung entfaltet sich erst nach und nach, weil sie kein oberflächliches Aufsehen erregen, sondern mit der Zeit in die Tiefe wirken. Zu dieser Kategorie zählt die zweite Veröffentlichung von Mandolin Orange, dem Duo aus North Carolina. Emily Frantz und Andrew Marlin spielen diverse Instrumente, mischen auf geschmackvolle Weise akustische Gitarren, Mandoline, Fiddle, Clawhammer-Banjo und E-Gitarre, gelegentlich kommt ein sanftes Schlagzeug hinzu. Oft genug umschmeicheln sich Gitarre und Mandoline und weben ein atmosphärisch dichtes Geflecht. Das klingt nach alter Folk- und Bluegrass-Schule, und tatsächlich gehören Leute wie Tim O’Brien und Norman Blake zu ihren Helden. Doch Mandolin Orange haben ihren eigenen Weg gefunden. Die Songs sind von Melancholie durchzogen, lassen Bilder von Landschaften entstehen, erzählen über Freundschaft, Heimat, das Vergehen der Zeit. Trotz ihrer jungen Jahre scheinen sie immer daran zu denken, dass alles endlich ist. Kleine Melodien prägen meist kurze Nummern, die keine endlosen Geschichten erzählen, sondern Schlaglichter werfen. Den Rest denke sich jeder selbst. Volker Dick
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MR. SUN The People Need Light mrsunband.com (Compass Records 7 4647 2) 11 Tracks, 59:53 , mit engl. Infos
Das erste Stück „The Likes Of You“ kommt irgendwoher und verschwindet später auch im Nichts, aber dazwischen nutzen vier erstklassige Musiker gleich zu Beginn die Gelegenheit zu einer kleinen Demonstration ihrer Virtuosität und Musikalität. Besonders Bassist Ethan Jodziewicz hängt sich voll rein, ein Schüler Edgar Meyers, dessen Fähigkeiten im Quartett mit den drei weiteren Hochkarätern nochmals deutlich leuchten. Die Kollegen sind Darol Anger an der Fiddle, Joe Walsh an der Mandoline und Grant Gordy an der Gitarre. Allesamt Namen, die im Feld der akustischen Musik zwischen Bluegrass und Jazz hohes Ansehen genießen. Dass sie drei Musikergenerationen umspannen, gibt dem Projekt Mr. Sun zusätzliche Raffinesse. Jazzstandards wie „After You’ve Gone“ und „If I Were A Bell“ stehen neben Eigenkompositionen wie Angers „Key Signator“ oder „Ben’s House“, geschrieben von Grant Gordy – eine jazzige Ballade, harmonisch vertrackt, mit schwebenden Passagen und feinfühliger Dynamik. Wie schreibt Darol Anger in den Liner Notes zum Titelstück? „Die beseelte Kraft der von Hand gefertigten Saiteninstrumente scheint auf die Menschen und wärmt sie wie ein Feuerchen in einer Berghütte.“ Stimmt. Volker Dick
| OLD MAN LUEDECKE Domestic Eccentric oldmanluedecke.ca (True North Records TND505) 14 Tracks, 45:41 , mit engl. Texten
Old Man Luedecke ist kein alter Mann. Eigentlich heißt er Chris mit Vornamen, ist Nachfahre norddeutscher Einwanderer und lebt in der kanadischen Provinz Nova Scotia. Mit seinem Künstlernamen Old Man Luedecke kann er jedoch in der Folkszene steinalt werden, zumal seine Old-Time-gefärbten und banjodominierten Songs eher von der zurückgelehnten Sorte sind. In Kanada ist er damit ausgesprochen erfolgreich und sammelt Juno Awards und ähnliche Preise en masse. Aufregend ist das nicht, soll es auch nicht sein. Banjo, Gitarre, Fiddle, Bass und Mandoline bestimmen den Sound, der von Luedecke und Tim O’Brien produziert wurde, und die Lieder drehen sich oft auf manchmal leicht verschrobene Art um persönliche und häusliche Themen. Von einem Album mit dem Titel Domestic Eccentric erwartet wohl auch niemand eine profunde Kritik der Rolle der USA im Nahen Osten. Wer zum Kosmos Old Man Luedeckes Zugang findet – und so schwer ist das nun wirklich nicht –, der entdeckt einen sympathischen Zeitgenossen mit unaufgeregten Liedern. Ist doch auch schön, oder? Mike Kamp
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JON REGEN Stop Time jonregen.com (Membran/Sony, CD 234012) 10 Tracks, 38:21 , mit engl. Texten u. Infos
Der New Yorker Pianist und Singer/Songwriter zeigt auf seiner fünften Scheibe nach dem erfolgreichen Album Revolution vor vier Jahren enormes Feingefühl für die passenden Töne und dazu die richtigen Sätze. Jon Regen hat das Timing und das Soulfeeling, das es braucht, um den Hörer in den Bann zu ziehen. Mit samtweicher und zugleich fordernder Stimme interpretiert er Melodien, die nicht mehr aus den Kopf gehen. Dieser Künstler geht seinen Weg. Seine Touren führten ihn bereits durch die ganze Welt. In Deutschland war er unter anderem umjubelter Gast beim Berliner Jazzfestival. Titel wie „I Will Wait“ und „Morning Papers“ hinterlassen durch Herz und Humor bleibenden Eindruck. Bei einigen Titeln wird Jon Regen von Davey Faragher am Bass und Pete Thomas am Schlagzeug zurückhaltend und passend unterstützt. Regens Stimme und sein Spiel sind vergleichbar Spiel mit Größen wie Randy Newman oder auch Bruce Hornsby. Ein intelligenter Musiker, der uns sicher noch lange etwas erzählen wird. Ehrfurchtsvoll und gerne hören wir zu. Annie Sziegoleit
| CHRISTOPHER PAUL STELLING Labor Against Waste christopherpaulstelling.com (Anti Records ANTI 2410-2/Indigo) 10 Tracks, 40:46
Auf der einen Seite stellt sich Christopher Paul Stelling mit seinem flinken Fingerpicking auf seinem dritten Album wie ein Mann alter Schule dar, der bereits in den frühen Sechzigerjahren begann. Seine Stimme ist rau, die Konzertgitarre zerschlissen, und Stelling singt wütende Lieder über die Gesellschaft in ihrem gegenwärtigen Zustand und gegen die Mechanismen in unserer auf Konsum basierenden Welt. Doch andererseits ist Labor Against Waste auch zeitgemäß und mit einem Bewusstsein für das gegenwärtige Musikpublikum produziert: zarte Streicherarrangements geben seinen Songs eine gewisse Weichheit, wo sie an anderer Stelle von vorwärtsdrängendem Schlagzeug und Bass angetrieben werden. Doch immer wieder schlägt seine Stimme ins Hysterische um, bricht ab, um eigenbrötlerisch auch ins vollkommen Stille abzudriften. Stelling scheint mit seinen dreiundreißig Lebensjahren von großen Widersprüchen – und von Widerspruchsgeist zur Gegenwartsgesellschaft – angetrieben zu sein. Seine Texte sind sehr poetisch, legen sich quer, meiden die direkte Aussage, die direkte Ansage. Auf den Songs von Labor Against Waste zeigt sich Stelling als ein Protestsongschreiber, der in Frage stellt, ohne vorzugeben, Antworten zu wissen. Wenig lakonisch oder sarkastisch, ist Stelling ein wütender Künstler, mit einer Wut, die diffus, doch mitreißend ist. Michael Freerix
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HAMILTON DE HOLANDA Bandolim hamiltondeholanda.com (MPS 0210346MS1P/Edel) 14 Tracks, 58:18
Der Bandolim ist die zehnsaitige brasilianische Mandoline. Wenn dieses Instrument zuletzt international bekannt wurde, dann ist es vor allem Hamilton de Holanda zu verdanken. Er hat es aus seinem traditionellen Kontext heraus weiterentwickelt. De Holanda zeigt, dass man damit im Grunde alle Stile und Spielweisen ausführen kann. Der Bandolim ist historisch sehr dem Choro verbunden, de Holanda kooperiert aber lieber mit Musikern, die dafür untypisch sind. Auf dem Album sticht dabei besonders der Harmonikaspieler Gabriel Gross hervor, de Holanda spielte aber auch oft mit bekannten Pianisten zusammen. Das vorliegende Album ist eine Kompilation aus vier seiner Alben und sollte helfen, ihn hierzulande bekannter zu machen. In Brasilien zählt er zu den einflussreichsten Instrumentalisten und hat dort bereits achtundzwanzig Alben veröffentlicht. Ein kreativer Tausendsassa also, der das brasilianische Pendant zum amerikanischen Mandolinenpapst David Grisman ist. Entsprechend hört man in seinen Stücken nicht nur brasilianische Stile wie Samba oder Choro, sondern auch Swing, spanische oder portugiesische Musik. Und de Holandas Virtuosität verführt schnell dazu, das Wort „unerreicht“ zu benutzen. Hans-Jürgen Lenhart
| MONSIEUR PERINÉ Caja De Música mperine.com (Flowfish Records ff 0069/Broken Silence) 15 Tracks, 51:33 , mit span. Infos u. Texten
Schon bei den Konzerten der letzten, der zweiten Europatour dieser jungen Durchstarter aus Bogotá zeichnete sich ab, dass sich ihr reizvolles, kolumbianisches Swing-Jazz-Folklore-Patent schnell um weitere, weltweit eingesammelte Einflüsse erweitern würde. Der Nachfolger des gefeierten Debüts wurde von Eduardo Cabra von der puerto-ricanischen Band Calle 13 produziert und ist dem Namen gemäß eine wahre „Musikbox“, die verschiedenste Atmosphären und viele neue Stilverquickungen birgt. Die siebenköpfige Band um die charmante, außer spanisch auch französisch singende Catalina García entpuppt sich als mittlerweile musikalisch noch sattelfester und noch weltgewandter. Man tut sich für die hier und da dezent elektrifizierte, grundsätzlich weiterhin akustische Melange diesmal auch mit Streichern von Puerto Ricos Sinfonikern sowie weiteren singenden Gästen zusammen wie dem dominikanischen Soulbarden Vicente García im swingenden Opener „Nuestra Canción“ oder im mehr gen Reggae pendelnden „Cempasúchil” mit Rubén Albarrán von Mexikos renommierter Band Café Tacvba. Die Sammlung der diesmal fast durchweg eigenen Kompositionen ergibt eine Farbenpracht wie die der CD beiliegenden bunten Zettel mit den Liedtexten. Katrin Wilke
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