Rezensionen der Ausgabe 1/2015
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DIVERSE Poem – Leonard Cohen in deutscher Sprache www.checkyourhead.de (Columbia/Sony) 17 Tracks, 79:19 , mit dt. Texten u. Infos
Er wird zu Recht in einem Atemzug mit Neil Young, Bob Dylan und Townes Van Zandt genannt: der Poet und leise Rebell Leonard Cohen. Anlässlich seines achtzigsten Geburtstages erschien nun, quasi als Verbeugung vor diesem bedeutenden Künstler, das Album Poem – Leonard Cohen in deutscher Sprache. Der Berliner Autor, Übersetzer und Songschreiber Misha G. Schoeneberg hat siebzehn Songs des kanadischen Singer/Songwriters ins Deutsche übertragen und von Künstlern wie Karsten Troyke, Max Prosa, Tim Bendzko, Anna Loos, Jan Plewka, Manfred Maurenbrecher, Nina Hagen, Reinhard Mey und anderen interpretieren lassen. Herausgekommen ist eine bemerkenswerte Anthologie, die einige echte Songperlen offeriert. Ausnahmen: Das Castingduo Mrs. Greenbird benutzt allerlei elektronischen Schnickschnack, die Stimme von Steffen Brückner wirkt flach, die Kleinmädchenstimme von Partnerin Sarah Nücken nervt. Einige Beteiligte an dem Projekt nennen sich bezeichnenderweise Beautiful Losers. Ihre Version von „Hallelujah“ kann nur als Hinrichtung eines ursprünglich großartigen Songs empfunden werden. Dennoch: Der Titel Poem ist zutreffend, denn es ist tatsächlich vertonte Lyrik, die auf diesem insgesamt sehr besonderen Album zu Gehör gebracht wird. Kai Engelke
| ELEMENT OF CRIME Lieblingsfarben und Tiere www.element-of-crime.de (Universal Music Group/Vertigo Berlin) 10 Tracks, 37:15 , mit dt. Texten u. Infos
Die Klänge fließen entspannt und unaufgeregt dahin. Wie ein breiter Strom, der ruhig und kraftvoll seinem Ziel zustrebt, entfaltet die Musik eine nahezu hypnotische Energie, die tief ins Bewusstsein eindringen kann. Kein Instrument tritt mehr als nötig in den Vordergrund. Die Band agiert hochprofessionell und unangestrengt. Sven Regeners verhaltenes Spiel auf der gestopften Trompete setzt zusätzliche Akzente. Die Grundstimmung ist auf eine angenehme Weise melancholisch. Dazu singt Regener seine Texte, als sei er mal eben zufällig ins Studio hereingeschneit und formuliere nun, was ihm just in diesem Moment in den Sinn kommt. Natürlich ist es nicht so, aber genau darin besteht ja gerade die Kunst, nämlich das sorgfältig Durchdachte leichtfüßig und wie selbstverständlich klingen zu lassen. Wer kann es sich schon leisten, Zeilen wie die folgende in einem Lied unterzubringen: „Im Schwachstromübertragungsweg gibt es Durchleitungsprobleme …“? Regener kann es. Inhaltlich geht es meist um verlorene Liebe, enttäuschte Hoffnungen und bittersüße Erinnerungen. Sven Regener ist ein Musiker und Schriftsteller, der in seinen Texten zum Ausdruck bringt, was mit Worten häufig nur schwer zu sagen ist. Kai Engelke
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HAMBURG KLEZMER BAND Tunklgold www.hamburgklezmerband.com (Da Casa Records/Galileo MC) 13 Tracks, 62:55 , mit engl. Infos
Ganz fünf Jahre sollte es dauern, bis diese 2007 gegründete Formation aus Hamburg, wenn auch zwischenzeitlich mit mehreren Umformierungen, ihr nunmehr zweites Album veröffentlicht hat. Dabei handelt es sich hier nicht um, man möchte beinahe sagen „noch eine weitere deutsche Klezmerband“, sondern ganz im Gegenteil um Musik, die über die üblichen jiddischen Pfade eigene und vor allem auch mitreißende Wege geht. Stanislav Dinerman (acc), Kateryna Ostrovska (v, g), Mikhail Misha Manevitch (tuba), Christian Dawid (cl, fl, voc) und Stanislav (Jona) Rayko (viol) bringen in Stücken wie „In Ades“, „Borscht“ oder „Monastrishter“ den zeitgenössischen Klezmer wieder zurück zu seinen Ursprüngen: Einladend rhythmische Arrangements animieren zum Mittanzen. „Stiller Abend. Dunkelgold. Ich sitz beim Gläschen Wein. Was blieb mir noch von meinem Tag?“ – so beginnt der letzte Vers von Itzik Mangers (1901-1969) Gedicht, das er natürlich in jiddischer Sprache schrieb, und „dunkel“ ist mit „tunkl“ zu ersetzen, wie im Titel des Albums. Bemerkenswert in Verbindung mit Mangers Träumereien sind in jedem Fall die dem Booklet beigefügten Gemälde Pavel Ehrlichs, die das in allem stimmige Album abrunden. Weiter so! Matti Goldschmidt
| KÖSTER/HOCKER Kumm jank www.gerd-koester.de (GMO – The Label 049-2/Rough Trade) 13 Tracks, 59:34 , mit Texten
Besinnliches trifft auf Belachbares, Melancholie auf Lebensfreude – so sind sie, die Kölschen. Immer gepolt zwischen extremen Befindlichkeiten. Wie „Yin und Yangk“ sind seit über 25 Jahren auch Gerd Köster und Frank Hocker. Einer ist ohne den anderen kaum vorstellbar. Der eine, Köster, ist einer der genialsten Texter, den die Kölner Mundartszene derzeit vorzuweisen hat, mit untrüglichem Gespür für Themen aus dem kölschen Milieu und einem scharfen Blick für die skurrilen und absurden Aspekte des Lebens. Der andere, das Yangk sozusagen, ist der kongeniale Komponist und Gitarrist Frank Hocker, der es immer wieder versteht, Kösters Texten die Melodien silbengenau maßzuschneidern und sie in ein sehr abwechslungsreiches Gewand aus Folk, Blues und akustischem Rock zu kleiden, zu „Kölschangsongs“ jenseits jeglicher Schunkelseligkeit. Das dynamische Duo wird vom fantastischen Friesen, dem Ex-BAP-Gitarristen Helmut Krumminga, zu einem trefflichen Trio erweitert, Buddy Sacher an der E-Gitarre, Thomas Flake am Bass und Roland Peil (Percussion) sowie Piet Haaser an den Tasten vervollständigen das Line-up dieses grandiosen Albums, auf dem es erstmals seit langer Zeit auch wieder eine neue Tom-Waits-Adaption, „The Long Way Home (Ömwääch heim)“, zu hören gibt. Schlicht genial! Ulrich Joosten
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CYNTHIA NICKSCHAS Kopfregal www.cynthiaandfriends.de (Sturm & Klang/Laut & Luise/Al!ve) 10 Tracks, 45:59 , mit Infos u. dt. Texten
Sie ist ohne Zweifel eine neue, kraftvolle Stimme aus der häufig geschmähten „Generation Merkel“. Cynthia Nickschas selbst tituliert ihre oft trägen Altersgenossen als „Generation Blöd“. Sie benutzt eine derbe Sprache, um ihre Wahrheiten auszudrücken. Ihr stimmliches Spektrum ist wirklich beeindruckend: Sie kann von zart bis hart, von rau bis weich; mal gibt sie die Elfe, mal die freche Punkgöre. Und alles durchaus glaubhaft. Ein ironischer Song über die Austauschbarkeit der Castingstars („Niveau“) kommt als Reggae daher; das Lied „Gedankensalat“ thematisiert das Ringen um den richtigen Weg; der Song „Verdummt genug“ ist ein verzweifelter Schrei gegen Dummheit, Ignoranz und Abgestumpftheit. Die von Manuel Randi virtuos gespielte Flamencogitarre gibt dem Song Tiefe und Glaubwürdigkeit. Den Finger in Wunden zu legen, ist absolut richtig; doch gleichzeitig Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen, kann schnell in Banalität münden: „Alles, was du weißt, ist nur ein Bruchteil von dem, was dir bevorsteht, bis dein Weg zu Ende geht.“ Na ja … Aber eines ist völlig klar: Cynthia Nickschas hat das Zeug, frischen Wind in die deutschsprachige Liederszene zu pusten. Kai Engelke
| NOBODY KNOWS Kleinstadtrhapsodien www.nobodyknows.de (Prosodia 4280000827029) 13 Tracks, 43:30
Beim Betrachten des Covers denkt der Hörer: „Oh nein, das wird so eine moderne Liedermacherplattitüde.“ Dann hört man die ersten Töne und denkt: „Noch schlimmer, das wird ein Irish-Folk-Punk-Klon.“ Und dann zerreißt es einen vor Begeisterung. Auf zwölf Eigenkompositionen sausen die Musiker in bester Cochise-Manier durch die Schubladen und verbreiten Spielfreude, Humor und Lebensenergie. Man hört die Musiker durch ihre Instrumente lachen und bereitet sich mit ihnen auf den nächsten Schabernack oder auf die nächste große Party vor. Dabei ist das Etikett „Irish Folk Punk“ gar nicht so falsch. Aber auch nicht richtig. So wird die Folkband, die es immerhin seit 2003 gibt (wobei die Musiker jünger aussehen), von Zillo auf Mittelaltersamplern verwurstet. Die durchweg deutschen Texte sprengen ebenfalls jedes Klischee. Mit Rapunzel- und Wilhelm-Busch-Zitaten haben Nobody Knows auch einen eigenen Weg zur Coolness gefunden, der sich so wohltuend vom „Die-Stadt-ist-so-grau-aber-ich-liebe-dich-so-sehr“-Einerlei der neuen deutschen Kleinkunstszene abhebt. Sich mit einer Coverversion der großen Toss the Feathers zu verabschieden, grenzt an Angeberei. Nobody Knows bringen frischen Wind auf deutsche Bühnen und lassen dankbare Hörer zurück. Chris Elstrodt
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PETER TILCH Von Schönheit und Semmelknödeln – Chansons www.petertilch.de (TYXart/Chromart Classics TXA14048) 12 Tracks, 67:12 , mit Texten
Dass ein Künstler sich auf den großen und den kleinen Bühnen umtut, ist ungewöhnlich und verdient Beachtung. Peter Tilch ist als Bariton seit Jahren festes Ensemblemitglied am Landestheater Niederbayern, spielt außerdem Klarinette und tritt mit eigenen Kabarettchansons am Klavier auf. Da ist für eine ganz ausgezeichnete musikalische Grundlage schon mal gesorgt, und famose Musiker unterstützen ihn auf seinem Album zudem. Doch nicht nur musikalisch überzeugen die Lieder. Er ist ein sehr gekonnter und versierter Texter, der feinfühlig beobachtet und mit viel Witz seine Themen aufspießt. Sein genauer Blick erkennt ganz schön viel Oberflächliches. Macht Denken hässlich? Werden unserer Politiker immer schöner? Wie schön ist es, wenn man den ganzen Blödsinn nicht mehr hören kann? Wie verloren ist man, wenn man sein Handy verloren hat? Existenzielle Fragen mithin, da ist es gut, wenn man wenigstens eine ordentliche Rentenversicherung hat. Ganz wunderbar auch, wenn er das doch eher einfache Rezept für altbayrische Semmelknödel mit warmem Pathos singt. Ein Ohrenschmaus der besonderen Art, von dem hoffentlich noch einiges mehr in der Zukunft serviert wird. Rainer Katlewski
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