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Ausgabe 5/2014


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International
 ROSEMARY STANDLEY/DOM LA NENA: Birds On A Wire
ROSEMARY STANDLEY/DOM LA NENA
Birds On A Wire
www.moriartyland.net
www.domlanena.com
(Air Rytmo/broken silence)
15 Tracks, 56:40 , Booklet mit Texten


Dies ist die Zusammenarbeit der Sängerin Rosemary Standley und der Cellistin Dom La Nena. Standley singt normalerweise in der frankoamerikanischen Rootsband Moriarty. Die Brasilianerin Dom La Nena hatte 2013 ein erstes Soloalbum mit eigenen Songs veröffentlicht. Auf dem gemeinsamen Album Birds On A Wire finden sich keine Eigenkompositionen, sondern fremde Stücke und wenige Traditionals. Am bekanntesten ist „Bird On A Wire“ von Leonard Cohen, nach dem auch das Album benannt wurde. Die Vielfalt des Materials ist groß und reicht von Tom Waits über den Barock-Komponisten Henry Purcell bis zum Argentinier Atahualpa Yupanqui. Vielleicht ist die Bandbreite etwas zu groß, um ein stimmiges Gesamtbild zu ergeben. Erstaunlich ist, dass Rosemary Standley, deren warme intensive Stimme sonst immer so viel Souveränität ausstrahlt, bei manchen Songs eher tastend, ja zögerlich wirkt. Dagegen zupft und streicht Dom La Nena das Cello ohne Schwächen und schafft so Arrangements von anrührender Schönheit. Das Album ist auf Moriartys Bandlabel Air Rytmo erschienen und aufwendig gestaltet. Allerdings schielt das opulent illustrierte Büchlein mit beigelegter CD fast etwas zu offensiv auf den Einsatz als Geschenk.
Christian Rath



Afrika
 MAMY KANOUTÉ: Mousso Lou
MAMY KANOUTÉ
Mousso Lou
www.homerecords.be
(Homerecords 4446091)
13 Tracks, 55:47 , Songinfos in frz.


Was für eine Sängerin! Die Stimmgewalt einer Oumou Sangaré (von der es ebenfalls ein Album namens Moussolou gibt), eine Intonationssicherheit wie Youssou N’Dour und das stimmliche Charisma eines Bambino Diabaté. Mehr Lob geht nicht, und es ist verdient. Die Senegalesin war Backgroundsängerin bei Baaba Maal, der auch Gast ist im Titelstück. Mit acht Streichern und einem sechköpfigen Backingchor nebst einem guten Dutzend Musikern an Gitarre, Bass, Saxofon, Kora, Balafon und Hoddu ist das Album mehr als üppig besetzt. Bis auf den Opener „Yelema“ gibt es allerdings nur Balladen und Midtempostücke, was ein wenig schade ist. Zwei, drei fetzigere Titel mehr hätten dem Album gut getan. Die Lieder sind im deklamatorischen Stil der Griots gehalten, die Musik klingt trotz Streichersektion und elektrischer Instrumente urban-traditionell westafrikanisch. Das Album ist musikalisch tadellos und gut arrangiert und ein Genuss für Leute, die Musik aus Afrika ohne Stützräder hören können.
Luigi Lauer
 SIA TOLNO: African Woman
SIA TOLNO
African Woman
www.myspace.com/tolnosia
(Lusafrica 662952)
12 Tracks, 54:19 , mit engl. Infos


Nach zehn Sekunden weiß man: Musik aus Nigeria. Klar, Tony Allen spielt Schlagzeug. Afrobeat. Wer hat’s erfunden? Er, an der Seite von Fela Kuti. Sia Tolno stammt aus Guinea, hat sich aber Afrobeat als musikalisch-politische Waffe ausgesucht. Mutig, aber mit Kutis Hauptdarsteller als Groove-Garant kein Problem – der Mann spielt auch mit vierundsiebzig Jahren noch den einzigen Groove, den er kann, den aber so gut wie niemand sonst. Nur gelegentlich geht die Musik Richtung Highlife. Mit Guy N’Sangue am Bass ist auch das kein Problem, er ist auf mindestens hundert Alben jeglicher Couleur zu hören. Sia Tolnos kräftige, soulige Stimme macht sich ausgezeichnet in diesem Umfeld, und ihre hochpolitischen Texte stehen an Eindeutigkeit denen Felas nicht nach. Der Albumtitel passt darum gut, denn „African woman“ ist der Kernsatz in Kutis Hymne „Lady“. Sicher ist: Der gute alte Afrobeat erfährt in Kombination mit Sia Tolnos eher afroamerikanisch ausgelegter Stimme eine reizvolle neue Ausrichtung und eine verdiente Wiederbelebung zugleich.
Luigi Lauer

Nordamerika
 KAT DANSER: Baptized By The Mud
KAT DANSER
Baptized By The Mud
www.katdanser.com
(Eigenverlag/Outside Music)
12 Tracks, 47:55 , mit engl. Texten u. Infos


Das bereits fünfte Album der Gitarristin und Sängerin schlägt einen großen Bogen über Folk, Blues, Gospel und Soul. Kat Danser komponiert genial und kann auch mit je einem Cover von Gertrude Ma Rainey, der „Mutter des Blues“, und der Deltablueslegende Mississippi Fred McDowell voll überzeugen. Als „Queen of the Swamp Blues“ hat sie in den letzten fünf Jahren den allerbesten Ruf erworben, dank ihrer Spielsicherheit und Frische ist sie allen Größen wie etwa Bonnie Raitt oder Rory Block ebenbürtig. Der Begleitband, mit der sie die sensationelle Scheibe im kanadischen Vancouver aufnahm, gehören Gitarrist und Produzent Steve Dawson, Pianist Darryl Havers, Schlagzeuger Geoffrey Hiehs, Bassist Jeremy Holmes und die Backgroundsänger Dawn Pemberton und Marcus Mosely an. Was dabei herauskam, ist die Musik des 21. Jahrhunderts – und mein Tipp des Jahres.
Annie Sziegoleit
 ROBBY HECHT: Robby Hecht
ROBBY HECHT
Robby Hecht
www.robbyhecht.com
(Old Man Henry Records)
Promo-CD, 12 Tracks, 44:20


Ein echter American Songwriter unsere Zeit – mit besten Retroqualitäten. Robby Hecht, der junge Mann aus Tennessee, lässt den amerikanischen Siebzigerjahre-Akustikpop hochleben. Sanfte Melodien und sichere Arrangements voll von diskretem Glamour, verspielten Kleinigkeiten – hier und da sind eine Geige, ein Klavier, etwas Saxofon, einige Akkorde Banjo oder eine Pedal Steel im Hintergrund zu hören. Das ist Musik wie Wellness gegen Lärm und Hektik. Die Texte haben es in sich: In den zwölf Songs beschreibt Hecht unter anderem Erfahrungen aus seinem Leben, die mitunter nicht zu den lustigsten gehören: In „Feeling It Now“ geht es um das Krankheitsbild manische Depression. Und es gibt Balladen wie „Barrio Moon“, die eine Geschichte von sich gegenseitig erstechenden Freunden erzählt. Hecht, der viele Freunde in der Nashville-Songwriter-Szene hat, zählt zum Trio der „New American Troubadours“, die in diesem Sommer Europa eroberten – nicht seine erste Europatour. Er könnte hier dem einem oder anderen schon zuvor in Begleitung von Neko Case, Josh Ritter oder Iron and Wine begegnet sein.
Imke Staats

 PACIFIKA : Amor Planeta
PACIFIKA
Amor Planeta
www.pacifikaonline.com
(Six Degrees 657035 120525/Exil/Indigo)
10 Tracks, 42:50


Globalpop aus Kanada – und das vom Allerfeinsten. Sängerin Silvana Kane hat peruanische Wurzeln, gibt mal die Elfe und mal das Girlie und singt sowohl auf Spanisch als auch auf Englisch. Mit Jugendfreund Adam Popowitz hatte sie in der Schule ihre erste eigene Band, 2004 kreuzten sich ihre Wege erneut. Adam hatte mittlerweile den Hardrock für sich entdeckt, Silvana eher den Maintreampop. Die beiden holten Klangtüftler Tony Peter an Bass und Schlagzeug mit ins Boot und gründeten Pacifika. Mühelos schafft das Trio die Balance zwischen hispanischer Lebensfreude und nordamerikanischem Elektroniksound. Kein Stück klingt wie das andere, jeder Song ist für eine Überraschung gut. Mal gibt sich das Keyboard sphärisch-verträumt, dann kreischt die Gitarre oder Gastmusiker überraschen mit Trompetenklängen und Brasilienflair. Inhaltlich geht es, wie der Titel Amor Planeta verspricht, um die Liebe in all ihren Facetten. Das vierte Album des kreativen Trios kommt weniger elektronisch als die Vorgänger daher, wartet stattdessen mit noch mehr ungewöhnlichen Klangexperimenten auf. Da kann man sich gar nicht satthören.
Suzanne Cords
 SEAN ROWE: Madman
SEAN ROWE
Madman
www.facebook.com/seanrowemusic
(Anti Records7324-2a /Indigo)
Promo-CD, 12 Tracks, 47:03


Balladesk legt das musikalische Raubein Sean Rowe auf seinem neuen Album los. Wie ein Wahnsinniger klingt er dabei nicht, eher zerbrechlich, verstört. In den nachfolgenden Songs führt Madman eine reichhaltige Mischung aus Soul, Folk, Country und Western, ja sogar grobschlächtigem elektrischen Blues, vor. Diese Vielfalt ist der Reichtum, aus dem Sean Rowe einen Brei anrührt, der unverfälscht und urwüchsig klingt. Zwar begann der New Yorker erst mit achtundzwanzig Jahren öffentlich aufzutreten, doch schrieb er da bereits seit zwanzig Jahren eigene Songs, nur eben für sich, privat, aus Spaß und eher nicht mit einer Musikerkarriere im Kopf. Erst nachdem er Otis Redding im Radio gehört hatte, fand er das Selbstvertrauen, seine eigenen Songs auch öffentlich singen zu wollen. Was sicher an seiner eigenartigen Stimme liegt, die vom Ton her ein wenig an die des späten Tom Waits erinnert. Dessen verschrobener elektrischer Blues klingt auch immer wieder als Einfluss auf diesem Album durch, ebenso wie Bruce Springsteen, den Rowe nach wie vor für einen der wichtigsten Songschreiber der Gegenwart hält.
Michael Freerix

 TIM SPARKS: Chasin’ The Boogie
TIM SPARKS
Chasin’ The Boogie
www.timsparks.com
(Acoustic Music Records 319.1519.2/Rough Trade)
12 Tracks, 41:20 , mit engl. Infos


Tim Sparks, Fingerstylegitarrist aus North Carolina, gehört zu den interessantesten Künstlern seiner Zunft. Mit Chasin’ the Boogie tritt Sparks eine Heimreise an. Im Booklet schildert er ausführlich seine Erinnerungen an eine Kindheit, die er musikalisch auferstehen lässt. Eine Zeit, die von Blues, Boogie, Ragtime und Gospeltunes geprägt ist. Sparks ist gleichermaßen Musiker wie Forscher. Dingen, die ihn musikalisch anrühren, geht er äußerst akribisch auf den Grund. Neben der bemerkenswerten Transkription der „Nussknacker-Suite“ von Tschaikowsky, hat er sich in den vergangenen Jahren unter anderem der Musik des Balkan oder dem Avantgardeklezmer eines John Zorn gewidmet. Unglaublich transparentes Spiel und gleichzeitig druckvoller Ton sind Sparks Markenzeichen. Technische Hürden scheint es keine zu geben, ob er nun das Feeling des Boogie-Pianos eines Pinetopp Smith einzufangen versucht oder in „Reckless Persuasion“ spät nachts den mondbeschienenen Highway herunterrast. Auch dem Beatles-Evergreen „Blackbird“ oder Joni Mitchells wunderbarem „Both Sides Now“ verleiht Sparks unerhörten, neuen Glanz. Man hört den Musiker atmen, stöhnen, summen und scheint einer Live-Performance beizuwohnen. Sparks vereint Virtuosität, Musikalität und Intelligenz aufs Schönste.
Rolf Beydemüller
 JONAH TOLCHIN: Clover Lane
JONAH TOLCHIN
Clover Lane
www.jonahtolchin.com
(YepRoc Records YEP-2364/Cargo Records)
Promo-CD, 11 Tracks, 40:49


Es klingt, als ob im nächsten Moment ein Bluesgewitter loslegte, doch zur Basstrommel gesellt sich eine Fiddle, was Hoffnung auf ein Tänzchen weckt, wenn auch ein trauriges. Aber knurrige E-Gitarre und Mundharmonika ziehen uns wieder in den Blues, die Fiddle schiebt ein wildes Solo ein und eine eigentümliche, leicht näselnde Stimme stellt klar: „Mockingbird don’t sing no more.“ So beginnt Jonah Tolchins zweites Album, sein erstes mit kompletter Band, aufgenommen in Nashville, produziert von Lone-Justice-Mann Marvin Etzioni. Dem Opener lässt der Mann aus Bar Harbor im US-Bundesstaat Maine das positiv beschwingte „Midnight Rain“ folgen, jedoch steht der Countryshuffle in Kontrast zum Textinhalt: Der Erzähler fragt sich, ob er die Frau wirklich liebt und man spürt – so recht will er die Antwort gar nicht wissen. Zwei Stücke später erklingt mit „Diamond Mind“ eine wundervolle Ballade, wer hätte das gedacht? Aber natürlich lauern auch hier hinter der schönen Melodie Tod und Verderben. Tolchin gehört zu den Meistern der Langsamkeit, verwebt Blues, Folk und Country in ein atmosphärisches Ganzes und schafft es in elf Songs, tief zu schürfen und uns berührt zurückzulassen.
Volker Dick

Lateinamerika
 ADDYS MERCEDES: Locomotora A Cuba
ADDYS MERCEDES
Locomotora A Cuba
www.addysmercedes.com
(Medialuna 803433001126)
12 Tracks, 46:12 , mit span. Texten


Vom ersten Ton an zieht einen die gefühlvolle, leicht melancholische Stimme der Kubanerin Addys Mercedes in ihren Bann. Schon als sie zehn Jahre alt war, rief man ihr in ihrer Heimat hinterher: „Da ist die Sängerin.“ Damals beherrschte sie vor allem das klassische Repertoire von Sons und Boleros. Als junge Frau verließ sie 1993 ihre Heimat und zog nach Deutschland. Der europäische Einfluss ist aus ihrer Musik längst nicht mehr wegzudenken: Zwar verleugnet Addys Mercedes ihre Wurzeln nicht, bewegt sich aber weitab von musikalischen Kubaklischees und kreiert dabei ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Stil. In ihren Songs erzählt sie Geschichten aus dem Alltag – vom Mann, der mit einem Schwein das Zugabteil betritt („Locomotora A Cuba“), vom Betrunkenen, der ins Wasser fällt und von der Freude, in ihrem alten kubanischen Stadtviertel mit den Freunden ihrer Jugend gemeinsam zu singen („Ahí“). Begleitet wird sie dabei musikalisch von ihrem Lebensgefährten, dem Bassisten, Gitarristen und Percussionisten Cae Davis, „Adoptivonkel“ Pomez di Lorenzo, der für Ukulule und Tres zuständig ist, und ihrer dreizehnjährigen Tochter Lia, die mit ihrem Geigenspiel die Familienband komplettiert.
Suzanne Cords



Asien
 DIVERSE: Memoirs Of An Arabian Princess – Sounds Of Zanzibar
DIVERSE
Memoirs Of An Arabian Princess – Sounds Of Zanzibar
www.winterandwinter.com
(Music Edition Winter & Winter 910 215-2)
9 Tracks, 77:03 , mit dt. u. engl. Infos


Die abenteuerliche Geschichte, wie aus Sayyida Salme, Prinzessin von Sansibar und Oman, die Hamburger Kaufmannsgattin Emily Ruete wurde, kann man in ihrer 1866 veröffentlichten, Autobiografie Memoiren einer arabischen Prinzessin nachlesen (eine Neuauflage erschien 2006 unter dem Titel Leben im Sultanspalast. Memoiren aus dem 19. Jahrhundert). Produzent und Labeleigner Stefan Winter spürt dem Leben dieser ungewöhnlichen Frau nun mithilfe aktueller Sänger, Sängerinnen und Ensembles, die im traditionellen Taarab-Stil musizieren, nach. Abgerundet werden die Musikstücke von Rajab Sulejman & Kithara, Saada Nassor, Makame Faki, Tarbiyya Islamiyya, Sina Chuki Kidumbaki und dem Mtendeni Maulid Ensemble von O-Tönen aus Natur (Meer, Sand, Regen, Wind) und Zivilisation (unter anderem Märkte, Festivitäten, Umzüge, Muezzinrufe). So entsteht ein faszinierendes Klangpanorama, das gleichsam musikalische Zeitreise wie Bestandsaufnahme zeitgenössischer sansibarischer Musikkultur ist. Und so ganz nebenbei sind Ruetes Buch und Winters Album auch noch ein hochinteressantes Stück afrikanisch-deutscher Zeitgeschichte.
Walter Bast
 DIVERSE: The Rough Guide To The Music Of Palestine
DIVERSE
The Rough Guide To The Music Of Palestine
www.worldmusic.net
(World Music Network RGNET131CD/Harmonia Mundi)
15 Tracks, 63:43 , mit engl. Infos, plus Bonus-CD RAMZI ABUREDWAN: 10 Tracks, 58:37


Kann Musik versöhnen? Zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Rezension schlagen sich der militärische Teil der Hamas und die israelische Armee im Gazastreifen mal wieder die Köpfe ein. Zimperlich ist keiner der beiden Kontrahenten, auch dann nicht, wenn militärische Operationen fast ausschließlich zivile Opfer fordern. Gemäßigte Politiker beider Seiten finden kein Gehör, die internationale Diplomatie ist rat- und machtlos, die Scharfmacher haben Konjunktur. – In diesen unseligen Zeiten erscheint dieser, von Nili Belkind und Nadeem Karkabi mit großem Engagement und Sachverstand zusammengestellte Sampler. Die musikalische Bandbreite reicht von eher traditionellen Werken (sehr schön: Ramzi Aburedwan auf der Bonus-CD) bis hin zu den Klang-Parametern, die zum Besteck von Jazzern, Liedermachern, Rappern, Elektronikern oder Hardrockern gehören, wobei die zeitgenössischen und zeitgeistigen Spielformen dominieren. – Und um die Eingangsfrage zu beantworten: Ja, vorausgesetzt, Konzerte werden nicht durch Sirenenalarm abgebrochen und das Haus, in dem der CD-Player steht, hat vier Wände, ein Dach, fließendes Wasser und Strom. Für alle weiteren Fragen: siehe Lennon, John – „Imagine“.
Walter Bast

 JEWISH MONKEYS: Mania Regressia
JEWISH MONKEYS
Mania Regressia
www.facebook.com/jewish-monkeys
(Greedy for Best Music 001/Indigo)
11 Tracks, 45:17 , mit engl. Texten u. Infos


Die Jewish Monkeys aus Tel Aviv untergraben auf Mania Regressia sämtliche geschichtlich bedingten Berührungsängste mit dem Judentum und seinem Heimatstaat Israel. Die Mitglieder der illustren Klezmer-Combo aus Tel Aviv treten nicht nur als Musiker, sondern ebenso als beißend scharfe Zyniker und Humoristen in Erscheinung und streuen mit großem Vergnügen Salz in die sprichwörtliche Wunde. Immer wieder verbalisiert die Band in neu aufgearbeiteten Traditionals, Fünfzigerjahre-Schlagern und einigen Eigenkompositionen schmerzhaft direkt die Klischees der Vergangenheit. Da ist die jüdische Schöne, die lieber mit dem blonden, blauäugigen Jüngling schläft als mit dem mickrigen Juden – „All day you count and pray, you promise the moon and come too soon“. Da sind die Hebräer, die im Gespräch mit einem Araber ihre Besitztümer legitimieren – „They killed us in Europe, we need real estate“. Die politisch so offenherzig inkorrekten Texte gründen trotz allem jiddischen Kitsch, Zirkusklamauk und Verwirrungsspiel augenscheinlich auf der gesammelten Intelligenz der belesenen drei Gründungsmitglieder, die bestens wissen, wo es dem europäischen Hörer wehtut. Ballastreich, aufgedreht, krude, cool.
Judith Wiemers